Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Den lautlosen Jägern auf der Spur
Die Kirchheimer Klosterkirche ist ein bedeutendes Fledermausquartier – Manchen geht der Schutz der nachtaktiven Tiere zu weit
KIRCHHEIM AM RIES - „Da! Noch eine!“Gerd Höhenberger steht vor der ehemaligen Klosterkirche Kirchheim. Lautlos huscht eine Fledermaus nach der anderen aus dem Dach. Eine dreht Runden über dem Klosterhof. „Das ist ein Junges, das fliegt noch nicht so zielgerichtet wie die Erwachsenen.“Für den Fledermauskenner Höhenberger ist es jedesmal eine „Sternstunde, ach was, ein ganzer Sternenkosmos“, wenn er die Tiere sieht: „Wisst ihr, dass ich euch gerettet habe?“, ruft er in die Dämmerung hinaus.
Gerd Höhenberger redet nicht nur mit Fledermäusen. Sie sind seine Welt. Der 76-Jährige krümmt sich zusammen, um zu demonstrieren, wie die lautlosen Jäger Mücken und Nachtfalter mit der Schwanzflughaut erhaschen. Er erzählt mit vollem Körpereinsatz, wie er eine Fledermaus, die er einmal auf seinem Dachboden in Pflege hatte, mithilfe eines Betttuchs gefangen hat.
Bedrohte Breitflügelfledermaus
In der ehemaligen Klosteranlage Kirchheim am Ries im Ostalbkreis mit der heutigen Pfarrkirche und den alten Wirtschaftsgebäuden der Gartenanlage beobachtet er die fliegenden Säugetiere seit Jahrzehnten. In Kirchheim sind es vor allem die Breitflügelfledermäuse, die sich jedes Frühjahr zu Dutzenden einfinden, um ihre Jungen auszubrüten. Das Dach der ehemaligen Klosteranlage beherbergt fast zehn Prozent des Bestandes dieser bedrohten Art in ganz Baden-Württemberg. Schon einmal wurden die Tiere vertrieben, aus einem Nebengebäude des Klosters, das lange als Altenheim diente. Hier wurde das Dach Ende der 1980er-Jahre abgedichtet, gedämmt, mit giftigem Holzschutzmittel behandelt. „Die Wochenstube war weg“, klagt Höhenberger, denn: „Fledermäuse sind konservativ, sie reagieren empfindlich, wenn sich etwas in ihrem Umfeld ändert.“
Zum Glück zog die Kolonie damals aber nur um, ins benachbarte, löchrige Kirchendach. Schließlich sind die Bedingungen rund um Kirchheim fast ideal. „Auf den artenreichen Magerrasen in den Naturschutzgebieten Blasienberg, Goldberg und Ipf finden sie ausreichend Nahrung“, sagt Martin Weiß, Leiter der Umweltgruppe Kirchheim. Die Wasserfledermaus jagt an den nahen Flüsschen Sechta und Eger.
Schwerer haben es Arten, die auf alte Waldbestände angewiesen sind. Einige Kilometer weiter, im landwirtschaftlich intensiv genutzten Rieskrater, werden die Insekten weniger und damit, befürchten Naturschützer, auch die Fledermäuse. Im Mai 1995 schrillten bei Höhenberger das Telefon – und die Alarmglocken. Der Kirchheimer Gemeindepfarrer teilte ihm mit, dass das marode Kirchendach nun saniert werden sollte. Naturschützer Höhenberger setzte alle Hebel in Bewegung, mobilisierte Bekannte bei Landratsamt und Regierungspräsidium, wurde beim Umweltministerium und der Diözese Rottenburg vorstellig. Bei einer Begehung auf dem Gerüst sprach der Mann vom Regierungspräsidium schließlich die rettenden Worte: „Ich lasse euch den Bau einstellen, wenn ihr nicht kooperiert.“Pfarrer und Baufirma stimmten notgedrungen zu. Es gab einen halbjährigen Baustopp im Sommer und die Fledermäuse durften Ende August unbehelligt ausschwärmen, um sich in aller Ruhe ein Winterquartier zu suchen. Sie kamen im nächsten Jahr wieder.
So leicht ist es nicht immer. Das weiß auch Markus Schmid von der AG Fledermausschutz Baden-Württemberg. Mit vier Mitstreitern ist der Heidenheimer in der Region Ostwürttemberg unterwegs. Sie zählen die Ausflüge aus den Quartieren, registrieren die Ultraschalllaute der Fledermäuse mit hochempfindlichen Detektoren, betreuen 600 Nistkästen, beraten Häuslebauer oder Architekten beim artgerechten Umbau von Quartieren und geben Tipps, wenn sich Fledermäuse in Wohnräume verirren und durch ihre Panikrufe weitere Artgenossen anlocken. Sie hüten auch Fledermaus-Paradiese wie die Hessenloch-Höhle bei Königsbronn, in der rund 1000 Tiere überwintern oder die riesige Wochenstube des Großen Mausohrs im Kirchendachstuhl von Röttingen.
In Deutschland sind 25 Fledermausarten heimisch. Alle sind sie durch mehrere Gesetze und Richtlinien geschützt: von der häufigen Zwergfledermaus bis zur nahezu ausgestorbenen Großen Hufeisennase. Dennoch dringen zum Ärger der Naturschützer immer wieder Neugierige selbst in versiegelte Höhlen oder Brauerei-Eiskeller ein und stören sensible Winterquartiere.
Das kleine, pelzige Raubtier hat viele Fans: „Noch nie haben so viele Menschen in ihrer Freizeit Fledermäuse beobachtet wie heute“, glaubt Höhenberger. Vorbei die Zeiten, in denen ein bayerischer Umweltschützer von einem Pfarrer zu hören bekam: „Diese Teufel lasse ich nicht in meine Kirche.“Passé die Legenden, Fledermäuse würden Frauen in die hochtoupierten Haare fliegen oder gar zubeißen. „Die Wahrscheinlichkeit, sich als Mensch mit Tollwut durch Fledermäuse zu infizieren, ist geringer als ein Sechser im Lotto“, schreibt der Umweltverband Nabu auf seiner Webseite. Heute sind es andere Konflikte. Etwa um die Sauschwänzlebahn, eine bei Touristen beliebte Zugstrecke im Schwarzwald. In einem ihrer Tunnel überwintern mehr als 200 Mopsfledermäuse. Der Streit zwischen Tierschützern und Eisenbahnern ging mehrfach vor Gericht. Ob und wann Züge durch den Tunnel fahren dürfen, ist seit Jahren ein Streitpunkt. Fledermausschützer wenden sich vor allem gegen Pläne, im Winter einen „Nikolaus-Dampfzug“durchfahren zu lassen: Die höchst seltenen Tiere würden dadurch quasi unter heißem Dampf geröstet, fürchten sie. Auch die geplante Reaktivierung der sogenannten Hermann-Hesse-Bahn im Kreis Calw, ebenfalls bedeutendes Quartier für die Mopsfledermaus, bereitet Naturschützern Sorgen.
Zug gegen Fledermaus
Windräder, die Zwergfledermäuse töten, Umgehungsstraßen durch Jagdgebiete, Dachsanierungen, die ganze Kolonien vertreiben: Wo Menschen in die Natur eingreifen, prallen die Interessen aufeinander. Was ist mehr wert? „Es gibt Ansätze der sogenannten Ecosystem Services, die versuchen, den ,Wert’ von Naturräumen und Ökosystemen zu monetarisieren“, erklärt Janpeter Schilling, Juniorprofessor für Landnutzungskonflikte an der Universität KoblenzLandau: „Zwei Punkte wären hier die Bedeutung der Fledermäuse für den Tourismus und vor allem wie selten die Tiere sind.“Sein Rat für solche Konfliktsituationen: Alle Beteiligten an einen Tisch bekommen, einen Vermittler einsetzen, der von allen anerkannt wird und der die verschiedenen Sichtweisen vermittelt. „Wichtig ist bei jedem Projekt die Kommunikation, das heißt: Wie und wann werden Pläne kommuniziert und wie sieht es mit der Teilhabe der Betroffenen aus?“, so Schilling.
Um einen Kompromiss ringen die Beteiligten auch im Fall des Härtsfeldbahn-Tunnels bei Aalen. Bis zum Jahr 1972 ratterten hier die Züge der nun stillgelegten Linie Aalen-Dillingen durch. Nun ist der Tunnel zugemauert. Es herrscht im Winter bei konstanten acht Grad eine Luftfeuchtigkeit von 85 Prozent: ideal für die Großen Mausohren. Bis zu 40 von ihnen überwintern im Tunnel, dazu weitere Arten wie Braune Langohren, Wasser-, Bechstein-und Fransenfledermäuse.
Auf der ehemaligen Bahntrasse – bis kurz vor dem Tunnel – verläuft allerdings auch ein Wanderweg, den viele gerne als kombinierten Radund Wanderweg zwischen Aalen und seinen Teilorten auf dem Härtsfeld ausbauen möchten. Zu denen, die den 100 Meter langen Tunnel öffnen möchten, gehört Manfred Traub, Ortsvorsteher von Aalen-Ebnat. Er führt verschiedene Argumente wie die Sicherheit der Radfahrer, eine geringere Steigung und eine Anbindung Aalens an das Härtsfeld sowie ein bestehendes Radwegenetz an. Das Fledermausquartier möchte er gerne mit einer „Zwischendecke, zum Beispiel mit entsprechender Isolierung“im oberen Teil des Tunnels erhalten. „Nach Untersuchungen zur Öffnung des Tunnels bleibt die Trasse der Härtsfeldbahn für mich in der Abwägung aller Sachargumente die überzeugend einzig richtige Alternative. Natürlich auch mit Verbesserungen für ein normales Miteinander für Fußgänger und Radfahrer“, drückt sich Traub aus.
„Wir sind keine kompromisslosen Ideologen oder Verhinderer“, entgegnet Fledermausschützer Markus Schmid, weist aber darauf hin, dass eine Öffnung des Tunnels das stabile Klima in dem Quartier zerstören würde. Außerdem, so Schmid, habe sich bei anderen Tunneln gezeigt, dass Zwischendecken von den Fledermäusen nicht angenommen würden: „Und es handelt sich hier immerhin um eines der Top-Fünf-Winterquartiere des Großen Mausohrs in Ostwürttemberg. Es gibt genügend Alternativen, ohne den Tunnel öffnen zu müssen.“Dies könnten Forstwege sein, die dann als Umgehung ausgebaut würden: als reiner Wanderweg, wie ebenfalls einige Bürger fordern oder als kombinierter Rad- und Fußgängerweg. Noch ist im Aalener Gemeinderat keine Entscheidung gefallen: Ein runder Tisch mit allen Beteiligten soll sich um die bestmögliche Lösung bemühen. Die Stadt untersucht derzeit verschiedene Varianten.