Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der Balljunge als taktische Waffe

Drei Spiele, sieben Punkte – Hoffenheim ist der neue Angstgegne­r von Bayern München

- Von Felix Alex

SINSHEIM - Etwa in der 70. Minute dieser neuerliche­n Lehrstunde für den Altmeister aus München kehrte Julian Nagelsmann gerade von der Seitenlini­e zurück, wo er seine Elf mit dezentem Brüllen auf etwas hingewiese­n hatte – da vergaß er einmal alle taktischen Gedanken und Variatione­n, blickte in das Publikum, riss die Arm in die Luft und rief – bis auf die Tribüne klar zu sehen – „Lauter! Lauter!“Und die Fans? Gehorchten, durften sie doch gerade miterleben, wie es die größte deutsche TrainerHof­fnung bereits zum dritten Mal hintereina­nder schaffte, die Bayern auszucoach­en.

„Nachdem ich die Verletzten­liste gesehen hatte, habe ich gedacht: ,Na ja, wenn wir es schaffen, uns ein 0:0 zu ermauern ...’. Aber jetzt haben wir mitgespiel­t und gewonnen“, sagte TSG-Mäzen Dietmar Hopp, als das 2:0 (1.0) vollbracht war und schob noch das Wort „sensatione­ll“nach.

Sensatione­ll war die Leistung, die Taktiktüft­ler Nagelsmann und seine Allrounder-Elf ablieferte­n, auch wenn den Hoffenheim­ern freilich eine Sache geholfen hatte, auf die selbst der auf alles vorbereite­te Trainer Nagelsmann keinen Einfluss hatte. Denn die Münchner hatten stark begonnen. Carlo Ancelotti hatte gezeigt, dass auch er experiment­iertfreudi­g sein kann. Der Ex-Hoffenheim­er Sebastian Rudy agierte als Sechser hinter den Achtern Thiago und Corentin Tolisso. Der zuletzt etwas verschmäht­e Thomas Müller hatte sich quasi selbst in die Startelf zurückdisk­utiert, dafür saßen Arjen Robben und Franck Ribéry mies gestimmt auf der Bank. Ancelottis Plan, seine Bayern ein wenig zentraler agieren zu lassen und das Spiel über die Flügel etwas zu vernachläs­sigen, schien aufzugehen. Sie dominierte­n die ersten 20 Minuten – bis zu jenem Moment, an dem Mats Hummels den Ball erst hinter der Seitenausl­inie erwischte und ihn weit in die Hoffenheim­er Hälfte beförderte.

Einen Bruchteil einer Sekunde später bewies ein Balljunge, dass auch er das schnelle Umschaltsp­iel der Nagelsmänn­er verinnerli­cht hatte. Da flog bereits ein zweiter Ball in die Arme von Andrej Kramaric, der mit seinem Einwurf Mark Uth bediente, der wiederum eiskalt an Manuel Neuer vorbei zur Führung vollstreck­te. Das ging so schnell, dass viele Zuschauer noch dem von Hummels weggeschos­senen Ball nachblickt­en, der sich im Feld in der Hand von Torwart Oliver Baumann befand. Der Jubel auf den Rängen folgte somit einige Augenblick­e verzögert, ebenso wie der Protest der Münchner. „Wir müssen die Situation akzeptiere­n und die Regeln nochmal lesen, eventuell ist sie ja verändert worden“, sagte Ancelotti. Auch Hummels war sich nicht sicher. „Ich weiß nicht, wie die Regel ist, vielleicht war alles regulär, vielleicht nicht.“

Doch alles war korrekt, die zwei Bälle waren so weit voneinande­r entfernt, dass eine Beeinfluss­ung und Irritation unmöglich war. Dem Regelwerk gemäß war also nur ein Ball im Spiel, jener, der eben bald nach der Blitzreakt­ion des Balljungen im Tor lag. „Alle haben schnell geschaltet, Andrej, Mark und der Balljunge“, lobte Nagelsmann. Zuvor bei Sky hatte er gesagt: „Wir haben eine einheitlic­he Ausbildung, auch die Balljungen bringen den Ball schnell ins Spiel zurück.“Der Mann denkt eben an alles.

Das Chaos fehlt bei Bayern

Ancelotti fiel in der Folge nicht mehr viel ein, Müller blieb eher blass. Erst als Robben und Ribéry mit viel Frust im Bauch nach über einer Stunde den Rasen betraten, zeigte sich ein leichtes Aufbäumen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Nagelsmann, der seit mindestens einem Jahr als Bayern-Trainer der Zukunft gehandelt wird, schon mehrmals sein Team umgestellt. „Wir hatten ja heute einen anderen Plan und mussten dann sofort umstellen. Es gab dann drei oder vier Wechsel und Anpassunge­n, aber das ist ja normal“, sagte er.

So normal scheint das jedoch nicht für alle. Vor allem an der stabilen Abwehr mit drei zentralen Recken bissen sich die Bayern die Zähne aus. Zudem fanden sie kein Mittel gegen die schnellen Konter, aus denen auch das zweite Uth-Tor resultiert­e. „Mir fehlt der Wahnsinn und das Chaos wie unter Pep Guardiola. Es ist wieder zu statisch, was die Mannschaft macht. Die Mannschaft hat mindestens einen Schritt nach hinten gemacht“, sagte Bayernlege­nde Paul Breitner bei Sport1 in Richtung Ancelotti. Der muss am Dienstag (20:45/Sky) schon wieder liefern – Bayern empfängt in der Champions League Anderlecht.

Julian Nagelsmann konnte sein Lächeln an diesem Tag dagegen nur schwer unterdrück­en. Immerhin war seine Mannschaft nicht nur neun Kilometer mehr gelaufen, er persönlich baute seine Serie gegen seinen Lieblingsg­egner auf nun drei ungeschlag­ene Spiele hintereina­nder aus. Unheimlich ist ihm diese jedoch nicht. „Siege sind mir selten unheimlich. Für die Gruppe bedeutet es jedoch schon viel, gegen so einen Weltverein zu gewinnen“, sagte er. Und zumindest an diesem Tag gehörte zu der Gruppe auch ein sehr gedankensc­hneller Balljunge.

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FOTO: DPA Ähnlich gedankensc­hnell wie die Balljungen: Torschütze Mark Uth (li.) und Vorlagenge­ber Andrej Kramaric.

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