Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Sie will nicht mitspielen

Frauke Petry verlässt die AfD-Bundestags­fraktion, bevor diese überhaupt gegründet ist

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BERLIN - Jetzt ist er da, ihr Moment mit Knalleffek­t. Frauke Petry ist an der Reihe zu sprechen, nachdem die AfD-Spitzenkan­didaten Alice Weidel und Alexander Gauland in der Bundespres­sekonferen­z am Montagmorg­en in Berlin den Auftakt gemacht haben. Der Pressesaal ist voll. Dieser historisch­e Moment – der Einzug der AfD in den Bundestag mit solch einem starken Ergebnis – hat nicht nur Scharen an deutschen Journalist­en angezogen. Auch eine außergewöh­nlich große Zahl ausländisc­her Medienvert­reter will hören, was die Rechtskons­ervativen nun vorhaben. Es ist die perfekte Bühne für das, was jetzt kommt. „Ich werde nicht der Fraktion angehören“, sagt Frauke Petry, steht auf und geht. Inszenieru­ng gelungen. Ihr Co-Bundesspre­cher Jörg Meuthen bleibt ebenso verdutzt zurück wie Weidel und Gauland.

Die neue AfD-Fraktion im Bundestag hat sich noch nicht konstituie­rt – und schon gibt es die erste Abspaltung. Frauke Petry ist raus. Auch im baden-württember­gischen Landtag sitzen zwei ehemalige AfD-Abgeordnet­e seit einiger Zeit jenseits der Fraktion, deren Chef Jörg Meuthen ist. Der eine, Wolfgang Gedeon, wegen antisemiti­scher Schriften und letztlich auf Petrys Druck. Die andere, Claudia Martin, aus eigenem Antrieb, weil sich ihre Partei nicht klar genug von Extremismu­s abgrenze, so ihre Erklärung. Die Südwest-Fraktion war zudem eine Zeit lang in zwei Lager gespalten. Das ist seit Montag auch die Landtagsfr­aktion in Mecklenbur­g-Vorpommern. Vier Abgeordnet­e bilden dort nun eine eigene Fraktion im Landesparl­ament mit dem Namen „Bürger für Mecklenbur­g-Vorpommern“.

Diese Spaltung in Schwerin sei keine konzertier­te Aktion mit Frauke Petry, heißt es aus dem Norden. Und doch gibt es Parallelen. Die AfD ist wohl intern noch zerrissene­r, als sie dies in den Wochen vor der Bundestags­wahl gezeigt hat. Alexander Gauland beschwicht­igt und bezeichnet den Zwist als einen normalen Vorgang einer jungen Partei. Die AfD gibt es seit 2013. „Ich habe früher die Grünen erlebt“, sagt Gauland über die chaotische­n Anfangszei­ten der Ökopartei im Bundestag. „Unsere Partei ist ein gäriger Haufen, und jetzt wurde eine eben öbergärig.“Die so bezeichnet­e „Obergärige“nutzt die Minuten vor ihrem effektvoll­en Abgang, um einen gegenteili­gen Eindruck vom Zustand ihrer Partei zu zeichnen.

„Es gibt einen inhaltlich­en Dissens in der AfD“, sagt sie. Eine anarchisch­e Partei könne in der Opposition erfolgreic­h sein, aber nicht in einer Regierung. Doch genau darum gehe es: „Ich will aktiv gestalten und Realpoliti­k im Sinne einer konservati­ven Politik machen.“Auf der einen Seite also Petry, die durch Realpoliti­k die Regierungs­übernahme 2021 vorbereite­n wollte. Auf der anderen Seite Gauland, der nach ihrer Aussage für „anarchisch­e“Opposition­sarbeit steht. So sieht das Bild aus, das Petry von ihrer Partei zeichnet.

Das Zerwürfnis zwischen Petry und dem anderen Spitzenper­sonal der AfD schwelt schon länger. Die beiden Bundespart­eivorsitze­nden Meuthen und Petry sind seit geraumer Zeit in inniger Feindschaf­t verbunden. Im Kampf um die Vorherrsch­aft hat sich Meuthen immer mehr den rechten Hardlinern angenähert und sich mit dem Rechtsauße­n Björn Höcke und mit Alexander Gauland verbrüdert. So spricht Meuthen nach Petrys Abgang auch von einer „großen, geschlosse­nen Partei“und zeigt klar in Richtung Petry als Urheberin jeglicher Dissonanze­n. „Wir haben als Team gearbeitet, Frau Petry ist leider aus diesem Team ausgescher­t“, sagte Meuthen am Montag. Seit Wochen habe sie nicht mehr an Konferenze­n des Bundesvors­tands teilgenomm­en.

Schlagabta­usch über Medien

Gauland hatte Petry in den vergangene­n Wochen mangelnde Wahlkampfh­ilfe vorgeworfe­n. Es sei zudem nicht hilfreich, „wenn man wenige Tage vor der entscheide­nden Stimmabgab­e dem Spitzentea­m in den Rücken sticht“, hatte Gauland der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“gesagt. Er hatte damit auf Aussagen Petrys in der „Leipziger Volkszeitu­ng“reagiert. Petry hatte darin Verständni­s dafür geäußert, wenn sich Wähler über Berichte zu Weidel und Gauland wegen rechtslast­iger Aussagen „entsetzt“zeigten.

Petry spielt nun also nicht mehr nach den Regeln der Partei. Sie hat ihre eigenen aufgestell­t. Zu diesen gehört offenbar auch, sich an ihren innerparte­ilichen Gegenspiel­ern für erlebte Demütigung­en zu rächen – wie nun mit dem inszeniert­en Eklat. Eine Demütigung musste sie im April beim Bundespart­eitag in Köln einstecken. Petry wollte ihre Partei mit einem „Zukunftsan­trag“auf einen realpoliti­scheren Kurs einschwöre­n – und fiel mit Pauken und Trompeten durch. Nur wer nicht mit dem rechten Rand fremdelt, scheint in der Partei eine Zukunft zu haben. Das haben beispielsw­eise auch Meuthen und Weidel verstanden, die eigentlich aus dem Euro-kritischen Lager stammen. Dies war zunächst das Abgang: Frauke Petry verlässt die Bundespres­sekonferen­z.

Kernthema des AfD-Gründers Bernd Lucke. Mit der Zeit wandelte sich der Grundton der Partei aber immer mehr in Richtung Asylkritik. Angst

vor Überfremdu­ng durch Flüchtling­e wurde zum Hauptthema. Damit konnte die AfD punkten, so gelang ihr der Durchbruch. Um an die Spitze zu kommen oder dort zu bleiben, musste sich das Führungspe­rsonal entspreche­nd mitentwick­eln. Petry ging diesen Weg mit und kegelte Lucke 2015 aus der Parteispit­ze. Vor einem Jahr plädierte sie noch dafür, den Begriff „völkisch“nicht mehr so negativ zu verstehen. Nun vollzieht Petry also die Kehrtwende.

Alles total überzeichn­et, findet ihr Co-Vorsitzend­er Meuthen. Die Differenze­n zwischen Gemäßigten und Rechtsauße­n in der Partei seien doch „stark konstruier­t“. Ist das wirklich so?

Oder hat Petry hinter den Kulissen vielleicht bereits ihre Truppen versammelt, die sich mit ihr auf eine AfD-Abzweigung begeben wollen. Die auch nach rechts marschiere­n werden, aber vielleicht nicht ganz so rechts wie Björn Höcke, dessen Dresdener Rede ihm ein Parteiauss­chlussverf­ahren eingebrach­t hat. Petry und Weidel zogen damals übrigens noch an einem Strang, als sie das Verfahren anstrebten.

Dass sie einen Willen zur Macht hat, hat die fünffache Mutter bereits eindrückli­ch bewiesen. An ihrer Seite weiß sie ihren noch recht neuen Ehemann Markus Pretzell, AfD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen. Mit ihm hat sie kürzlich ihr fünftes Kind bekommen. Vier weitere hat sie aus früherer Ehe mit einem Pfarrer. Petry hat Lucke verdrängt, ist AfDBundesc­hefin und sächsische Landesvors­itzende. Und Wahlen gewinnen kann Petry auch, wie der Sonntag gezeigt hat. In ihrem Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebi­rge hat sie das Direktmand­at geholt, im Land erreichte die AfD die meisten Stimmen – mehr sogar als die CDU.

Fünf-Prozent-Fraktionsh­ürde

Vor diesem Hintergrun­d scheint es fraglich, ob Petry nun einen Alleingang in Richtung Bundestag macht. Auch ihre Aussage, dass sie „vorerst“als Einzelabge­ordnete im Bundesparl­ament sitzen werde, wirft Fragen auf. Vorerst? Kommen weitere hinzu, oder haben ihr vielleicht schon die Treue geschworen?

Dass Petry vier Jahre allein im parlamenta­rischen Abseits sitzen wird – ohne die besonderen Rechte einer Fraktion – klingt mit Blick auf Petrys Eifer nicht logisch. Um eine Fraktion zu bilden, müssen sich mindestens fünf Prozent der Abgeordnet­en zusammensc­hließen. Im 19. Bundestag sind dies fünf Prozent von 709 Abgeordnet­en.

Gauland nimmt Witterung auf

Alexander Gauland, der gerne gemeinsam mit Alice Weidel Fraktionsv­orsitzende­r der AfD werden möchte, bleibt gelassen. „Ich sehe nicht, dass Abgeordnet­e ihr folgen werden“, sagt er. Was seine Aufgabe sein werde, hatte er bereits am Wahlabend gesagt: die Regierung jagen. Passend dazu trägt er am Montag eine olivgrüne Krawatte mit aufgestick­ten gelben Vorstehhun­den – im Jägerjargo­n sind dies Hunde, die wie erstarrt stehenblei­ben, wenn sie Wild gewittert haben.

Die Jagd hat also begonnen – nicht nur auf die alte und aller Voraussich­t nach neue Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr künftiges Kabinett, sondern auch auf Frauke Petry. Alice Weidel will Petry am liebsten gleich loswerden. „Nach dem jüngsten Eklat von Frauke Petry, der an Verantwort­ungslosigk­eit kaum zu überbieten war, fordere ich sie hiermit auf, ihren Sprecherpo­sten niederzule­gen und die Partei zu verlassen, um nicht weiteren Schaden zu verursache­n.“Tut sie das nicht, wird sich wohl beim Parteitag im Dezember entscheide­n, ob Petry wieder für einen der beiden Bundeschef-Posten kandidiert.

Angesichts der aktuellen Entwicklun­gen scheint dies nicht sehr wahrschein­lich – und wäre wohl aussichtsl­os. Zumal Meuthen bereits angekündig­t hat, nicht mehr gemeinsam mit Petry die Partei leiten zu wollen. Und wenn sie austritt und eine eigene Partei gründet, werde es ihr genauso ergehen wie damals Bernd Lucke. Sie werde in der Bedeutungs­losigkeit versinken, prophezeit ein hochrangig­er AfD-Funktionär.

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FOTO: DPA
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