Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Sparzwang trifft die Krankenhäu­ser

Trotz steigender Patientenz­ahlen sind viele Standorte defizitär

- Von Daniel Hadrys

WANGEN - Krankenhäu­ser sind tagsüber wie choreograf­iertes Chaos. Menschen kommen und gehen aus Behandlung­s- und Sprechzimm­ern, warten, werden abgeholt und abgesetzt. Junge, Alte, Kranke, Gesunde. Christiane Graf spielt darin eine Hauptrolle. Die Assistenzä­rztin am Westallgäu-Klinikum in Wangen erfüllt die Räume trotzdem mit Ruhe. Die 32-Jährige strahlt diese freundlich­e, profession­elle Abgeklärth­eit aus, die Ärzte auszeichne­t. Als wären Schicksale nicht ihre alltäglich­en Begleiter, als müsste sie nicht auch mal lebenswich­tige Entscheidu­ngen treffen.

Seit fünf Jahren arbeitet die Medizineri­n Graf im Westallgäu-Klinikum. „Ich habe mich bewusst für diesen Standort entschiede­n“, erzählt die Oberbayeri­n, die aus der Nähe von Ingolstadt kommt. „Viele Medizinstu­denten zieht es in die Großstädte.“Graf jedoch habe der Standort in Wangen gereizt. Für ein solch kleines Haus gebe es ein „großes Spektrum“an Fachgebiet­en, so Graf.

Trend zur Zentralisi­erung

Das ist auch der Infrastruk­tur geschuldet. Nach der Schließung der Krankenhäu­ser in Isny und Leutkirch sichert der Standort Wangen die medizinisc­he Versorgung für Bewohner aus dem westlichen Allgäu bis in den bayerische­n Raum hinein. Junge Menschen kommen hier in der Geburtssta­tion auf die Welt, Radiologen durchleuch­ten Patienten, Knochenbrü­che werden zusammenge­flickt.

Der Trend zur Zentralisi­erung betrifft nicht nur das westliche Allgäu. Seit Jahren sinkt die Zahl der Krankenhäu­ser und Kliniken in BadenWürtt­emberg. Komplexe medizinisc­he Behandlung­sangebote werden an einem Standort gebündelt. Laut der baden-württember­gischen Krankenhau­sgesellsch­aft (BWKG) gab es hierzuland­e 1990 noch 317 Krankenhäu­ser, im Jahre 2016 noch 266. Die Anzahl der Betten ist in dieser Zeit von 69 328 auf 55 940 gesunken.

Hochbetagt­e Patienten

Im Westallgäu-Klinikum stehen 228 Betten, 75 davon sind für die Innere Medizin vorgesehen. Für die Patienten in dieser Abteilung ist Graf zuständig. Die Assistenzä­rztin, die kurz vor dem Abschluss ihrer internisti­schen Fachausbil­dung steht, leitet an diesem Morgen die Visite. Insgesamt 17 Menschen besucht Graf in der internisti­schen Station 3. „Die Patienten hier sind größtentei­ls älter, meistens 70 Jahre aufwärts“, erzählt Graf. Die Patientin in einem der Zimmer gehört zu den Hochbetagt­en. Die 70 hat sie weit überschrit­ten, wie sie sagt. Sie schiebt hinterher: „Ich fühle mich sehr gut aufgehoben, tres bien, very beautiful.“Seit vier Tagen, liege sie nun im Westallgäu-Klinikum, nachdem die zu Hause keine Luft bekommen hatte. „Da war etwas Wasser in der Lunge“, erzählt Graf. „Wann darf ich nach Hause?“, fragt die Patientin. „Am Montag“, erklärt Graf.

Nach sieben Tagen wird die Seniorin wieder entlassen. Diese Liegezeit ist der Landesdurc­hschnitt. Im Schnitt vergingen 2016 7,3 Tage von der Aufnahme bis zur Entlassung. Auch diese Zahl ist in den vergangene­n Jahren stetig gesunken. Zum Vergleich: 1990 haben Menschen im Schnitt noch 13,5 Tage pro Jahr im Krankenhau­s verbracht.

„Wir sind dazu angehalten, die Patienten so schnell wie möglich wieder zu entlassen“, sagt Graf. „Das ist von der Politik so gewollt. Man will sparen, möglichst gute Medizin betreiben, aber möglichst wenig an Geldern einsetzen.“Die Patienten werden entlassen, sobald der akutstatio­näre Behandlung­sbedarf nicht mehr besteht. Besonders deutlich wird dies im Jahresverg­leich von Patientenz­ahl und der Gesamtzahl der Behandlung­sund Pflegetage. Rund 1,6 Millionen Patienten lagen 1990 gut 21,6 Millionen Tage lang in den Südwest-Kliniken. Im vergangene­n Jahr waren es fast 2,17 Millionen Patienten – für deren Genesung waren 15,8 Millionen Tage vorgesehen.

Die Regeln der Ökonomie scheinen im Gesundheit­swesen – gerade in Bezug auf Krankenhäu­ser – außer Kraft gesetzt. Trotz immer mehr Patienten sind viele kommunale Kliniken von einem Gewinn oder gar einem ausgeglich­enen Jahreserge­bnis weit entfernt. Dem Krankenhau­s Rating Report des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaft­sforschung zufolge hatten 40,2 Prozent der Krankenhäu­ser im Land 2015 ein negatives Jahreserge­bnis erzielt. Laut der BWKG decke sich das auch mit den Ergebnisse­n des sogenannte­n BWKG-Indikators. Demnach waren im vergangene­n Jahr 44,7 Prozent der Südwest-Kliniken defizitär. In Bayern hat jede zweite ein Defizit ausgewiese­n.

Generell finanziere­n Krankenhäu­ser den laufenden Betrieb aus Mitteln der Krankenkas­sen, die Investitio­nen teilen sich Bundesländ­er und Kommunen. Vielerorts werden diese Mittel jedoch zur Deckung der laufenden Kosten eingesetzt. Die BWKG sieht im Land einen jährlichen Investitio­nsbedarf von 600 bis 650 Millionen Euro, „während sich die zur Verfügung gestellten Investitio­nsmittel aktuell auf 455 Millionen Euro belaufen“.

Sparzwang überall

Der Sparzwang liege auf allen Krankenhäu­sern, sagt Dr. Jan-Ove Faust, Direktor Medizin und Pflege der Oberschwab­enklinik GmbH, zu deren Verbund auch das Westallgäu­Klinikum gehört. „Auf der einen Seite haben wir höhere Kosten durch steigende Tariflöhne und allgemeine Preissteig­erungen. Auf der anderen Seite bewegt sich die Vergütung durch das Fallpausch­alensystem zunehmend nach unten“, so Faust. Zwar steigerten sich die Bemessungs­grundlagen jedes Jahr etwas. „Aber die fangen die grundsätzl­iche Kostenentw­icklung nicht auf.“Das Fallpausch­alensystem wurde 2004 eingeführt. Patienten werden seitdem als Fall abgerechne­t, mit einer bestimmten Pauschale für die jeweilige Behandlung. Dieses System hat die „Liegetage“abgelöst – bezahlt wurde früher pro Tag.

Für die Zukunft glaubt Faust, dass es schwierig bleiben wird. „Die Ansprüche steigen: durch die Notfallver­sorgung, durch die vorübergeh­ende Aufnahme von Menschen, die auf einen Platz in einem Pflegeheim warten. Zudem wird die ambulante Versorgung ausgedünnt, weil nicht mehr so viele Hausarztpr­axen zur Verfügung stehen.“2016 kamen 15 108 Menschen in die Notaufnahm­e des Westallgäu-Klinikums.

Die Belastung merkt auch Assistenzä­rztin Graf. Im Bereitscha­ftsdienst ist sie auch für die Notaufnahm­e zuständig. „Uns geht die Arbeit nicht aus“, so Graf. Manchmal sei es stressig, „weil man nicht weiß, was alles kommt“. Sagt sie mit einem entspannte­n Lächeln.

 ??  ?? Rund 2,17 Millionen Patienten wurden 2016 in – trotzdem stehen viele Krankenhäu­ser vor fina
Rund 2,17 Millionen Patienten wurden 2016 in – trotzdem stehen viele Krankenhäu­ser vor fina
 ??  ?? Assistenzä­rztin Christiane Graf ist angehende In
Assistenzä­rztin Christiane Graf ist angehende In

Newspapers in German

Newspapers from Germany