Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Bock auf Politik

Erneut hieß es in Kooperatio­n mit Unicef: „Jugendlich­e übernehmen die Schwäbisch­e“– Im Fokus stand die anstehende Bundestags­wahl

- Von Jasmin Off

Hätten Jugendlich­e in diesem Land das Sagen, dann wäre der vergangene Sonntag anders verlaufen. Statt Claus Strunz wäre Youtuber LeFloid beim TV-Duell der Spitzenkan­didaten zur Bundestags­wahl als Moderator angetreten, statt über die Maut und den letzten Kirchgang hätten Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) über Gleichbere­chtigung, Klima und Bildung diskutiert.

Diese Themen nämlich beschäftig­en die jungen Menschen in diesem Land am meisten – das zeigt auch die Neuauflage des Projekts „Jugendlich­e übernehmen die Schwäbisch­e“. Die bundesweit einzigarti­ge Kooperatio­n mit dem Kinderhilf­swerk Unicef ging in dieser Woche in eine neue Runde, junge Nichtwähle­r zwischen 14 und 17 Jahren übernahmen für fünf Tage die Redaktion und setzten ihre politische­n Wünsche in journalist­ische Ideen um – erstmals als digitale Multimedia­reportage.

Bereits dreimal, zuletzt 2016, hatten Schüler bei der „Schwäbisch­en Zeitung“jeweils für eine Zeitungsau­sgabe das Zepter in der Hand. 2016 erhielt das Projekt vom Weltverban­d der Zeitungen und Nachrichte­nmedien bei einer Preisverle­ihung in Washington dafür den „World Young Reader Prize“verliehen.

Thematisch stand dieses Mal die Bundestags­wahl am 24. September im Fokus, und schnell wurden die abstrakten Fragen, wie sich Jugendlich­e die Zukunft vorstellen, konkret: Wie können sich Frauen in männerdomi­nierten Unternehme­n durchsetze­n? Warum droht einem Flüchtling in Ausbildung die Abschiebun­g? Und wann werden wir wegen des Klimawande­ls nicht mehr Ski fahren können? Mit diesen und vielen weiteren Fragen gingen die Nachwuchsr­edakteure am Montag in die Rechereche, schon bald folgten Termine, Interviews und Videoaufze­ichnungen.

Breites Themenspek­trum

So wurde Linke-Urgestein Gregor Gysi zum Thema Wahlrecht mit 16 („Bin immer dafür“) und zu seinem Verhältnis zu Sahra Wagenknech­t befragt („Sie müssen ja mal überlegen, mit wem ich das schon alles im Bundestag ausgehalte­n habe“). Satiriker und „Die Partei“-Vorsitzend­er Martin Sonneborn erläuterte seine geplante Strategie im Umgang mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan sowie den Anhängern der AfD. Schauspiel­er und Umweltakti­vist Hannes Jaenicke wurde zum Klimawande­l befragt, ein Vertreter des Netzwerkes „First Draft“zum Thema Fake News. In einem Doppelinte­rview mit den Unicef-Paten und Künstlern Fetsum Sebhat und Tedros Tewelde wollten die Jugendlich­en wissen, wie es ist, als Flüchtling nach Deutschlan­d zu kommen und wie Musik den beiden bei der Integratio­n geholfen hat.

Berührungs­ängste mit Prominente­n? Fehlanzeig­e. Die Jugend, unpolitisc­h? Ein viel beschworen­er Mythos. Denn nah dran an der Politik sind viele der Jugendlich­en ohnehin in ihrem Alltag – trotz oder gerade wegen der fehlenden Berechtigu­ng, wählen zu dürfen. Gesellscha­ftliches Engagement wie Hausaufgab­enhilfe für Flüchtling­e oder die Arbeit für eine Klimaschut­zorganisat­ion – auch bei den Teilnehmer­n der Projektwoc­he ist das eher Regel als Ausnahme.

Politik im Netz

So wie ein Leben im Netz. Während die etablierte­n Parteien hierzuland­e mit ihren Facebookau­ftritten und viralen Videos noch das Neuland erkunden, haben sich für Jugendlich­e längst zahlreiche Internetka­näle für politische Bildung etabliert. Youtuber wie MrWissen2g­o oder Videoforma­te wie „PoliWhat“locken zu Themen wie „So funktionie­rt das Wahlsystem“oder „Vor-und Nachteile von TTIP“regelmäßig Tausende junger Zuschauer an.

Als konsequent­e Weiterentw­icklung des Projekts erscheinen die Beiträge von „Jugendlich­e übernehmen die Schwäbisch­e“daher in diesem Jahr ebenfalls in einer umfassende­n Multimedia­reportage auf schwäbisch­e.de – ergänzt durch digitalen Zusatzinha­lt. „Grund für das digitale Format war, dass sich viele Jugendlich­e sehr wohl für die Themen der ,Schwäbisch­en Zeitung’ interessie­ren, doch sie rufen die Informatio­nen oft mobil ab“, sagt Chefredakt­eur Hendrik Groth. Deshalb betreuten die Teilnehmer nebenbei auch die digitalen Kanäle auf Facebook und Instagram mit.

Große Resonanz auf Umfrage

Dass politische Wünsche und Forderunge­n aber nicht nur abstrakt im Netz stattfinde­n, sondern auch im echten Leben ankommen sollen, das haben Tausende Jugendlich­e schon vor einigen Wochen signalisie­rt. Projektpar­tner Unicef hatte Nichtwähle­r vor der Wahl aufgerufen, bei einer Umfrage zu gesellscha­ftlich relevanten Themen mitzumache­n – die enorme Resonanz überrascht­e selbst die Organisato­ren. Die Ergebnisse werden den Politikern in Berlin überreicht.

Jungen Menschen eine Stimme für ihre Anliegen zu geben – das ist seit Beginn an das Ziel der gemeinsame­n Aktion von Kinderhilf­swerk und „Schwäbisch­er Zeitung“. „Es gibt keine Politik, die Jugendlich­e nicht betrifft“, erklärt Christian Schneider, Geschäftsf­ührer von Unicef Deutschlan­d. „Deshalb freue ich mich, dass die ,Schwäbisch­e Zeitung’ auch in diesem Jahr mit unserer gemeinsame­n Aktion den Stimmen der Jugendlich­en mehr Gewicht gibt und ihnen eine starke Plattform bietet.“

„Der Klimawande­l muss auf Dauer verhindert werden.“ Jacob Herz, 14 Jahre, Otl-Aicher-Realschule Leutkirch „Mit einer Mauer macht man ein Problem unsichtbar, löst es aber nicht.“ Timo Schell, 15 Jahre, WelfenGymn­asium Ravensburg „Menschen sollen sich politisch bilden, Quellen hinterfrag­en und nichts einfach blind glauben.“ Florian Wiesner, 16 Jahre, St. Konrad Ravensburg „Ein Wahlrecht mit 16 Jahren ist längst überfällig.“ Jakob Groth, 16 Jahre, WelfenGymn­asium Ravensburg „Kulturelle Arbeit bringt Einheimisc­he, Flüchtling­e und alle Menschen zusammen.“ Paula Halder, 17 Jahre, Hans-Multscher-Gymnasium Leutkirch „Frauen haben das Gleiche verdient wie Männer, weil von ihnen das gleiche verlangt wird.“ Theresa Thumm, 15 Jahre, WelfenGymn­asium Ravensburg „Politiker machen nur Politik für ihre Wähler, nicht für junge Menschen.“ Franziska Leuthner, 15 Jahre, Immanuel-Kant-Gymnasium Tuttlingen „Eine Reduzierun­g von Plastikmül­l sollte in allen Bereichen eingehalte­n werden.“ Kalle Holland, 15 Jahre, MontfortGy­mnasium Tettnang „Flüchtling­e sollten mehr Chancen und weniger Hürden auf dem Arbeitsmar­kt haben.“ Jan Goller, 17 Jahre, Kreisgymna­sium Riedlingen

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FOTOS: DANIEL DRESCHER Recherchie­ren, debattiere­n, auswählen und umsetzen: Die Jugendlich­en bei Schwäbisch Media in Ravensburg während der Redaktions­arbeit.
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