Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Kalt erwischt
Nach dem Frühjahrsfrost meldet jetzt auch Obstgroßhändler Baywa Kurzarbeit an
RAVENSBURG - Die Auswirkungen des heftigen Frosts im April setzen der Landwirtschaft in Bayern und Baden-Württemberg weiter massiv zu. Wegen des zu erwartenden Ernteausfalls von bis zu 70 Prozent bei Kernobst hat nun die Obstsparte des Münchner Handelskonzerns Baywa Kurzarbeit von Herbst an angekündigt, genau wie wenige Wochen zuvor schon der Obstgroßmarkt Salem Frucht aus Neufrach (Bodenseekreis). Die Obstbauern selbst sind zum Teil in ihrer Existenz bedroht.
60 000 Tonnen Kernobst, zum größten Teil Äpfel, sortiert, lagert und verpackt Baywa Obst normalerweise im Schnitt pro Jahr. Nur nicht in diesem. Da rechnet das Unternehmen mit bis zu 70 Prozent weniger. Damit seien die Betriebe der Baywa über Monate hinweg nicht ausgelastet, wie es in der entsprechenden Pressemitteilung heißt. Die Konsequenz: Kurzarbeit. Betroffen: sämtliche Betriebe des nationalen Obstgeschäfts der Baywa in Ravensburg (Kreis Ravensburg), Kressbronn, Ailingen, Oberteuringen (alle Bodenseekreis) sowie Öhringen (Hohenlohekreis) und im pfälzischen Weisenheim. Die erhoffte Wirkung: der Erhalt der rund 100 betroffenen Arbeitsplätze.
Voraussichtlich beginne die Kurzarbeit laut Baywa-Informationen im Herbst und könne sich bis in den nächsten Sommer hineinziehen – mit Schwerpunkt im Frühjahr. „Kurzarbeit ist bei solch denkbar schlechten Bedingungen ein Mittel, um Mitarbeiter und Arbeitsplätze zu schützen“, sagt der Vorstandsvorsitzende der Baywa, Klaus Josef Lutz.
Damit ist die Baywa nicht alleine: Auch Salem Frucht hat sich einige Wochen zuvor zu diesem Schritt entschlossen. Der Obstgroßhändler verarbeitet zwischen 45 000 und 55 000 Tonnen Äpfel pro Jahr. „Wenn es gut läuft, kommen wir dieses Jahr vielleicht auf 15 000 Tonnen“, schätzt Geschäftsführer Rainer Wielatt. Von der Kurzarbeit bei Salem Frucht seien rund 50 Prozent der bis zu 120köpfigen Belegschaft betroffen. Im Herbst 2018, so hofft Wielatt, könne man wieder in den „geregelten“Betrieb übergehen.
Die beiden Händler, Baywa Obst und Salem Frucht, decken laut Eugen Setz, Geschäftsführer der Obst vom Bodensee Marketinggesellschaft, zu der auch Salem Frucht gehört, 70 Prozent der genossenschaftlich vermarkteten Ware in der Bodenseeregion ab. Der Rest werde größtenteils über die Ab-Hof- oder Direktvermarktung von den Erzeugerbetrieben abgesetzt.
Die Inhaber dieser Betriebe litten besonders unter der Frostkatastrophe. Setz geht davon aus, dass sie in diesem Jahr den Lebensunterhalt für ihre Familien nicht bestreiten können. Das wenige, das ihnen bleiben wird, müssten sie für die Pflege ihrer Obstanlagen aufbringen, um diese vor Schädlingen, Pilzen oder Unkraut zu bewahren.
Setz spricht für 1200 Obstbauern, die auf einer Fläche von insgesamt 7000 Hektar einen jährlichen Ertrag von bis zu 250 000 Tonnen Äpfel produzieren. Dazu kommen Birnen, Steinobst, Erdbeeren und zahlreiche weitere Beerenfrüchte. Der Geschäftsführer von Obst vom Bodensee erinnert die Stuttgarter Landespolitik, namentlich Baden-Württembergs Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU), an das Versprechen, auch die Obsterzeuger zu entschädigen. Die Landesregierung hat die Frostschäden vom April als Naturkatastrophe eingestuft.
„Für Baden-Württemberg gehen wir landesweit von Frostschäden im Obst- und Weinbau sowie an landwirtschaftlichen und gärtnerischen Kulturen im dreistelligen Millionenbereich aus“, sagt Hauk auf Nachfrage der „Schwäbischen Zeitung“. Die genaue Schadenshöhe könne allerdings erst zum Erntezeitpunkt festgestellt werden. Hauk weiter: „Das Landeskabinett hat den Beschluss gefasst, die geschädigten landwirtschaftlichen Betriebe mit einem finanziellen Hilfsprogramm zu unterstützen, wobei die Existenzsicherung von bäuerlichen Familienbetrieben im Vordergrund steht. Dieser Beschluss ist uns ein klarer politischer Auftrag, den wir Zug um Zug abarbeiten. Derzeit ist vorgesehen, dass die betroffenen Landwirte ab der zweiten Septemberhälfte entsprechende Anträge stellen können.“ Überangebot in Europa Trotz dieser katastrophalen Situation würden Auswirkungen auf die Obstpreise für den Verbraucher allerdings kaum spürbar sein, schätzt Setz. Er erklärt das mit dem Überangebot auf dem europäischen Markt. Eine Ursache sei das Russlandembargo, wodurch jährlich 600 000 bis 700 0000 Tonnen Äpfel mehr auf dem Markt seien, hauptsächlich aus Polen. Dies wiederum veranlasse andere Länder, ihr Obst auch in Deutschland zu verkaufen. Außerdem stehe durch das niedrige Preisniveau in osteuropäischen Ländern ebenfalls günstiges Obst von dort zur Verfügung. Zudem lägen die Produktionsmengen in zahlreichen Ländern Europas teilweise weit über dem Eigenverbrauch. Mangel entstünde so kaum – auch nicht bei den zusätzlich zu erwartenden Ernteausfällen in Belgien und den Niederlanden, ebenfalls durch den Aprilfrost verursacht. Setz rechnet damit, dass besonders Südtirol und Frankreich, neben anderen EU-Ländern, die Ausfälle ausgleichen, bis im Frühjahr auf der Südhalbkugel Erntezeit ist. So würde der Preis wahrscheinlich stabil bleiben – bis zur nächsten deutschen Ernte im kommenden Jahr.
Ein Problem könnten dann die verlorenen Marktanteile für die deutschen Erzeuger sein. „Die Gefahr ist da“, bestätigt Setz. Aus dem Mangel geborene Handelsbeziehungen könnten sich festigen. Der Verbraucher könnte sich an das Obst fremder Herkunft gewöhnen. Doch Setz baut auf das Regionalitäts- und Umweltbewusstsein der Verbraucher und hofft, dass dieses Bewusstsein durch ein schlechtes Jahr nicht bröckelt.
Das wünschen sich auch die Not leidenden Bauern in der Bodenseeregion.