Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Rißegger fiebern Sonnenfinsternis entgegen
Christa und Dirk Dreusicke erleben heute in Amerika das Naturschauspiel zum zwölften Mal
RISSEGG - Der Mond schiebt sich zwischen Sonne und Erde, die Temperaturen sinken, es wird mitten am Tag für kurze Zeit Nacht: In den USA gibt es am heutigen Montag eine totale Sonnenfinsternis (Sofi) zu beobachten. Unter den Millionen Zuschauern wird auch ein Ehepaar aus Rißegg sein. Christa und Dirk Dreusicke reisten vor einer Woche nach Seattle.
Vor etwa einem Jahr haben sie mit den Planungen für die Reise der besonderen Art begonnen. „Bereits damals war es uns nicht mehr möglich, eine Unterkunft im Totalitätsstreifen zu reservieren“, sagt Dirk Dreusicke. In dem etwa 100 Kilometer breiten Streifen von der Küste Oregons im Nordwesten bis hinüber an die Küste South Carolinas im Südosten ist das Naturschauspiel am besten zu beobachten. Um möglichst zügig mit dem Mietwagen in den genannten Bereich zu kommen, haben die Dreusickes drei Unterkünfte in einem Umkreis von 1000 Kilometern ausgewählt. Sie alle liegen in der Nähe eines Highways. Er sagt: „Wo wir genau übernachten werden, entscheiden wir erst, wenn wir wissen, wie das Wetter wird.“Denn die verfinsterte Sonne mit ihrer strahlend hellen Korona ist von der Erde aus nur dann zu sehen, wenn der Himmel nicht von Wolken verdeckt wird.
Unter Tischen versteckt
Wie man so ein Abenteuer angeht, wissen die beiden Rißegger nur allzu gut. In den vergangenen 34 Jahren haben sie mehrere Sofis hautnah mitverfolgt; er elf, sie neun an der Zahl. Angefangen hat alles im Jahr 1983 auf der indonesischen Insel Java in Surabaya. „Ich war an einem astronomischen Institut in Heidelberg beschäftigt und habe dort von der bevorstehenden Sofi in Indonesien erfahren“, sagt Dirk Dreusicke. Also plante das Paar seine Hochzeitsreise auf Bali so,
dass sie am Tag der Sofi einen Abstecher nach Surabaya machen konnten. „Wir haben das Ereignis im dortigen Zoo beobachtet“, erinnert sich Christa Dreusicke. Es sei spannend zu sehen gewesen, wie sich Tiere und Menschen verhielten: „Manche Menschen sind vor Schreck unter Tische und Bänke gekrochen.“
Beide hat die Sofi-Faszination seit diesem Tag nicht mehr losgelassen.
„Eine Sonnenfinsternis ist das für die Menschen harmloseste Naturereignis“, sagt der Physiker Dirk Dreusicke. Vorausgesetzt, man schaue mit einer Filterfolien-Brille in die glühende Sonne, so lange sie noch nicht total vom Neumond bedeckt wird.
Er erinnert daran, welch große Bedeutung die Sofi im Christentum spielt. So sei in mehreren Evangelien über eine Verdunklung des Himmels
um die Mittagszeit bei der Kreuzigung von Jesus zu lesen, wie der Rißegger berichtet. Heute seien die Wissenschaftler in der Lage, totale Sofis exakt voraus-, aber auch zurückzurechnen. Etwa im Jahr 30 A. D. habe es tatsächlich eine totale Sofi gegeben, die um die Mittagszeit direkt durch Jerusalem lief. Um eine Wiederholung dieses unglückseligen Ereignisses am Tag der Auferstehung (Ostersonntag) zu verhindern, sei von der Kirche in späteren Jahrhunderten Ostern so festgelegt worden, dass eine totale Sofi auch theoretisch nicht mehr möglich war, sagt Dirk Dreusicke. Ostern finde am ersten Sonntag nach dem ersten FrühlingsVollmond statt, um möglichst viele Tage von einem Neumond entfernt zu sein. Er erklärt: „Eine Sonnenfinsternis kann nur im Zusammenspiel mit einem Neumond stattfinden.“
Auf Reise entstehen viele Fotos
Seine Frau hat sich von der Begeisterung ihres Mannes mitreißen lassen. Christa Dreusicke ist ebenfalls ganz fasziniert von dem Verhalten der Menschen: „Von Kultur zu Kultur unterscheidet sich das immens.“In aufgeklärten Gesellschaften wüssten die Menschen meistens, was sie erwartet. In weniger aufgeklärten Kulturkreisen sei eine große Verunsicherung, sogar die Angst vor einem Weltuntergang zu spüren. Das war beispielsweise im Jahr 1994 im Norden Paraguays so: „Die Indianer haben sich in den Kellern versteckt. Als alles vorbei war, haben sie gefeiert, als ob es keinen Morgen mehr gäbe.“
Bei diesen Reisen sind unzählige Bilder entstanden – auch von der Sofi an sich. Dies gestaltet sich nicht immer als einfach, denn schließlich fotografiert man so ein Motiv nicht alle Tage. Und dann kommt noch die kurze Zeitspanne hinzu. Die längste Sofi, die Dirk Dreusicke miterlebt hat, war 1991 in Baja California (Mexiko) mit einer Dauer von sechseinhalb Minuten. Jene in Nordamerika wird etwa zwei Minuten zu sehen sein.
„Ich habe mein entsprechendes Equipment mit dabei, um Fotos und Filme machen zu können“, sagt Dirk Dreusicke. Aber im Lauf der Jahre habe er seine Ausrüstung etwas reduziert: „Man muss bei so einem Ereignis einen Kompromiss eingehen. Wenn man zu viel mit der Technik beschäftigt ist, bleibt keine Zeit mehr, um das Naturschauspiel zu genießen.“ Trotzdem entstehen immer Dutzende Fotos, die auch das Geschehen drumherum zeigen. In Sambia (südliches Afrika) beispielsweise wurde 2001 von der Regierung ein arbeitsfreier Tag gewährt. Wie Bilder der Dreusickes zeigen, feierten die Zuschauer das Ereignis begeistert.
Was sie bei der heutigen Sofi in Nordamerika erwartet, wissen die beiden noch nicht im Detail. Aber ganz stressfrei wird dies voraussichtlich nicht ablaufen, denn, wie mehrere Medien berichten, werden Millionen Beobachter erwartet. Das sorgt vermutlich für viele verstopfte Straßen. Christa und Dirk Dreusicke hoffen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein: „Glück gehört natürlich immer dazu.“