Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Euphorie entgegen

Tour-Start in Düsseldorf, deutsche Teams, Anwärter auf Etappensie­ge – Dunkle Radsport-Jahre scheinen überwunden

-

(dpa) - Es ist noch gar nicht lange her, da wurden deutsche Radprofis auf offener Straße als Doper beschimpft und beleidigt. Nach dem tiefen Fall von Jan Ullrich und den nicht enden wollenden Dopingskan­dalen wurde die Generation um Tony Martin, André Greipel und Co. in der öffentlich­en Wahrnehmun­g pauschal für die Sünden der Vergangenh­eit in Sippenhaft genommen. Der deutsche Radsport lag in Trümmern: Das öffentlich-rechtliche Fernsehen verabschie­dete sich aus der Liveberich­terstattun­g, Sponsoren zogen sich zurück, deutsche Teams verschwand­en von der Bildfläche, zahlreiche Rennen wurden eingestell­t.

Gut ein Jahrzehnt später scheint die Radsport-Branche ihre dunkle Doping-Ära überwunden zu haben. Wenn am Samstag in Düsseldorf der Startschus­s für die 104. Tour de France erfolgt, werden sogar bis zu einer Million Zuschauer erwartet. Der einst von Ullrich ausgelöste Boom erfährt eine Renaissanc­e, und auch sportlich steht der deutsche Radsport heutzutage bestens da. Es gibt wieder zwei deutsche World-TourTeams (Bora-hansgrohe, Sunweb), eine Reihe von Anwärtern auf Etappensie­ge (Greipel, Marcel Kittel und John Degenkolb) und auch das erste Gelbe Trikot könnte dank Martin zu einer deutschen Angelegenh­eit werden.

„Durch die Vergabe des Grand Départ haben wir schon viel erreicht, die Leute reden wieder über den Radsport. Das ist ein großer Schritt für unseren Sport. Ich hoffe, der neue Boom hält an“, sagt Kittel und ExMeister Emanuel Buchmann pflichtet ihm bei: „Die Doping-Vergangenh­eit ist aufgearbei­tet – es herrscht wieder mehr Vertrauen. Düsseldorf ist ein Meilenstei­n für den deutschen Radsport.“ Ein Sieganwärt­er fehlt noch

Es war ein steiniger Weg, das Vertrauen peu à peu zurückzuge­winnen. Immer wieder haben sich Martin, Kittel oder Degenkolb für einen strikten Anti-Doping-Kampf starkgemac­ht und sich öffentlich von ihren alten Vorbildern distanzier­t. „Es geht inzwischen wieder um Radsport, da hat eine Kehrtwende stattgefun­den. Vielleicht auch, weil wir transparen­t mit dem Thema umgegangen sind“, sagt Degenkolb, für den der Tour-Start im Heimatland „ein Traum“ist.

Noch vor einigen Jahren wäre ein solches Ereignis in Deutschlan­d undenkbar gewesen. „Die Leidenscha­ft ist in Deutschlan­d neu geboren worden“, sagt Tourchef Christian Prudhomme und blickt zurück: „In der Ära Ullrich war Deutschlan­d verrückt nach der Tour, dann gab es die große Ernüchteru­ng. Nun haben wir eine gesündere Beziehung. Wir können uns ein Leben in Europa ohne Deutschlan­d nicht vorstellen, das gilt auch für den Sport.“

Rein sportlich hatte der deutsche Radsport schon in den vergangene­n Jahren einen starken Eindruck hinterlass­en. Greipel, Kittel und Martin gewannen seit 2012 insgesamt 24 Etappen und trugen vereinzelt auch das Gelbe Trikot. „Ihre starken Leistungen haben dazu beigetrage­n, dass der Radsport bei uns nach den Dopingzeit­en wieder mehr akzeptiert wird“, sagt Rick Zabel. Der Sohn des früheren Telekom-Stars war – wenn auch als kleiner Junge – Zeitzeuge der alten Ära. Mit der DopingVerg­angenheit seines Vaters geht er angenehm offen um.

Das Tour-Gastspiel in Düsseldorf soll aber keine einmalige Angelegenh­eit bleiben. Im nächsten Jahr ist der Start der wiederbele­bten Deutschlan­d-Tour in der rheinische­n Metropole vorgesehen. Was dem deutschen Radsport allerdings noch fehlt, ist nur ein Sieganwärt­er bei der Tour. „Dann würde der Radsport wieder durch die Decke gehen“, prophezeit Martin. Dann wäre alles – fast – wie früher.

 ?? FOTO: DPA ?? Highlight zum Start: Tony Martin will gleich am Samstag ins Gelbe Trikot fahren.
FOTO: DPA Highlight zum Start: Tony Martin will gleich am Samstag ins Gelbe Trikot fahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany