Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Gruseln im sagenumwobenen Wurzacher Ried
Kriminalkommissar Detlef Stoll führt mit Schauergeschichten durchs Moor
BAD WURZACH (lsw) - „Riesenmaul, Haufen Zähne.“So beschreibt Detlef Stoll die sagenhaften Hakenmänner, die am Rande des Wurzacher Riedes auf Wanderer lauern, um sie in die Tiefe zu ziehen. Auch sogenannte Aufhocker warten gerne in der Dämmerung und springen ahnungslosen Menschen auf den Rücken. Dann wachsen sie und werden größer, bis ihre Opfer unter der Last im Morast versinken. Solche Mythen und Legenden sind die Leidenschaft eines oberschwäbischen Kriminalhauptkommissars – bei „Moorleichen-Führungen“verbindet er sie mit seiner Passion für die Natur.
Nach 40 Jahren als Polizist, mehr als 20 davon bei der Kriminalpolizei, lehrt Detlef Stoll heute an der Biberacher Hochschule für Polizei die Fächer Strafrecht und Kriminalistik. Erholung findet der 58-Jährige aus Fronreute im Kreis Ravensburg in der Natur, führt Besucher durch die Blitzenreuter Seenplatte seiner Heimatgemeinde oder durchs Wurzacher Ried, das als größtes intaktes Hochmoor Mitteleuropas gilt. Und da die oberschwäbischen Riedgebiete Schauplatz zahlloser Legenden und Schauermärchen sind, kann der Verbrechensexperte bei seinen Führungen viel erzählen.
Moormumien aus der Eisenzeit
Dazu braucht mancher Zuhörer starke Nerven: „Bei Moorleichen kommt es durch Sauerstoffausschluss sowie Humin- und Gerbsäuren zur Mumifikation, einer Weichteilkonservierung, bei der die Gesichtszüge oft erhalten bleiben“, erklärt Stoll beim Spaziergang durchs wolkenverhangene Wurzacher Ried. „Das könnte zur Legendenbildung über Wiedergänger beigetragen haben – Untote, die aus dem Grab steigen, weil sie mit dem Leben nicht abgeschlossen haben.“Auch in Friedhöfen mit lehmigen Böden und Staunässe habe man sogenannte Fettwachsleichen gefunden, die nur teilweise verwesten. Für die berüchtigten Leichenschmatzer, die angeblich am Totentuch nagen, hat Stoll eine ganz profane Erklärung: „Das waren vermutlich Gase, die noch entwichen sind und Rülpser verursacht haben.“
Bei vielen der rund 1000 in Europa gefundenen Moormumien handelt es sich um Menschenopfer aus der Eisenzeit, erklärt Stoll. „Moore waren schon über Jahrtausende mystische Orte für Opfergaben, alle indogermanischen Stämme hatten eine Affinität zum Wasser.“So starb vermutlich der Old-Croghan-Mann als Menschenopfer, eine 2003 in Irland gefundene, mehr als 2000 Jahre alte Moorleiche. Auch die Männer von Hunteburg, 1949 bei Osnabrück beim Torfabbau entdeckt, wurden im 3. oder 4. Jahrhundert vermutlich rituell getötet.
1994 machte eine im Wurzacher Ried gefundene „Moorleiche“Schlagzeilen – Stoll half als junger Kriminalbeamter bei der Aufklärung: Der von Vermessungsstudenten der Universität Hohenheim entdeckte Schädel wurde einer seit 1987 vermissten jungen Frau zugeordnet, 18 Jahre nach ihrem Tod verurteilte das Landgericht Ravensburg 2005 ihren Ex-Freund wegen Mord zu lebenslanger Haft – er hatte sie aus Eifersucht erschossen.
Stolls Führung „Tod im Moor“ist eine von mehr als 160 Veranstaltungen, die das Naturschutzzentrum in Bad Wurzach anbietet. Auch Relikte der 1996 eingestellten Torfproduktion tauchen bei der Wanderung durch die sagenumwobene Landschaft auf: Verladestationen, alte Schuppen und verrostete Loren künden von mehr als 200 Jahren Torfabbau in dem 1800 Hektar großen Gebiet.
„Mit einer Führung zu Moorleichen wollten wir einen etwas anderen Ansatz zur Erforschung des Moors bieten“, sagt Sprecherin Heike Gumsheimer. Ganz ohne Gruselgeschichten bietet die Erlebnisausstellung „Moor extrem“im Naturschutzzentrum weitere Einblicke in den geheimnisvollen Lebensraum.