Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Klimaschutz hat für Kretschmann oberste Priorität
Der baden-württembergische Ministerpräsident wirbt in Neu-Ulm für grüne Politik – und zivilisierten Streit
NEU-ULM - Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält die Grünen wegen der globalen Herausforderungen durch den Klimawandel für notwendiger denn je. Die anderen Parteien in Deutschland hätten die Bedeutung des Klimaschutzes noch nicht wirklich verstanden, sagte der GrünenPolitiker am Montagabend. Eine Koalition mit der FDP schließt Kretschmann weiterhin nicht aus.
Auf fremdes Terrain begibt sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann für einen Termin im Wahlkampfendspurt. Statt wie gewohnt in Ulm spricht er am Montag im Barfüßer in Neu-Ulm vor etwa 180 Besuchern. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die Grünen in der Doppelstadt seit jeher besonders eng zusammenarbeiten. Und so unterstützt der Landesvater aus Baden-Württemberg auf bayerischem Boden sowohl den Ulmer Grünen-Kandidaten Marcel Emmerich als auch die Neu-Ulmerin Ekin Deligöz. Und wo er schon mal im CSU-regierten Bundesland ist, wird er gefragt, wie er denn eine mögliche Zusammenarbeit der Grünen mit den Christsozialen auf Bundesebene sehe. Kretschmann dazu: „Ganz schwierig wird’s mit dem Seehofer seiner Obergrenze.“
Damit nimmt der schwäbische Landesvater einen Ball auf: Der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer hatte am Sonntag eine Koalition mit den Grünen im Bund nicht augeschlossen. Es hänge davon ab, wer bei den Grünen in Koalitionsverhandlungen das Sagen habe. „Mit Kretschmann könnte ich schon morgen ein Bündnis für ganz Deutschland machen“, sagte Seehofer verschiedenen Medien.Sein Wunschbündnis sei aber eine Koalition von Union und FDP, so der bayerische Ministerpräsident.
Folgen des Klimawandels: „Unbewohnbare Regionen“
Koalitionsspielchen sind nicht Kretschmanns eigentliches Thema. Vielmehr macht der Ministerpräsident deutlich, dass der Klimaschutz für die Grünen ganz oben auf der Agenda des Bundestagswahlkampfs steht. „Wenn der Klimawandel so fortschreitet wie bisher, hat das für unseren Planeten dramatische Folgen“, sagt Kretschmann. „Es wird Gebiete auf der Erde geben, auf denen man nicht mehr leben kann.“Das werde Millionen Menschen in die Flucht treiben. „Dagegen ist das, was wir gerade erleben, nur ein laues Lüftchen.“Am härtesten würden die Folgen des Klimawandels die Länder treffen, die ohnehin schon arm seien. „Aber es fängt auch im eigenen Land an“, sagt Kretsch-mann mit Blick auf Starkregenereignisse und andere WetterExtreme. „Das hat ganz konkrete Auswirkungen auf unser Leben und ist keine Spielwiese, auf der sich die Grünen tummeln.“Die Ökopartei sieht der 69-Jährige aber als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Wenn Grüne an der Regierung seien, sei dies ein Signal für Europa. Darum sei seine Partei so wichtig wie noch nie, „weil es um so viel geht wie noch nie“.
In diesen letzten Tagen des Bundestagswahlkampfes sind dem 69Jährigen die Anstrengungen anzumerken. Er wirkt mitgenommen.
Ein Auszug aus dem Terminkalender: Am Sonntag redet Kretschmann in Berlin bei einem kleinen Parteitag der Grünen, am Montagmorgen trifft er, aus Berlin kommend, in Stuttgart ein. Beim Jahreskongress des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in der Landeshauptstadt spricht der Ministerpräsident und sagt, für eine funktionierende Demokratie sei eine kritische und selbstkritische Presse fundamental. Danach geht es im Auto nach Ulm, um dort über den Klimawandel zu referieren. Nach dem Auftritt in NeuUlm steht dann noch ein Wahlkampftermin in Nürtingen auf dem Programm
Im Auto-Land Baden-Württemberg muss der Landesvater eine Lanze für die Automobilindustrie brechen: Ein Mittel, um den klimaschädlichen Ausstoß von Schadstoffen zu bremsen, sind neue Formen der Mobilität. „Das Auto wird gerade noch mal neu erfunden, das Fahrrad übrigens auch“, sagt Kretschmann. Die Automobilindustrie habe viele Fehler gemacht und den Trend zu Elektrofahrzeugen ein bisschen verschlafen. Jetzt gelte es, sich gegen die Konkurrenz zu behaupten – „Tesla im Westen und die Chinesen im Osten“. Doch die Umstellung des Verkehrs hin zu E-Mobilität und Carsharing sei unabdingbar. Und: „Das schadet dem Wohlstand nicht, sondern es erhält ihn.“ der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Argumente für ein starkes Europa
Der Ministerpräsident macht sich für ein geeintes Europa stark. „Das Gift des Nationalismus ist das gefährlichste Gift, das in der Politik versprüht wird“, sagt er. Doch die großen Probleme unserer Zeit ließen sich nur auf europäischer Ebene lösen. Auch in Deutschland gebe es teilweise eine starke Polarisierung und politische Enthemmung. Wichtig sei deshalb eine Politik des Gehörtwerdens, „damit sich die Menschen nicht nur mitgenommen fühlen, sondern sie auch mitgenommen werden.“
Streit an sich sei jedoch wichtig, auch in der Politik, betont Kretschmann. „Schließlich heißt es Wahlkampf und nicht Wahlschlaf.“Entscheidend sei aber: „Man muss zivilisiert streiten.“Und zwar so, dass man hinterher wieder zusammenkommen könne. „Wir streiten auch mit der FDP. Aber wenn’s dumm läuft, müssen wir mit denen verhandeln.“
„Das Gift des Nationalismus ist das gefährlichste Gift, das in der Politik versprüht wird“,