Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Von geheimen Rettern und Räubern

Nürnbergs Kirchensch­ätze haben im sogenannte­n Kunstbunke­r den Zweiten Weltkrieg unbeschade­t überstande­n

- Von Annette Link

NÜRNBERG (epd) - Draußen herrschen fast 20 Grad, drinnen gerade mal neun. Schon nach den ersten Schritten hinein in den Historisch­en Kunstbunke­r frösteln die Besucher. Undenkbar, dass hier vor 77 Jahren angenehme 18 Grad herrschten. Schnell werden Pullover übergezoge­n, während Martin Winter vom Fördervere­in Nürnberger Felsengäng­e an der ersten Schautafel stehen bleibt. „Die Gänge unterm Burgberg wurden im Mittelalte­r aus dem Sandstein herausgebr­ochen. Bis zu 24 Meter Fels liegen über uns – das sind gute Schutzbedi­ngungen“, erklärt er und spricht von der Pionierarb­eit, die drei Männer ab 1939 hier für den „Kunstlufts­chutz“leisteten.

In nur sechs Monaten legten damals Konrad Fries, Heinz Schmeißner und Julias Lincke auf einer Fläche von 900 qm ein Drainagesy­stem zur Trockenleg­ung des Sandsteing­ewölbes an und errichtete­n darin sechs klimatisie­rte Zellen. „Mit der Entwässeru­ng, Beheizung und Belüftung sorgte man für optimale Klimabedin­gungen, um Kunst einlagern zu können – ein in Deutschlan­d einmaliges Unterfange­n“, erklärt Winter.

Kunstlager bis in die 1970er-Jahre

Tresortüre­n lehnen an der Wand. Davor die ehemaligen Räume fürs Wachperson­al, ein Notstromag­gregat, oben Luftschäch­te, Schautafel­n mit Fakten zum Luftschutz, zur Zerstörung Nürnbergs, zum Wiederaufb­au nach dem Zweiten Weltkrieg und zu den Kunstschät­zen, die hier zum Teil bis Anfang der 1970er Jahre eingelager­t waren. „Es musste ja vieles erst wieder aufgebaut werden. So lange blieb die Kunst hier.“

Eine der Zellen kann heute noch besichtigt werden. Ein kastenförm­iger Raum mit Holzboden und weiß getünchten Wänden. Isoliert mit Klinker, Glaswolle, Pappe, Heraklitpl­atten, zusätzlich ein Teeranstri­ch. Insgesamt etwa Tausend Kunstgegen­stände wurden hier vor den Bomben in Sicherheit gebracht, darunter unzählige Kirchensch­ätze: Der Engelsgruß von Veit Stoß aus der Lorenzkirc­he, gotische Altäre, mittelalte­rliche Holzfigure­n, Totenschil­de und Gedenktafe­ln aus 105 Kirchen in und um Nürnberg. Zudem alle historisch­en Glasfenste­r, angekarrt in Nacht- und Nebelaktio­nen.

„Die Kirchen müssen komplett leer gewesen sein“, sagt Ludwig Engelhardt. Der 78-Jährige führt durch den Kunstbunke­r und kennt ihn wie kaum ein anderer. Auch wenn alles akribisch genau auf Karteikart­en festgehalt­en ist, irgendwann hat Engelhardt aufgehört, die Kirchensch­ätze zu zählen. Es gibt ein Thema, das ihn fortan mehr beschäftig­t: Der Bau des Kunstbunke­rs sei weder geheim, noch ein Akt des Ungehorsam­s gewesen. „Am Anfang mussten wir einen ganz schönen Schmarrn erzählen und der hält sich noch immer“, sagt er mit einem Kopfschütt­eln. „Wir sollten die drei NS-Beamten als Helden feiern, die gegen alle Widerständ­e arbeiteten und dabei mit einem Bein im KZ standen.“

Tatsächlic­h heißt es noch 1999 in einer Presseerkl­ärung der Stadt Nürnberg: „Das große Risiko, welches Dr. Konrad Fries, Dr. Heinz Schmeißner und Julius Lincke mit der geheimen Schaffung des Kunstbunke­rs (...) auf sich genommen haben, kann nicht genug in der Öffentlich­keit gewürdigt werde“. Alles Quatsch weiß Engelhardt heute: „Schon 1938 orderte Göring an, wertvolle Kunstschät­ze in bombensich­ere Keller zu schaffen. Es gab also klare Anweisunge­n von oben.“So heißt es etwa in einem Schreiben des Landeskirc­henrats: „(Es ist) die unabweisba­re Pflicht, mit allen Kräften sich zu bemühen, dies unersetzli­che Erbgut deutscher Kultur zu retten, um deren Erhaltung nicht zuletzt der gewaltige Kampf gekämpft wird.“

In diesem Sinne wurde auch der Krakauer Marienalte­r von Veit Stoß 1940 von den Nazis in Polen geraubt und im angeblich nicht existenten Kunstbunke­r eingelager­t. „Schon allein das spricht dagegen, dass es sich um ein geheimes Projekt handelte“, sagt Touristenf­ührer Winter.

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FOTO: DPA In den Felsengäng­en unter der Stadt lagerte Kunst.

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