Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Gabriel will Druck auf die Türkei erhöhen

Außenminis­ter hat wenig Hoffnung auf Freilassun­g Mesale Tolus - Wahlkampf mit Hilde Mattheis

- Von Ludger Möllers

- Mehr Ausgaben für Bildung und innere Sicherheit, Abrüstung in Europa: Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) hat am Montag in Ulm klare Prioritäte­n gesetzt. Aktuell ging Gabriel auf die Entwicklun­gen in der Türkei ein: Den etwa 300 Zuhörern im Kornhaus wollte der deutsche Chefdiplom­at keine Hoffnung auf eine baldige Freilassun­g der in der Türkei inhaftiert­en Übersetzer­in und Journalist­in Mesale Tolu machen.

Es gibt sie noch, die gute alte SPD. Bierbänke sind aufgebaut, am Grillstand gibt’s Steaks und Würstchen, Plakate weisen auf die Gastgeberi­n, die Bundestags­abgeordnet­e Hilde Mattheis, hin. Wäre es etwas später am Tage, fände die Veranstalt­ung auf bayerische­m Boden statt, gäbe es auch Bier. Ein einsamer Sänger bringt die einschlägi­gen Songs der Arbeiterbe­wegung zu Gehör: „Heute hier, morgen dort“zum Beispiel.

SPD-Zugpferd Sigmar Gabriel will an diesem Montag trotz Sommerferi­en den Bundestags­wahlkampf im Südwesten anheizen. Er ist in Ulm, Aalen und Schwäbisch Gmünd unterwegs. Trotz der miesen Umfragewer­te ist Gabriel – braungebra­nnt, in Anzug und Krawatte ganz der Chefdiplom­at – bestens gelaunt. Seit ein paar Tagen weiß er: In Umfragen kommt die Union auf 40 Prozent. Es ist der beste Wert seit September 2015. Die SPD kommt demnach unveränder­t auf 23 Prozent: Der Schulz-Effekt hat sich in Luft aufgelöst.

Kein Platz ist im Kornhaus-Foyer mehr frei, als der Außenminis­ter erklärt, warum es sich trotz aller Rückschläg­e in den vergangene­n Wochen für die im Umfragetie­f steckende SPD dennoch zu kämpfen lohne.

Wenn die CDU wolle, dass die Rüstungsau­sgaben Deutschlan­ds bis 2024 auf über 70 Milliarden Euro pro Jahr verdoppelt werden, sei das eine „ziemlich verrückte Idee“. Stattdesse­n müsse in Europa wieder über Abrüstung gesprochen werden, fordert Gabriel.

Was Gabriel weiß, aber nicht sagt: Die Nato hatte sich 2014 eine zehnjährig­e Frist für die Erfüllung des Zwei-Prozent-Ziels gesetzt. Gabriel war zu diesem Zeitpunkt Vizekanzle­r und Wirtschaft­sminister, der heutige Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (SPD) war Außenminis­ter. Jetzt nennt Gabriel das Nato-Ziel „unrealisti­sch“. Er lässt die Zuhörer glauben, es handele sich um eine Idee tief aus dem CDU/CSU-Wahlprogra­mm.

Gabriel warnt vor einer „Aufrüstung­sspirale“: „Man muss sich mal vorstellen, was es bedeuten würde, wenn Deutschlan­d zu einem Land heranwächs­t, das in der Mitte Europas jedes Jahr über 70 Milliarden Euro in Rüstungsau­sgaben steckt. Ob das eigentlich etwas wäre, was wir uns wirklich wünschen sollen, ob sozusagen diese militärisc­he Großmacht in Europa gebraucht wird.“ „Bildung statt Rüstung“Das Geld müsse in die Bildung investiert werden, in die Renovierun­g maroder Schulen und alter Universitä­ten sowie in die Schaffung von Ganztagesp­lätzen. „Bildung statt Rüstung“, fordert Gabriel. Statt in Waffen wolle er sechs Prozent in Bildung stecken – bislang seien es 4,2 Prozent. Viele Schulen seien heute in einem schlechten Zustand. „Ich würde mir wünschen, wir würden ein großes Programm auflegen“, sagt Gabriel unter dem Beifall der Genossen und kündigt an: „Wir bauen die schönsten Schulen in den benachteil­igten Stadtteile­n.“Eine Million Ganztagesp­lätze gibt er zudem als Ziel vor.

Ein Besuch des Bundesauße­nministers in diesen Tagen muss immer die Frage nach der in der Türkei inhaftiert­en deutschen Übersetzer­in und Journalist­in Mesale Tolu ansprechen, die am heutigen Dienstag genau 100 Tage in Haft sitzt. Ihr werden „Terrorprop­aganda“und „Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation“vorgeworfe­n. Ihr drohen bis zu 15 Jahre Haft. Aber Gabriel kann wenig, eigentlich gar keine Hoffnung für eine baldige Freilassun­g Tolus machen. Gabriel sagt der „Schwäbisch­en Zeitung“, er setze auf wirtschaft­lichen Druck, Reisewarnu­ngen und einen Investitio­nsstopp.

Gleichzeit­ig dürfe der Gesprächsf­aden mit der Türkei nicht durchtrenn­t werden, warnt er. Vorschläge, die diplomatis­chen Beziehunge­n zu beenden oder die Nato-Mitgliedsc­haft der Türkei in Frage zu stellen, seien nicht zielführen­d: „Ich bin nicht sicher, ob Frau Tolu davon irgendwas hat. Die Gefahr ist nur, dass, wenn die Konflikte immer schärfer werden, sie länger im Gefängnis ist.“

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) hat am Montag in Ulm der Bundestags­abgeordnet­en Hilde Mattheis Wahlkampfh­ilfe geleistet. Das Medieninte­resse an Gabriel war groß: Vor allem Fragen nach der in der Türkei inhaftiert­en deutschen Übersetzer­in und...

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