Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wo simulierte Raketen fliegen
In Straß testet der Ulmer Hensoldt-Standort Artillerieortungsradare
- Es geht orientalisch zu im Straßer Industrie. Vorbei am weithin sichtbaren Minarett der Sultan-Masjid-Moschee führt der Weg in die Christian-HülsmeyerStraße. An deren Ende stehen – in einem Hochsicherheitstrakt verborgen vor den Augen der Öffentlichkeit – Militärfahrzeuge mit arabischer Beschriftung in Wüsten-Tarnfarbe.
Das neu angebrachte Straßenschild ist ein Hinweis auf den Nutzer: Hülsmeyer gilt als Erfinder des Radars. Und so ist die Christian-Hülsmeyer-Straße eine Reminiszenz an die Ulmer Radarhochburg Hensoldt (früher Airbus Defence and Space), die seit dem Frühjahr auf dem 2,2 Hektar großen Gelände Radaranlagen montiert und testet.
2,5 Millionen Euro investierte das Unternehmen in zwei Gebäude, komplizierte Technik und einen Erdwall. Der soll vor Strahlung schützen. Wie Hensoldt-Pressesprecher Lothar Belz betont, würde auf der Hensoldt-Anlage in Straß das dreifache der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsabstände eingehalten. Und um zusätzlich etwaig vorhandene Bedenken in der Bevölkerung zu zerstreuen, sei noch ein Erdwall aufgeschüttet worden.
Dabei sei die nach wie vor weit verbreitete Vorstellung von gefährlichen Radaranlagen ohnehin überholt. Die rührten aus einer Zeit, als Röntgenstrahlung die Norm bei Radargeräten gewesen sei. Die Gefährlichkeit früherer Anlagen ging nicht von der Radar-Mikrowellenstrahlung aus, sondern von der nebenbei in der Elektronik der Geräte erzeugten ionisierenden Strahlung. Die in Ulm entwickelten Radaranlagen kommen ohne ionisierende Strahlung aus, so Belz.
Dazu gehört das Artillerieortungsradar Cobra. Sechs bis acht dieser viele, viele Millionen Euro kostenden, auf Laster montierten Anlagen sollen künftig in Straß endmontiert und getestet werden. Dafür kommen auch hohe Militärs aus den verschiedensten Ländern in den Nersinger Ortsteil, um sich vom Funktionieren des Systems zu überzeugen.
Je nach Auftragslage arbeiten 30 bis 40 Leute bei Hensoldt in Straß, die projektbezogen ihren Arbeitsplatz von Ulm verlegen. Cobra gilt als das modernste und leistungsfähigste, derzeit auf dem Markt verfügbare Artillerieortungsradar. Ortung und Klassifizierung gegnerischer Artillerie Hauptaufgabe des Systems ist die Ortung und Klassifizierung schießender gegnerischer Artillerie sowie Mörser unter allen Wetterbedingungen mit hoher Genauigkeit. Das von Frankreich, Deutschland und Großbritannien gemeinsam ins Leben gerufenen System ist nach Angaben der Bundeswehr dabei in der Lage im Aufklärungssektor in bis zu 40 Kilometer Entfernung 40 Feuerstellungen in zwei Minuten zu erfassen.
Geschossen wird rund um Straß allerdings nicht, wie Belz betont. Die feindlichen Raketen würden elektronisch simuliert. Und auch Flugzeuge würden wegen der Hensoldt-Anlage nicht über Nersingen fliegen. Nicht deutet auf eine Militäranlage hin. Belz: „Wir simulieren alles.“Von der Flugkurve der Geschosse bis hin zu extremer Kälte oder Wüstenhitze. Dafür stehen Klimakammern bereit, schließlich nutze Großbritannien beispielsweise Cobra-Systeme bereits im Irak.
Über die Hensoldt-Kundschaft darf Belz eigentlich nicht reden. Bekannt ist nur, dass die Bundeswehr über zehn Cobra-Systeme in der Artillerietruppe verfügt. Aber der Rüstungs-Informationsdienst der Bundesregierung verrät etwa, dass Ulmer Cobra-Radare auch von den Vereinigten Arabischen Emiraten eingesetzt werden.
Die Stückzahlen sind extrem gering. Anders sieht das bei Flugsicherungsradaren für Flughäfen aus. Eine Testanlage in Straß sei im Aufbau, nachdem die Flächen-Kapazitäten auf dem Hensoldt-Standort in Erbach erschöpft seien.
Den ersten zivilen Auftrag zog Hensoldt bereits an Land: Die Deutsche Flugsicherung orderte mehrere Flugüberwachungsradare. Die Technik aus Ulm solle der Konkurrenz weit überlegen sein, wie Hensoldt in einer Publikation betont: Reichweite und Höhenerfassung des Radars erlaubten ein vier Mal größeres Abdeckungsvolumen verglichen mit auf dem Markt befindlichen Radaren.