Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Die größten Gegensätze: Flüchtlinge, Klima, Europa
Für und Wider einer möglichen schwarz-gelb-grünen Regierung auf Bundesebene
BERLIN - „Geht gar nicht!“lautete bei der CSU vor der Wahl die weitverbreitete Einschätzung zu einem möglichen Bündnis mit den Grünen. „Das sehe ich nicht!“, sagte FDP-Chef Christian Lindner immer wieder auf die Frage, ob er sich ein Zusammengehen mit der Ökopartei vorstellen könne. Könnte die erste schwarzgelb-grüne Regierung im Bund überhaupt gut gehen? Ein Überblick über die Erfahrungen auf Länderebene, die persönliche Chemie der Protagonisten und die größten inhaltlichen Hürden für Jamaika.
Die persönliche Chemie:
Grünen-Spitzenmann Cem Özdemir und FDP-Chef Christian Lindner sind seit Langem befreundet, gehen häufig gemeinsam essen – gute Voraussetzungen, Brücken für die großen Gegensätze zu bauen. Alles andere als freundschaftlich ist das Verhältnis von Lindner und CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Der hatte den FDPChef in die Ecke der Rechtspopulisten gestellt, der einzige Unterschied zwischen AfD-Spitzenmann Alexander Gauland sei, dass Lindner „statt eines abgewetzten Tweed-Sakkos einen überteuerten Maßanzug trägt“. Die FDP keilte zurück, verunglimpfte den CDU-Generalsekretär als „Taubernuss“. Wichtiger wird der Draht zwischen Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer sein. Das Verhältnis war auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise zerrüttet, noch zu Jahresbeginn knirschte es gewaltig. Mit seinem Vorwurf, Merkel habe die rechte Flanke der Union geöffnet und so zum Erstarken der AfD beigetragen, strapaziert Seehofer die Nerven der Regierungschefin und stellte vorübergehend sogar die Fraktionsgemeinschaft von CSU und CDU infrage.
Wo Schwarz und Grün und Schwarz-Gelb-Grün schon gemeinsame Sache machen:
Vor vier Jahren hätte es für Schwarz-Grün im Bund gereicht. Nach Lesart von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) scheiterte das Projekt am Widerstand der Grünen, die damals von Fundi-Leitfigur Jürgen Trittin geführt worden waren. Einige Hürden wie die Homo-Ehe sind seither ausgeräumt. Özdemir und Katrin GöringEckardt wollen die Grünen unbedingt in die Regierung führen. Dass Schwarz-Grün funktioniert, zeigt die grün-geführte Regierung in BadenWürttemberg. Harmonisch läuft es auch im schwarz-grün regierten Hessen, wo Volker Bouffier (CDU) die Regierungsgeschäfte führt und sich vom Law-and-Order-Politiker zum Landeschef gemausert hat, der alle Berührungsängste mit den Grünen über Bord geworfen hat. Als Test für Schwarz-Gelb-Grün kann das Dreierbündnis herhalten, das seit Juni Schleswig-Holstein regiert. „Jamaika könnte im Bund funktionieren“, sagt Daniel Günther (CDU), der die Kieler Koalition führt. Der Grünen-Aufsteiger und Umweltminister an der Küste, Robert Habeck, soll seine Erfahrungen beim Schmieden des Bündnisses in die Verhandlungen im Bund einbringen. Er saß schon am Montag bei den Grünen im Parteirat. Das Konzept aus Kiel: Jede Partei hat ihre Zuständigkeiten, für die ihnen die anderen Regierungspartner Entfaltungsspielraum lassen. Übertragbar auf den Bund ist das nur sehr begrenzt.
Die größten inhaltlichen Gegensätze:
Kurz gesagt: Flüchtlinge, Klima, Europa. Die im CDU-Bayernplan formulierten Forderungen – vor allem die Obergrenze – will Seehofer unbedingt durchsetzen. Das ist nicht nur für die Kanzlerin, sondern auch für die Grünen inakzeptabel. Wird Jamaika daran scheitern? „Es gibt ja nix anderes“, mahnt CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach, der in der Flüchtlingspolitik näher bei Seehofer als bei Merkel ist, im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“vor voreiligen Festlegungen, fordert aber auch: „Es muss garantiert werden, dass sich 2015 nicht wiederholt. Das geht nicht ohne Begrenzung.“Lindners harter Flüchtlingskurs wird bei den Grünen vor allem als Wahlkampfrhetorik interpretiert, sowohl Liberale als auch Grüne fordern ein modernes Einwanderungsrecht, hier gibt es Überschneidungen. Hartes Ringen wird es auch in der Klimapolitik geben, wo die Grünen für den Kohleausstieg und das Aus für den Verbrennungsmotor kämpfen, was FDP und CSU kategorisch ausschließen. Immerhin haben sich beide Parteien zum Pariser Klimavertrag bekannt, für dessen Einhaltung erhebliche Mehranstrengungen zur C02-Minderung notwendig sind. Auf Konfrontation zu Liberalen und Christsozialen stehen die Grünen auch bei der Europapolitik. Mehr Geld aus Deutschland für die konjunkturschwachen Südländer, für Frankreich? „Mit mir nicht!“, legt sich Lindner fest. Die Grünen dagegen halten mehr Solidarität für notwendig, um die EU zusammenzuhalten. Auch in der CDU gibt es Widerstand gegen Zugeständnisse an Paris.
Wer was werden will:
Die FDP dürfte sich im Ringen um den Job des Finanzministers die Zähne ausbeißen, Schäuble will weitermachen. Für die FDP könnte das Wirtschaftsressort bleiben. Cem Özdemir träumt vom Außenministerium. Die Kanzlerin muss nicht nur Koalitionspartner zufrieden stellen. Für sie gilt es auch, potenzielle Nachfolger aufzubauen.