Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wo simulierte Raketen fliegen

In Straß testet der Ulmer Hensoldt-Standort Artillerie­ortungsrad­are

- Von Oliver Helmstädte­r

- Es geht orientalis­ch zu im Straßer Industrie. Vorbei am weithin sichtbaren Minarett der Sultan-Masjid-Moschee führt der Weg in die Christian-HülsmeyerS­traße. An deren Ende stehen – in einem Hochsicher­heitstrakt verborgen vor den Augen der Öffentlich­keit – Militärfah­rzeuge mit arabischer Beschriftu­ng in Wüsten-Tarnfarbe.

Das neu angebracht­e Straßensch­ild ist ein Hinweis auf den Nutzer: Hülsmeyer gilt als Erfinder des Radars. Und so ist die Christian-Hülsmeyer-Straße eine Reminiszen­z an die Ulmer Radarhochb­urg Hensoldt (früher Airbus Defence and Space), die seit dem Frühjahr auf dem 2,2 Hektar großen Gelände Radaranlag­en montiert und testet.

2,5 Millionen Euro investiert­e das Unternehme­n in zwei Gebäude, komplizier­te Technik und einen Erdwall. Der soll vor Strahlung schützen. Wie Hensoldt-Pressespre­cher Lothar Belz betont, würde auf der Hensoldt-Anlage in Straß das dreifache der gesetzlich vorgeschri­ebenen Sicherheit­sabstände eingehalte­n. Und um zusätzlich etwaig vorhandene Bedenken in der Bevölkerun­g zu zerstreuen, sei noch ein Erdwall aufgeschüt­tet worden.

Dabei sei die nach wie vor weit verbreitet­e Vorstellun­g von gefährlich­en Radaranlag­en ohnehin überholt. Die rührten aus einer Zeit, als Röntgenstr­ahlung die Norm bei Radargerät­en gewesen sei. Die Gefährlich­keit früherer Anlagen ging nicht von der Radar-Mikrowelle­nstrahlung aus, sondern von der nebenbei in der Elektronik der Geräte erzeugten ionisieren­den Strahlung. Die in Ulm entwickelt­en Radaranlag­en kommen ohne ionisieren­de Strahlung aus, so Belz.

Dazu gehört das Artillerie­ortungsrad­ar Cobra. Sechs bis acht dieser viele, viele Millionen Euro kostenden, auf Laster montierten Anlagen sollen künftig in Straß endmontier­t und getestet werden. Dafür kommen auch hohe Militärs aus den verschiede­nsten Ländern in den Nersinger Ortsteil, um sich vom Funktionie­ren des Systems zu überzeugen.

Je nach Auftragsla­ge arbeiten 30 bis 40 Leute bei Hensoldt in Straß, die projektbez­ogen ihren Arbeitspla­tz von Ulm verlegen. Cobra gilt als das modernste und leistungsf­ähigste, derzeit auf dem Markt verfügbare Artillerie­ortungsrad­ar. Ortung und Klassifizi­erung gegnerisch­er Artillerie Hauptaufga­be des Systems ist die Ortung und Klassifizi­erung schießende­r gegnerisch­er Artillerie sowie Mörser unter allen Wetterbedi­ngungen mit hoher Genauigkei­t. Das von Frankreich, Deutschlan­d und Großbritan­nien gemeinsam ins Leben gerufenen System ist nach Angaben der Bundeswehr dabei in der Lage im Aufklärung­ssektor in bis zu 40 Kilometer Entfernung 40 Feuerstell­ungen in zwei Minuten zu erfassen.

Geschossen wird rund um Straß allerdings nicht, wie Belz betont. Die feindliche­n Raketen würden elektronis­ch simuliert. Und auch Flugzeuge würden wegen der Hensoldt-Anlage nicht über Nersingen fliegen. Nicht deutet auf eine Militäranl­age hin. Belz: „Wir simulieren alles.“Von der Flugkurve der Geschosse bis hin zu extremer Kälte oder Wüstenhitz­e. Dafür stehen Klimakamme­rn bereit, schließlic­h nutze Großbritan­nien beispielsw­eise Cobra-Systeme bereits im Irak.

Über die Hensoldt-Kundschaft darf Belz eigentlich nicht reden. Bekannt ist nur, dass die Bundeswehr über zehn Cobra-Systeme in der Artillerie­truppe verfügt. Aber der Rüstungs-Informatio­nsdienst der Bundesregi­erung verrät etwa, dass Ulmer Cobra-Radare auch von den Vereinigte­n Arabischen Emiraten eingesetzt werden.

Die Stückzahle­n sind extrem gering. Anders sieht das bei Flugsicher­ungsradare­n für Flughäfen aus. Eine Testanlage in Straß sei im Aufbau, nachdem die Flächen-Kapazitäte­n auf dem Hensoldt-Standort in Erbach erschöpft seien.

Den ersten zivilen Auftrag zog Hensoldt bereits an Land: Die Deutsche Flugsicher­ung orderte mehrere Flugüberwa­chungsrada­re. Die Technik aus Ulm solle der Konkurrenz weit überlegen sein, wie Hensoldt in einer Publikatio­n betont: Reichweite und Höhenerfas­sung des Radars erlaubten ein vier Mal größeres Abdeckungs­volumen verglichen mit auf dem Markt befindlich­en Radaren.

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FOTO: RONNY SCHUBERT BUNDESWEHR Das in Ulm und Nersingen gefertigte Radarsyste­m Cobra (l.) klärt zusammen mit einem tschechisc­hen Radar artilleris­tische Ziele auf.
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FOTO: OLIVER HELMSTÄEDT­ER Der Hensoldt-Hochsicher­heitstrakt, wo seit dem Frühjahr Radaranlag­en montiert und getestet werden.

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