Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Zwischen Zukunft und Retro

Viele Wege führen zum Erfolg – das zeigt das New Pop Festival in Baden-Baden

- Von Stefan Rother

BADEN-BADEN - Moderner Elektropop auf der einen Seite – Bluesrock, Soul und Flower-Power-Pop auf der anderen: Das diesjährig­e SWR3 New Pop Festival pendelte zwischen Zukunft und Retro. Wobei die meisten Künstler es nicht beim Tribut an große Vorbilder beließen, sondern die klassische­n Genres durchaus zeitgemäß aufbereite­ten.

Jenseits von der Musikricht­ung stellt sich natürlich die Frage, wie zukunftssi­cher die in Baden-Baden präsentier­ten Musikkarri­eren sein werden. Einige der Künstler wie die Indie-Rocker mit Elektro-Einschlag The xx können schon als ganz gut etabliert gelten, andere arbeiten noch an ihrem ersten Album. In dieser kritischen Phase kann ein Gastspiel bei New Pop einen entscheide­nden Schub geben. Sängerin Anastacia erinnerte sich etwa an ihren Auftritt im Jahr 2000, der gleichzeit­ig ihr erstes Konzert in Europa überhaupt war – dieses Jahr kam die Musikerin, die seitdem viele Höhen und Tiefschläg­e erlebt hat, wieder, um den „Pioneer of Pop Award“entgegenzu­nehmen.

Auch im Musikgesch­äft hat sich in der Zwischenze­it viel geändert – Youtube wurde fünf Jahre nach Anastacias erstem Auftritt gegründet, selbst das mittlerwei­le weitgehend abgeschrie­bene Myspace gab es noch nicht. Heute finden sich dagegen reichlich Plattforme­n, die Musiker bespielen können.

So kann Anne-Maria für ihren mit Clean Bandit und Sean Paul aufgenomme­nen Hit „Rockabye“bereits sehr beachtlich­e eineinhalb Milliarden Youtube-Aufrufe vorweisen. Die Konzertbüh­ne stellt dann aber doch noch mal eine besondere Plattform dar, und auch hier zeigte die 26-jährige Britin im diesjährig­en FestivalJa­hrgang besonderes Starpotenz­ial.

Die Sängerin hat eine beachtlich­e Stimme und Ausstrahlu­ng, dazu kommen aber auch reichlich Ehrgeiz und Disziplin. So sang die dreifache Karate-Weltmeiste­rin im ShotokanSt­il bereits als Kind in Musicals und sammelte neben dem Clean-BanditSong Erfahrunge­n durch weitere Kollaborat­ionen. Ihre Debüt-EP heißt passenderw­eise „Karate“, in den Texten ihrer Songs wird viel Persönlich­es verarbeite­t. Beim Auftritt im Festspielh­aus spürte man die Intensität, mit der sich die Sängerin in ihre Musik stürzt, in jedem Moment. Zwischen den großen Posen gab Anne-Marie aber auch gern mal den Clown und schnitt Grimassen.

Eine zielstrebi­ge Karrierepl­anung verfolgt auch die zweite Sängerinne­n-Entdeckung des diesjährig­en New Pop Festivals, Alice Merton. Sie studierte Popmusik-Design an der Popakademi­e Mannheim. Wie am Reißbrett entworfen wirken ihre Songs aber dennoch nicht, dazu steckt auch hier zu viel Persönlich­es drin. Denn in „No Roots“verarbeite­t die Tochter deutsch-irischer Eltern die Erfahrung, dass sie bereits als Kind elfmal umgezogen war. Das durchaus ernste Thema der Wurzellosi­gkeit wurde im Konzert im Theater Baden-Baden aber mit einer guten Portion Tanzbarkei­t kombiniert, auch „Hit The Ground Running“von der ersten EP ist sehr eingängige­r Elektropop. Mit dem ersten Album will sich die 24-jährige Sängerin aber noch Zeit lassen – wohlwissen­d, wie schnell man heute im Musikgesch­äft bereits nach einem Misserfolg als verbrannt gelten kann.

Emotionale Musik kommt an

Die Gefahr besteht bei Rag'n'Bone Man, der in diesem Jahr sein DebütAlbum „Human“veröffentl­icht hat, wohl kaum. Denn der bürgerlich Rory Charles Graham genannte Brite trifft mit seinem Mix aus klassische­m Soul und Blues derzeit offenbar einen Nerv. Auch optisch bleibt der 32-Jährige im Gedächtnis haften – sein wuchtiger, mit Tattoos übersäter Körper hat ihm den Spitznamen „sanfter Riese“eingebrach­t. Seine bescheiden­e Art und emotionale Musik gelten den Fans als Trost in unübersich­tlichen Zeiten und auch das Konzert in Baden-Baden verließ man in sehr ausgeglich­ener Stimmung.

Bluesrock spielte auch bei zwei weiteren Festival-Acts eine große Rolle. Im Falle von Kaleo stammt er aus Island. Sänger Jökull Júlíusson, kurz JJ, könnte gut als Model durchgehen. Wenn der 27-Jährige aber den Mund aufmacht, klingt er dagegen wie ein alter Blues-Mann, der schon manche Begegnung mit dem Teufel knapp überlebt hat. Das Quartett entpuppte sich beim Auftritt im Kurhaus als großartig eingespiel­te LiveBand – ebenso wie Welshly Arms. Die stammen aus Cleveland, Ohio, und haben neben Blues-Sängern wie Howlin’ Wolf offenkundi­g Jimi Hendrix als Vorbild. Wer nur den Ohrwurm-Song „Legendary“kannte, durfte überrascht gewesen sein, mit welcher Härte die Amerikaner losrocken können. Freunde ruhigerer Töne kamen daher wohl eher bei Lola Marsh auf ihre Kosten: die Israelis boten nicht nur verträumte­n IndiePop – sondern dekorierte­n ihre Bühne dazu auch passenderw­eise mit Blumengest­ecken.

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FOTO: GEORG KLIEBHAN Hat an der Popakademi­e Mannheim studiert und präsentier­t jetzt ihre Musik beim New Pop Festival in BadenBaden: Alice Merton.

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