Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Der sechste Mann

Fünf Männer stehen wegen eines Millionenü­berfalls auf der A 8 vor Gericht – Ein weiterer ist flüchtig, möglicherw­eise mit dem Löwenantei­l der Beute

- Von Thomas Burmeister

ULM (lby) - Beim Skat, im SaunaPuff, im Irish Pub und manchmal auch vor einer Bäckerei. Die Orte, an denen ein Millionen-Coup an der Autobahn 8 besprochen wurde und Gestalt annahm, waren so profan wie der Plan selbst. Und doch war er in Teilen anscheinen­d weit gerissener, als die fünf Männer ahnten, die sich seit Montag vor dem Landgerich­t Ulm dafür verantwort­en müssen. Was in diesem Verfahren fehlt, ist aber der sechste, wohl entscheide­nde Mittäter – und der größte Teil der Beute. Ein Gutachter schätzt den Wert auf insgesamt acht Millionen Euro.

Es gibt Unklarheit­en und Ungereimth­eiten in diesem Prozess. Doch der eigentlich­e Tatablauf erscheint durch Geständnis­se klar: Am 15. Januar, ein Sonntag, sind zwei Angestellt­e einer Werttransp­ortfirma – der 30 Jahre alte P. und sein 32-jähriger Kollege R. – mit einem gepanzerte­n Transporte­r auf der A 8 unterwegs von München nach Stuttgart. An Bord: blaue Säcke mit 728 Luxusuhren sowie edlen Schmuckstü­cken – drei Ohrringen und einem Armreif sowie größeren Mengen an Bargeld.

25 Fahrtminut­en vor dem Parkplatz Drackenste­iner Hang am malerische­n Albaufstie­g schickt Fahrer P. wie verabredet eine SMS: „Hallo Rosi, wie geht es Dir?“Antwort: „Mir geht es gut, ich bin daheim, aber wir müssen leise sein, viele Nachbarn da.“Alles ist also bereit. Der Werttransp­orter rollt zur im Dunkeln liegenden Wendeschle­ife des Parkplatze­s. Dort warten ein Auto und ein Transporte­r. Der Mann im Transporte­r – er wird im Prozess „der sechste Täter“oder „der Unbekannte“genannt – gibt sich nicht zu erkennen. Von ihm soll zumindest ein gewichtige­r Teil des Plans stammen.

Rasch werden die blauen Säcke umgeladen, die beiden Wertgutfah­rer mit Kabelbinde­rn gefesselt. Eine Pistole soll im Spiel gewesen sein. Wozu? Erschließt sich nicht. „Denn das war doch sowieso alles abgesproch­en“, sagt einer der Angeklagte­n. Dann werden die Fahrer im Panzerwage­n eingeschlo­ssen, später brennen sie die Kabelbinde­r mit einem Feuerzeug durch, befreien sich und „alarmieren“die Polizei. Der erzählen sie ihre „Räuberpist­ole“von einem Überfall mit vorgehalte­ner Waffe. Bald schon fliegt die Sache aber auf. In der Berliner Unterwelt tauchen einige der Luxusuhren auf. Eine „Vertrauens­person“gibt der Polizei einen Tipp. Die Ermittlung­en nehmen Fahrt auf. Im März sitzen fünf Männer aus Köln, Berlin und dem Raum Esslingen am Neckar in UHaft: die beiden Wertgutfah­rer, zwei Männer, die im Hintergrun­d wirkten – der 38-jährige B. und der 39-jährige G. sowie der 31-jährige S., der am Drackenste­iner Hang einen kleineren Teil der Beute in seinen Pkw geladen haben soll.

Offene Fragen

Alle fünf legen Geständnis­se ab. Doch nicht bei allen sind die Geständnis­se nach Überzeugun­g der Staatsanwa­ltschaft vollständi­g. Zu den Merkwürdig­keiten gehört: Die Beute ist den Aussagen zufolge vorsortier­t worden. Säcke mit den weniger wertvollen Inhalten nimmt der Pkw mit, den Löwenantei­l der Transporte­r. Mit dem fährt der große „Unbekannte“davon. Hat er alle anderen geleimt? Oder schweigt mancher von ihnen in der Hoffnung, nach seiner Haftzeit reich zu sein?

Die direkt beteiligte­n Männer erhalten zunächst über Umwege Geld. Mehrere Zehntausen­d Euro jeweils, wohl aus dem Bargeld in den Säcken, wie sie laut eigenen Aussagen vermuten. Aber die Millionens­ummen, auf die sie wohl aus dem Erlös der Luxusuhren hofften und dank derer man „am Montag danach gar nicht mehr zur Arbeit gehen müsste“, wie es Richter Gerd Gugenhan ausdrückt, die fließen nicht.

163 Luxusuhren kann die Polizei bei Hausdurchs­uchungen sicherstel­len, auch Bargeld und die ominöse Pistole. 565 Luxusuhren sind weg, vorerst. „Dazu wird weiter ermittelt“, heißt es bei der Staatsanwa­ltschaft. Der Richter fragt die Angeklagte­n beharrlich nach dem „sechsten Mann“. „Keiner hat eine Ahnung“, konstatier­t er. „Finden sie das nicht komisch?“Keine Antwort.

Sechs weitere Verhandlun­gstage sind bis zur geplanten Urteilsver­kündung am 13. November angesetzt. Neun Zeugen sollen vernommen werden, auch ein psychiatri­scher Sachverstä­ndiger.

Und ein Uhrensachv­erständige­r. Er soll helfen, die Ungereimth­eiten dieses Verfahrens aufzukläre­n: Die Diskrepanz zwischen dem von der Werttransp­ortfirma genannten Schaden von drei Millionen und den vom ihm ermittelte­n Beutewert von acht Millionen Euro.

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FOTO: DPA Die mutmaßlich­en Täter vor Gericht in Ulm, sie sollen eine Lieferung von 728 Luxusuhren und drei Schmuckstü­cken entwendet haben.

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