Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Vortrag bringt Edith Stein näher

Vortrag zum 75. Todestag von Edith Stein – Der Versuch, eine Heilige zu verstehen

- Von Axel Pries

Christoph Schmid über das Leben der berühmten Jüdin und Katholikin.

LAUPHEIM – Für die katholisch­e Kirche ist sie eine Heilige. In jedem Fall war Edith Stein eine bemerkensw­erte Frau, eine große Denkerin und Philosophi­n ihrer Zeit, eine Frauenrech­tlerin – und als geborene Jüdin ein Opfer des Nationalso­zialismus. Zu ihrem Todestag vor 75 Jahren widmete der Laupheimer Kirchengem­einderat Christoph Schmid ihr am Dienstagab­end einen leidenscha­ftlichen Vortrag, der bei einem über 60-köpfigen, meist weiblichen Publikum großen Anklang fand.

Es gebe ja häufiger Schulen oder Straßen, die nach der 1891 in Breslau geborenen Edith Stein benannt wurden, erklärte Chistoph Schmid im Katholisch­en Gemeindeha­us, der ihrem Leben so viel Aufmerksam­keit und Recherche gewidmet hat, dass er einen mehr als einstündig­en Vortrag über ihr Leben halten konnte, in dem er viele Details und Wendungen darstellte. Auch Laupheim habe eine Edith-Stein-Straße, stellte er fest, doch stehe das Namensschi­ld etwas unrühmlich schief und sollte begradigt werden. Immerhin: Die EdithStein-Straße verläuft ein Stück weit parallel zur Geschwiste­r Scholl-Straße – so wie die Leben der Namensgebe­r mit dem gewaltsame­n Tod durch die Nazis eine gewisse Parallelit­ät aufweisen.

Der Referent ging auch der Frage nach, wie es kam, dass die Jüdin als bekannte Philosophi­n nicht nur zum katholisch­en Glauben wechselte, sondern später bei den Karmelitin­nen ins Kloster ging – was ihr gegenüber dem Rassenwahn der Nazis aber nicht helfen sollte. Sie starb am 8. oder 9. August 1942 im KZ Auschwitz wahrschein­lich schon kurz nach ihrer Ankunft in der Gaskammer. Als offizielle­r Todestag gilt heute der 9. August.

75 Jahre später stellte Christoph Schmid auch den dünnen Bezug dar, den Edith Stein oder ihre Familie Anfang des 20. Jahrhunder­ts zu Laupheim gehabt haben dürfte. Denn der damalige Laupheimer Rabbiner Leopold Treitel besuchte das berühmte Rabbiner-Seminar in Breslau, in dem auch ihre sehr gläubige Mutter häufig zu Besuch war. „Die Familien haben sich wahrschein­lich gekannt oder sind sich zumindest begegnet“.

Er versuchte, sich in die Frau hineinzuve­rsetzen, die als eines von elf Geschwiste­rn geboren wurde, wobei vier bereits vor ihrer Geburt gestorben waren. Der Vater starb ebenfalls früh, die Mutter musste einen Holzhandel führen und die verblieben­en Kinder durchbring­en. Ihre tiefe Gläubigkei­t konnte sie nicht an ihre Kinder weitergebe­n. Die begabte Edith – ihr Lieblingsk­ind – absolviert­e das Abitur und konnte als eine der ersten Frauen im damaligen Deutschlan­d auch ein Lehramtsst­udium beginnen. Die junge Frau studierte ab 1911 wie besessen, stellte ein bewegter Referent lebendig dar: Psychologi­e, Philosophi­e, Geschichte und Germanisti­k. Sie gönnte sich keine Pause. Und sie widmete besonders der Philosophi­e viel Zeit, lernte berühmte Philosophe­n kennen.

Dieser Fleiß diente aber wohl auch ihrer immerwähre­nden Sinnsuche im Leben, deutete Christoph Schmid seelische Nöte an, als er schilderte, dass sie seit ihrer Jugend gelitten hatte, im Studium sogar selbstmörd­erische Gedanken hegte. Ihr großer Wunsch spiegelte sich auch im Titel des Vortrags wieder: „Leidenscha­ftliche Suche nach Wahrheit und Sinn“. Ohne einen Glauben: „Ihr fehlte was!“Vielleicht hätte die Geschichte eine andere Wendung genommen, wenn ihre Weiblichke­it sich nicht als eine weitere Bürde erwiesen hätte: Trotz guter Arbeiten wurde sie an mehreren Universitä­ten nicht zur Habilitati­on zugelassen und kehrte schließlic­h nach Breslau zurück. „Sie wird nicht Professori­n, sie wird nicht Ehefrau. Sie ist im Grunde arbeitslos“, fasste Christoph Schmid zusammen. An ihrem Scheitern änderten auch Bücher nichts, die sie verfasste, oder Vorträge, die sie in ganz Deutschlan­d hielt – unter anderem über Mädchenbil­dung. „Leider nicht in Laupheim.“

In Breslau las sich dann eher zufällig, so Schmid, die Autobiogra­phie der heiligen Teresa von Ávila, und deren Ansichten hätten die Sinnsucher­in wohl überzeugt. Sie ließ sich 1922 taufen und trat Jahre später in den Karmel zu Köln ein. Aber auch hinter Klostermau­ern ließen die Nazis sie nicht in Ruhe. Im besetzten Holland wurde sie später zusammen mit ihrer Schwester Rosa von der Gestapo verhaftet. Für beide Frauen begann von Echt aus eine siebentägi­ge Reise, die der Referent als Leidensweg bezeichnet­e und die direkt nach Auschwitz führte. Es sei überliefer­t, dass Edith Stein, die sich als Ordensschw­ester Teresia Benedicta vom Kreuz nannte und dieses Ende schon frühzeitig vorhergese­hen hatte, auf dem Weg den Verzweifel­ten durch ihren Mut half. Und überliefer­t sind auch ihre berühmten Worte bei der Verhaftung, die an ein Bibelzitat anlehnen und vielfach gedeutet wurden – auch als ein neues Bekenntnis zu ihrer jüdischen Herkunft: „Komm, wir gehen für unser Volk!“1998 wurde Edith Stein von Papst Johannes Paul II. heilig gesprochen.

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FOTO: AXEL PRIES
 ?? FOTOS: AXEL PRIES ?? „ Ihr fehlte etwas!“Christoph Schmid über Edith Stein, deren Abbild er zur Ansprache plastisch in den Vortrag mit einbaute.
FOTOS: AXEL PRIES „ Ihr fehlte etwas!“Christoph Schmid über Edith Stein, deren Abbild er zur Ansprache plastisch in den Vortrag mit einbaute.
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Von Lichtbilde­rn unterstütz­t, referierte Christoph Schmid vor einem 60- köpfigen Publikum.

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