Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Tödlicher Gewaltexzess
Der 19-jährige Marcel H. hat einen Nachbarsjungen und einen Bekannten erstochen
BOCHUM (AFP/dpa) - Marcel H. zeigt sein Gesicht. Minutenlang lässt sich der kleine und schmächtige 19-Jährige am Freitag im Landgericht äußerlich ungerührt filmen und fotografieren. Er bestand nach Angaben seines Verteidigers auch nicht darauf, dass sein Gesicht durch Verpixelung unkenntlich gemacht wird. Im März soll Marcel H. einen neunjährigen Jungen und einen 22 Jahre alten Bekannten erstochen haben. Das Motiv für die Bluttaten soll unter anderem Mordlust gewesen sein. Bilder der schrecklich zugerichteten Leichen waren später im Internet aufgetaucht.
„Reden oder schweigen?“, fragt ihn der Vorsitzende Richter Stefan Culemann zu Beginn. Sein Verteidiger Michael Emde antwortet für ihn, dass er sich vorerst nicht äußern werde. Doch der Anwalt fügt auch hinzu, dass sein Mandant den Vorwürfen nicht entgegentrete. „Ich gewichte das als Geständnis“, sagte Emde in einer Prozesspause.
Das Opfer ins Haus gelockt
Wie brutal Marcel H. damals vorgegangen sein soll, schilderte in knappen Worten im Gericht Staatsanwalt Danyal Maibaum: Am 6. März lockte H. demnach zunächst den neunjährigen Jaden, dessen Mutter auch im Gerichtssaal sitzt, ins Haus. Er habe vorgegeben, dass er Hilfe beim Aufstellen einer Leiter brauche. Aus Mordlust soll er schließlich 52-mal mit einem Klappmesser auf das Kind eingestochen haben. „Er handelte in dem Streben danach, einen Menschen sterben zu sehen“, sagte Staatsanwalt Danyal Maibaum. Nach der Tat soll Marcel H. Bilder der Kinderleiche verschickt haben, die kurze Zeit später im Internet aufgetaucht sind. Außerdem nahm er eine Sprachnachricht auf, die ebenfalls im Netz zu hören war. Darin heißt es unter anderem „Ich habe hier gerade den Nachbarn umgebracht. Meine Hand blutet jetzt – und das ist das Einzige, was mich gerade stört.“
Danach findet er laut Anklage bei einem 22-jährigen Bekannten Unterschlupf. Ihn soll er gefragt haben, ob er ein paar Tage bei ihm wohnen könne, weil seine Eltern weggezogen seien. Am nächsten Morgen soll ihm sein Bekannter mit der Polizei gedroht haben, weil er von der Fahndung nach H. erfahren hatte. Das war offenbar sein Todesurteil. Laut Anklage hat sich ein Kampf entwickelt, in dessen Verlauf Marcel H. 68-mal zugestochen haben soll. Außerdem soll er die Geheimnummern für ein Handy und die EC-Karte erpresst haben, ehe er den 22-Jährigen schließlich mit einem Gürtel stranguliert haben soll. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sich Marcel H. noch zwei Tage in der Wohnung des 22-Jährigen versteckt hat.
Wie konnte es dazu kommen? Was ging in dem 19-jährigen Angeklagten vor? Was ist das überhaupt für ein Mensch, der dort auf der Anklagebank sitzt? Ermittler beschrieben ihn nach seiner Festnahme im März als „eiskalt“und „emotionslos“. Ein früherer Schulkamerad, der als Zeuge vor Gericht aussagt, beschreibt ihn als „kleinen Klugscheißer“, der meist allein gewesen sei. Er habe auch oft geschwänzt, weil er wohl am Computer gezockt habe.
Selbstanzeige im Imbiss
Die Betreiber eines Imbisses, in dem er sich im März selbst stellte, erzählen als Zeugen, dass er sich ruhig verhalten habe. Er kam demnach mit einem aufgespannten Schirm herein, obwohl es nicht regnete, trug Torwandhandschuhe und hatte einen Beutel Zwiebeln dabei. Er bittet, die Polizei anzurufen. Die Betreiberin des Imbisses wählt und reicht ihm den Hörer. „Sie kennen doch sicher den Marcel H. – der ruft gerade an“, sagt er laut einem im Gerichtssaal abgespielten Gesprächsmitschnitt.
Im Gericht sitzt oder steht er nun schweigend neben seinem Anwalt, zeigt praktisch keine Gefühlsregung. Nur zwei Worte sind von ihm zu hören. Als Richter Culemann ihn fragt, ob sein in den Akten angegebenes Geburtsdatum richtig sei, antwortet er klar und deutlich: „Richtig so.“H. ist 19 Jahre alt, doch der schmächtige junge Mann mit Brille sieht deutlich jünger aus. Doch mehr als äußere Eindrücke lässt er nicht zu, denn reden will er erst einmal nicht.
Die ersten Zuschauer waren schon vor sechs Uhr am Landgericht, um sich einen der knapp 60 Sitzplätze zu sichern. Die Mütter der beiden Opfer waren ebenfalls anwesend. „Eigentlich ist das alles nicht zu ertragen“, sagte die Mutter des kleinen Jaden. „Aber ich will ihn mit meinen Augen fixieren.“