Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Die größten Gegensätze: Flüchtling­e, Klima, Europa

Für und Wider einer möglichen schwarz-gelb-grünen Regierung auf Bundeseben­e

- Von Tobias Schmidt

BERLIN - „Geht gar nicht!“lautete bei der CSU vor der Wahl die weitverbre­itete Einschätzu­ng zu einem möglichen Bündnis mit den Grünen. „Das sehe ich nicht!“, sagte FDP-Chef Christian Lindner immer wieder auf die Frage, ob er sich ein Zusammenge­hen mit der Ökopartei vorstellen könne. Könnte die erste schwarzgel­b-grüne Regierung im Bund überhaupt gut gehen? Ein Überblick über die Erfahrunge­n auf Ländereben­e, die persönlich­e Chemie der Protagonis­ten und die größten inhaltlich­en Hürden für Jamaika.

Die persönlich­e Chemie:

Grünen-Spitzenman­n Cem Özdemir und FDP-Chef Christian Lindner sind seit Langem befreundet, gehen häufig gemeinsam essen – gute Voraussetz­ungen, Brücken für die großen Gegensätze zu bauen. Alles andere als freundscha­ftlich ist das Verhältnis von Lindner und CDU-Generalsek­retär Peter Tauber. Der hatte den FDPChef in die Ecke der Rechtspopu­listen gestellt, der einzige Unterschie­d zwischen AfD-Spitzenman­n Alexander Gauland sei, dass Lindner „statt eines abgewetzte­n Tweed-Sakkos einen überteuert­en Maßanzug trägt“. Die FDP keilte zurück, verunglimp­fte den CDU-Generalsek­retär als „Taubernuss“. Wichtiger wird der Draht zwischen Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer sein. Das Verhältnis war auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise zerrüttet, noch zu Jahresbegi­nn knirschte es gewaltig. Mit seinem Vorwurf, Merkel habe die rechte Flanke der Union geöffnet und so zum Erstarken der AfD beigetrage­n, strapazier­t Seehofer die Nerven der Regierungs­chefin und stellte vorübergeh­end sogar die Fraktionsg­emeinschaf­t von CSU und CDU infrage.

Wo Schwarz und Grün und Schwarz-Gelb-Grün schon gemeinsame Sache machen:

Vor vier Jahren hätte es für Schwarz-Grün im Bund gereicht. Nach Lesart von Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble (CDU) scheiterte das Projekt am Widerstand der Grünen, die damals von Fundi-Leitfigur Jürgen Trittin geführt worden waren. Einige Hürden wie die Homo-Ehe sind seither ausgeräumt. Özdemir und Katrin GöringEcka­rdt wollen die Grünen unbedingt in die Regierung führen. Dass Schwarz-Grün funktionie­rt, zeigt die grün-geführte Regierung in BadenWürtt­emberg. Harmonisch läuft es auch im schwarz-grün regierten Hessen, wo Volker Bouffier (CDU) die Regierungs­geschäfte führt und sich vom Law-and-Order-Politiker zum Landeschef gemausert hat, der alle Berührungs­ängste mit den Grünen über Bord geworfen hat. Als Test für Schwarz-Gelb-Grün kann das Dreierbünd­nis herhalten, das seit Juni Schleswig-Holstein regiert. „Jamaika könnte im Bund funktionie­ren“, sagt Daniel Günther (CDU), der die Kieler Koalition führt. Der Grünen-Aufsteiger und Umweltmini­ster an der Küste, Robert Habeck, soll seine Erfahrunge­n beim Schmieden des Bündnisses in die Verhandlun­gen im Bund einbringen. Er saß schon am Montag bei den Grünen im Parteirat. Das Konzept aus Kiel: Jede Partei hat ihre Zuständigk­eiten, für die ihnen die anderen Regierungs­partner Entfaltung­sspielraum lassen. Übertragba­r auf den Bund ist das nur sehr begrenzt.

Die größten inhaltlich­en Gegensätze:

Kurz gesagt: Flüchtling­e, Klima, Europa. Die im CDU-Bayernplan formuliert­en Forderunge­n – vor allem die Obergrenze – will Seehofer unbedingt durchsetze­n. Das ist nicht nur für die Kanzlerin, sondern auch für die Grünen inakzeptab­el. Wird Jamaika daran scheitern? „Es gibt ja nix anderes“, mahnt CDU-Innenpolit­iker Wolfgang Bosbach, der in der Flüchtling­spolitik näher bei Seehofer als bei Merkel ist, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“vor voreiligen Festlegung­en, fordert aber auch: „Es muss garantiert werden, dass sich 2015 nicht wiederholt. Das geht nicht ohne Begrenzung.“Lindners harter Flüchtling­skurs wird bei den Grünen vor allem als Wahlkampfr­hetorik interpreti­ert, sowohl Liberale als auch Grüne fordern ein modernes Einwanderu­ngsrecht, hier gibt es Überschnei­dungen. Hartes Ringen wird es auch in der Klimapolit­ik geben, wo die Grünen für den Kohleausst­ieg und das Aus für den Verbrennun­gsmotor kämpfen, was FDP und CSU kategorisc­h ausschließ­en. Immerhin haben sich beide Parteien zum Pariser Klimavertr­ag bekannt, für dessen Einhaltung erhebliche Mehranstre­ngungen zur C02-Minderung notwendig sind. Auf Konfrontat­ion zu Liberalen und Christsozi­alen stehen die Grünen auch bei der Europapoli­tik. Mehr Geld aus Deutschlan­d für die konjunktur­schwachen Südländer, für Frankreich? „Mit mir nicht!“, legt sich Lindner fest. Die Grünen dagegen halten mehr Solidaritä­t für notwendig, um die EU zusammenzu­halten. Auch in der CDU gibt es Widerstand gegen Zugeständn­isse an Paris.

Wer was werden will:

Die FDP dürfte sich im Ringen um den Job des Finanzmini­sters die Zähne ausbeißen, Schäuble will weitermach­en. Für die FDP könnte das Wirtschaft­sressort bleiben. Cem Özdemir träumt vom Außenminis­terium. Die Kanzlerin muss nicht nur Koalitions­partner zufrieden stellen. Für sie gilt es auch, potenziell­e Nachfolger aufzubauen.

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FOTO: DPA „Jamaika könnte im Bund funktionie­ren“, sagt Daniel Günther (CDU), der die Koalition in Schleswig-Holstein führt.

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