Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Schulz auf der Suche
Die SPD will den Neuanfang – Parteilinke Andrea Nahles soll die Bundestagsfraktion führen
Krawallige Auftritte
Aus seinen Worten spricht tiefer Frust. Kein Wunder. Sechs Monate lang gab Schulz sein Leben für eine Kanzlerkandidatur her, die spätestens nach der verlorenen NRW-Wahl zum Scheitern verurteilt war. Aber ist es klug, nach katastrophalen 20,5 Prozent für die SPD mit dem Finger auf Merkel zu zeigen? Wäre ein wenig mehr Demut nicht angezeigt? Schulz’ krawallige Auftritte – erst als Schröder-Imitator in der TV-Spitzenrunde der Parteichefs und nun in der Pressekonferenz nach den Spitzengremien – illustrieren, da kämpft einer ungeachtet aller Treueschwüre seiner engsten Parteifreunde um seinen Job.
Die SPD war im Wahlkampf so geschlossen wie seit Jahren nicht mehr. Ob das nach dem Absturz so bleibt, ist eine spannende Frage. Das wird bei der wichtigsten Personalie deutlich, die an diesem Montag so gut wie entschieden ist: Wer den Fraktionsvorsitz im Bundestag übernimmt, der in der Opposition das eigentliche Machtzentrum der SPD sein wird.
Am Morgen schlägt Schulz im Präsidium Andrea Nahles dafür vor. Die anwesenden Spitzengenossen klopfen auf die Tischplatte, was zumindest akustisch breite Zustimmung für die Arbeitsministerin und Frontfrau der Parteilinken signalisiert. Aber so klar ist die Sache nicht. Fast zeitgleich verschickt der Anführer des konservativen „Seeheimer Kreises“, Johannes Kahrs, Zitate, die den Inhalt haben, eine rasche, für diesen Mittwoch angesetzte Wahl von Nahles zu verzögern. In wessen Auftrag ist Kahrs unterwegs? Hat Bundesaußenminister Sigmar Gabriel seine Finger im Spiel, um einen Durchmarsch seiner Lieblingsgegnerin Nahles zu verhindern?
Sehr lange soll auch Schulz selbst auf die Fraktionsspitze geschaut haben. Dies bestreitet er am Montag vehement, tut das als Spielchen der Medien ab. „Ich habe nie darüber nachgedacht, Vorsitzender der Bundestagsfraktion zu werden.“Er werde „komplementär“mit Nahles arbeiten. Seine Aufgabe sei es, die SPD nicht nur in Berlin, sondern im Land zu stärken. „Ich möchte in beiden Welten bestehen“, sagt Schulz. Noch zehrt er von seinem 100-Prozent-Bonus, den er bei der Wahl zum Parteichef im März ausgezahlt bekam.
Nicht alle sind davon überzeugt, dass der Mann aus Würselen der Richtige für den Neuanfang ist. Bis zum Parteitag im Dezember, wo eine neue Führung gewählt wird, kann noch einiges passieren. In drei Wochen wird in Niedersachsen gewählt. Die dortige SPD holte am Sonntag mit 27,4 Prozent immerhin das beste Zweitstimmenergebnis aller Landesverbände, was als Ermutigung gedeutet wird. SPD-Ministerpräsident Stephan Weil hofft, mit einer Ampel im Amt bleiben zu können.
Aber selbst ein Erfolg in Hannover würde nichts daran ändern, dass die SPD eine Generalinventur braucht. Eingeklemmt zwischen AfD und Linkspartei dürften den Sozialdemokraten im Bundestag raue Zeiten bevorstehen. Das wissen Schulz und Nahles. Bis zum Parteitag im Dezember soll es mehrere Klausuren geben, acht Regionalkonferenzen, um eine Strategie zu erarbeiten. Die Fehler von 2009 und 2013, die Niederlagen nicht aufzuarbeiten, dürften sich nicht wiederholen, sagt Schulz. Immer wieder betont er, das Wahlprogramm mit dem Schwerpunkt der sozialen Gerechtigkeit sei richtig gewesen und eine gute Richtschnur für die Zukunft. Die Wähler sahen das anders.
Viele Wähler verloren
Wie eine Analyse der Meinungsforscher von Infratest dimap für die SPD-Spitze zeigt, konnte die Partei nur den härtesten Kern ihrer Anhängerschaft überzeugen. Die SPD verlor allein 470 000 Wähler an die AfD, 450 000 an die FDP, 430 000 an die Linke und 380 000 an die Grünen. Nur jeder fünfte SPD-Wähler gab der Partei seine Stimme, weil er den Kanzlerkandidaten toll fand. Schulz gibt sich davon unbeeindruckt. „Wir lassen den Kopf nicht hängen. Die SPD wird gebraucht.“
Auch in der Regierung, wenn Jamaika-Verhandlungen von Union, FDP und Grünen platzen sollten? Schulz sagt, das Nein zur Groko sei endgültig. Die Kanzlerin könne sich einen Anruf sparen. Wirklich? „Ja, ganz klar“, antwortet Schulz. „In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nie eintreten.“