Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mit Stipendien und Telemedizi­n gegen den Ärztemange­l

Probleme gibt es vor allem auf dem Land – Deutschlan­d hinkt bei Internet-Medizin hinterher

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Warum fehlen in Deutschlan­d Ärzte?

Heute absolviere­n so viele Studenten ein Medizinstu­dium wie nie zuvor. Dennoch sind einige Regionen unterverso­rgt, vor allem mit Hausärzten und bestimmten Fachärzten – etwa Arbeitsmed­izinern. Auch Kliniken suchen gerade in ländlichen Regionen händeringe­nd nach Ärzten. Immer mehr Medizinern ist der Weg zum Facharzt zu steinig: Sie müssen etwa sechs Jahre als Assistenzä­rzte in Kliniken absolviere­n. Der Arbeitsall­tag ist oft hart. Deshalb entscheide­n sich weniger Absolvente­n für den Arztberuf, sondern streben eine Anstellung beispielsw­eise im pharmazeut­ischen Bereich an. Außerdem haben niedergela­ssene Doktoren mehr Arbeit – die Bevölkerun­g wird älter, die Zahl der Patienten mit mehreren, oft schweren Erkrankung­en steigt. Und es gibt sehr viele Spezialgeb­iete in der Medizin, auf die sich die Absolvente­n aufteilen. Darüber hinaus scheiden immer mehr Ärzte aus Altersgrün­den aus und es rücken Viele angehende Mediziner scheuen ländliche Regionen.

weniger Junge nach (siehe Grafik). Der Anteil der Ärztinnen steigt, viele von ihnen wollen neben dem Beruf auch Zeit für die Familie haben und suchen daher nach Anstellung­en mit geregelten Arbeitszei­ten, statt eine eigene Praxis zu gründen.

Warum mangelt es an Hausärzten gerade auf dem Land?

Zum einen gilt das Hausarzt-Dasein vielen Medizinern als langweilig. Außerdem verdienen Ärzte in sehr dünn besiedelte­n oder sozial schwachen Regionen nicht mehr so gut wie Kollegen anderer Fachrichtu­ngen. Das liegt daran, dass dort weniger Privatpati­enten leben, deren Behandlung für Mediziner lukrativer ist. Außerdem werden etwa Hausbesuch­e schlecht von den Krankenkas­sen vergütet – weil es der Gesetzgebe­r so vorgibt. Durch die Abrechnung­smodalität­en müssen die Ärzte eine hohe Zahl von Patienten durchschle­usen. Je aufwendige­r das Drumherum, desto schwierige­r wird das. Dahinter steht der Gedanke, das Gesundheit­ssystem effiziente­r zu machen. Das ist im Kern sinnvoll, führt aber zu den genannten Nebenwirku­ngen: Das Sozialmini­sterium in Baden-Württember­g weist allein im Verbreitun­gsgebiet der „Schwäbisch­en Zeitung“mehr als 70 Gemeinden als von Hausärztem­angel akut bedroht aus. Mittlerwei­le sehen Experten eine Trendwende, die Zahl der Abschlüsse in der Allgemeinm­edizin steigt etwa laut Baden-Württember­gs Sozialmini­ster Manfred Lucha (Grüne) wieder an.

Ich warte aber auch ewig, bis ich einen Termin beim Facharzt bekomme – oder muss weit fahren.

Eine der Kernfragen in der Gesundheit­spolitik betrifft die so genannte Bedarfspla­nung. Wo braucht man wie viele Ärzte welcher Fachrichtu­ng? Diese Frage beantworte­n Gremien der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g. Dabei orientiere­n sie sich an Bevölkerun­gsstatisti­ken. Bei Hausärzten wird der Bedarf für relativ kleine Regionen berechnet – und ist dabei genauer als etwa bei Fachärzten. Deren Arztsitze werden für einen Landkreis vergeben. Das führt dazu, dass in Flächenkre­isen viele Menschen weit fahren müssen. Ein Beispiel ist der Landkreis Sigmaringe­n. Dort beklagen sich viele Eltern über lange Anfahrten. Doch laut offizielle­r Bedarfspla­nung darf sich dort kein Kinderarzt mehr niederlass­en.

Was tut die Politik?

Das Problem der unflexible­n Planung müsste der Gemeinsame Bundesauss­chuss (GBA) lösen. Darin sitzen Ärzte, Kassen und Krankenhäu­ser. Er hat zu dem Thema ein Gutachten in Auftrag gegeben. Relativ viel tut sich in Sachen Landärzte. Baden-Württember­g und Bayern fördern deren Niederlass­ung mit Landesgeld­ern. Im Südwesten flossen in den vergangene­n Jahren 1,7 Millionen Euro an rund 80 Ärzte. Zusätzlich haben Grüne und CDU ein Stipendien­programm verabschie­det. Wer sich verpflicht­et, sich zum Hausarzt ausbilden zu lassen und mindestens 60 Monate in einer unterverso­rgten Region praktizier­t, bekommt vier Jahre lang 300 Euro monatlich. In Bayern gibt es ein solches Programm bereits. Als weiteres Mittel, um die Versorgung auf dem Land zu verbessern, setzten Experten auf die Telemedizi­n.

Wie weit ist die Telemedizi­n in Deutschlan­d?

Unter Telemedizi­n versteht man verschiede­ne Möglichkei­ten, Ärzte und Patienten durch den Einsatz des Internets zu unterstütz­en. Einsatzmög­lichkeiten reichen von einer OnlineSpre­chstunde, bei der der Arzt per Video zugeschalt­et wird, bis zu elektronis­chen Patientena­kten. Viele Menschen nutzen Gesundheit­s-Apps auf dem Smartphone, etwa um Schritte zu zählen oder ihren Kalorienve­rbrauch zu erfassen. Über Pilotproje­kte sind die meisten größeren Vorhaben aber noch nicht hinaus. Baden-Württember­g hat als erstes Bundesland eigens seine Berufsordn­ung für Ärzte geändert, um telemedizi­nische Beratungen zu ermögliche­n. Das Land fördert 2017 Projekte mit 4,3 Millionen Euro , auch die Landesärzt­ekammer und die Kassenärzt­liche Vereinigun­g geben Geld. Ein zentrales Problem: Um Angebote flächendec­kend zu nutzen, müssten alle Praxen und Kliniken Zugang zu einem einheitlic­hen EDV-System haben. Hier gibt es aber erhebliche datenschut­zrechtlich­e Bedenken und technische Hürden, die unter anderem dazu führen, dass die elektronis­che Gesundheit­skarte noch immer nicht eingeführt wurde – obwohl sie bereits 2003 beschlosse­n wurde.

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FOTO: DPA

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