Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Klimaschut­z hat für Kretschman­n oberste Priorität

Der baden-württember­gische Ministerpr­äsident wirbt in Neu-Ulm für grüne Politik – und zivilisier­ten Streit

- Von Michael Ruddigkeit und Ludger Möllers

NEU-ULM - Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n hält die Grünen wegen der globalen Herausford­erungen durch den Klimawande­l für notwendige­r denn je. Die anderen Parteien in Deutschlan­d hätten die Bedeutung des Klimaschut­zes noch nicht wirklich verstanden, sagte der GrünenPoli­tiker am Montagaben­d. Eine Koalition mit der FDP schließt Kretschman­n weiterhin nicht aus.

Auf fremdes Terrain begibt sich der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n für einen Termin im Wahlkampfe­ndspurt. Statt wie gewohnt in Ulm spricht er am Montag im Barfüßer in Neu-Ulm vor etwa 180 Besuchern. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die Grünen in der Doppelstad­t seit jeher besonders eng zusammenar­beiten. Und so unterstütz­t der Landesvate­r aus Baden-Württember­g auf bayerische­m Boden sowohl den Ulmer Grünen-Kandidaten Marcel Emmerich als auch die Neu-Ulmerin Ekin Deligöz. Und wo er schon mal im CSU-regierten Bundesland ist, wird er gefragt, wie er denn eine mögliche Zusammenar­beit der Grünen mit den Christsozi­alen auf Bundeseben­e sehe. Kretschman­n dazu: „Ganz schwierig wird’s mit dem Seehofer seiner Obergrenze.“

Damit nimmt der schwäbisch­e Landesvate­r einen Ball auf: Der CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer hatte am Sonntag eine Koalition mit den Grünen im Bund nicht augeschlos­sen. Es hänge davon ab, wer bei den Grünen in Koalitions­verhandlun­gen das Sagen habe. „Mit Kretschman­n könnte ich schon morgen ein Bündnis für ganz Deutschlan­d machen“, sagte Seehofer verschiede­nen Medien.Sein Wunschbünd­nis sei aber eine Koalition von Union und FDP, so der bayerische Ministerpr­äsident.

Folgen des Klimawande­ls: „Unbewohnba­re Regionen“

Koalitions­spielchen sind nicht Kretschman­ns eigentlich­es Thema. Vielmehr macht der Ministerpr­äsident deutlich, dass der Klimaschut­z für die Grünen ganz oben auf der Agenda des Bundestags­wahlkampfs steht. „Wenn der Klimawande­l so fortschrei­tet wie bisher, hat das für unseren Planeten dramatisch­e Folgen“, sagt Kretschman­n. „Es wird Gebiete auf der Erde geben, auf denen man nicht mehr leben kann.“Das werde Millionen Menschen in die Flucht treiben. „Dagegen ist das, was wir gerade erleben, nur ein laues Lüftchen.“Am härtesten würden die Folgen des Klimawande­ls die Länder treffen, die ohnehin schon arm seien. „Aber es fängt auch im eigenen Land an“, sagt Kretsch-mann mit Blick auf Starkregen­ereignisse und andere WetterExtr­eme. „Das hat ganz konkrete Auswirkung­en auf unser Leben und ist keine Spielwiese, auf der sich die Grünen tummeln.“Die Ökopartei sieht der 69-Jährige aber als Vorreiter in Sachen Klimaschut­z. Wenn Grüne an der Regierung seien, sei dies ein Signal für Europa. Darum sei seine Partei so wichtig wie noch nie, „weil es um so viel geht wie noch nie“.

In diesen letzten Tagen des Bundestags­wahlkampfe­s sind dem 69Jährigen die Anstrengun­gen anzumerken. Er wirkt mitgenomme­n.

Ein Auszug aus dem Terminkale­nder: Am Sonntag redet Kretschman­n in Berlin bei einem kleinen Parteitag der Grünen, am Montagmorg­en trifft er, aus Berlin kommend, in Stuttgart ein. Beim Jahreskong­ress des Bundesverb­andes Deutscher Zeitungsve­rleger (BDZV) in der Landeshaup­tstadt spricht der Ministerpr­äsident und sagt, für eine funktionie­rende Demokratie sei eine kritische und selbstkrit­ische Presse fundamenta­l. Danach geht es im Auto nach Ulm, um dort über den Klimawande­l zu referieren. Nach dem Auftritt in NeuUlm steht dann noch ein Wahlkampft­ermin in Nürtingen auf dem Programm

Im Auto-Land Baden-Württember­g muss der Landesvate­r eine Lanze für die Automobili­ndustrie brechen: Ein Mittel, um den klimaschäd­lichen Ausstoß von Schadstoff­en zu bremsen, sind neue Formen der Mobilität. „Das Auto wird gerade noch mal neu erfunden, das Fahrrad übrigens auch“, sagt Kretschman­n. Die Automobili­ndustrie habe viele Fehler gemacht und den Trend zu Elektrofah­rzeugen ein bisschen verschlafe­n. Jetzt gelte es, sich gegen die Konkurrenz zu behaupten – „Tesla im Westen und die Chinesen im Osten“. Doch die Umstellung des Verkehrs hin zu E-Mobilität und Carsharing sei unabdingba­r. Und: „Das schadet dem Wohlstand nicht, sondern es erhält ihn.“ der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n.

Argumente für ein starkes Europa

Der Ministerpr­äsident macht sich für ein geeintes Europa stark. „Das Gift des Nationalis­mus ist das gefährlich­ste Gift, das in der Politik versprüht wird“, sagt er. Doch die großen Probleme unserer Zeit ließen sich nur auf europäisch­er Ebene lösen. Auch in Deutschlan­d gebe es teilweise eine starke Polarisier­ung und politische Enthemmung. Wichtig sei deshalb eine Politik des Gehörtwerd­ens, „damit sich die Menschen nicht nur mitgenomme­n fühlen, sondern sie auch mitgenomme­n werden.“

Streit an sich sei jedoch wichtig, auch in der Politik, betont Kretschman­n. „Schließlic­h heißt es Wahlkampf und nicht Wahlschlaf.“Entscheide­nd sei aber: „Man muss zivilisier­t streiten.“Und zwar so, dass man hinterher wieder zusammenko­mmen könne. „Wir streiten auch mit der FDP. Aber wenn’s dumm läuft, müssen wir mit denen verhandeln.“

„Das Gift des Nationalis­mus ist das gefährlich­ste Gift, das in der Politik versprüht wird“,

 ?? FOTO: ANDREAS BRÜCKEN ?? Der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) sprach am Montag im Barfüßer in Neu-Ulm.
FOTO: ANDREAS BRÜCKEN Der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) sprach am Montag im Barfüßer in Neu-Ulm.
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