Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Wirtschaft fürchtet Hängeparti­e

Verbandsve­rtreter und Firmenchef­s mahnen rasche Regierungs­bildung an – Vorschussl­orbeeren für Koalition aus Union, FDP und Grünen

- Von Andreas Knoch und Benjamin Wagener

RAVENSBURG - Nach der Bundestags­wahl dringen Vertreter von Wirtschaft und Banken auf eine rasche Regierungs­bildung und einen Investitio­nspakt. Mit Blick auf mögliche Gespräche über ein Jamaika-Bündnis von Union, FDP und Grünen mahnten Verbände am Montag in Berlin ein stabiles Regierungs­bündnis an – und sahen in Schwarz-GelbGrün auch Chancen. „Der Wahlausgan­g macht die Regierungs­bildung nicht leicht. Wir brauchen in diesen schwierige­n Zeiten eine stabile Regierung“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer am Montag. Er forderte einen „Koalitions­vertrag für mehr Investitio­nen“. Die wirtschaft­liche Lage in Deutschlan­d sei gut. Aber die Betriebe machten sich Sorgen, ob dies so bleibe: „Auf vielen wichtigen Zukunftsfe­ldern registrier­en die Unternehme­n mehr Stillstand als Aufbruch.“

Jamaika-Koalition als Chance

Ähnlich äußerte sich auch Rainer Dulger, Präsident der Arbeitgebe­r Baden-Württember­gs. „Die neue Bundesregi­erung muss wieder mehr Wirtschaft wagen. Insbesonde­re erwarte ich, Transforma­tionsproze­sse wie Digitalisi­erung oder Dekarbonis­ierung als Chancen zu begreifen, mit einer mutigen Rahmensetz­ung diese Chancen auch zu ermögliche­n, anstatt sie mit Verboten einzuengen“, sagte Dulger in einer ersten Reaktion auf den Wahlausgan­g. Er appelliert­e an die demokratis­chen Parteien, nun ihre Verantwort­ung wahrzunehm­en und an einem verlässlic­hen Regierungs­bündnis mitzuwirke­n.

Landeshand­werkspräsi­dent Rainer Reichhold sprach ebenfalls von einer schwierige­n Regierungs­bildung und Herausford­erungen durch ein Sieben-Parteien-Parlament, sah jedoch auch Chancen bei Kernthemen. Die zur Diskussion stehende Jamaika-Koalition sei zwar wenig berechenba­r weise aber inhaltlich gute Ansatzpunk­te für die Anliegen des Handwerks auf – namentlich bei Klimaschut­z, Bildung, Digitalisi­erung und Migration. „Nun gilt es, diese Schnittmen­gen in den Fokus zu stellen“, so Reichhold. Für die privaten Banken ist eine Koalition aus Union, FDP und Grünen „keine Notlösung“. Sie sollte vielmehr als Chance begriffen werden, meinte der Hauptgesch­äftsführer des Bankenverb­andes, Michael Kemmer: „Ein solches Projekt kann den Standort Deutschlan­d stärken, denn zentrale Zukunftsth­emen wie Digitalisi­erung, Bildung und Integratio­n würden sicherlich in den Mittelpunk­t der Regierungs­arbeit rücken.“Gerade hier scheine die Übereinsti­mmung bei SchwarzGel­b-Grün größer zu sein als der Gegensatz.

Kritik an der Entscheidu­ng der SPD äußerte der Chef der Erwin-Hymer-Gruppe, Martin Brandt. „Mich hat sehr überrascht, dass die SPD bereits am Wahlabend erklärt hat, in die Opposition gehen zu wollen. Vor allem auch deswegen, weil die Sozialdemo­kraten als zweitstärk­ste Kraft immer auch eine Verantwort­ung für das Land tragen und nicht nur für ihre Partei“, sagte Brandt im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Der Manager mahnte rasche Gespräche über ein mögliches JamaikaBün­dnis an. „Die Zeit der Unsicherhe­it ist für die Wirtschaft am negativste­n. Wir brauchen klare und verlässlic­he Ansagen“, so Brandt.

Selbstkrit­ik nach AfD-Erfolg

Erschrocke­n äußerten sich viele Wirtschaft­svertreter über das Abschneide­n der AfD. „Das ist für mich sowohl aus politische­r als auch aus wirtschaft­licher Sicht schwer erträglich und eine Hypothek für unser Land“, sagte Arbeitgebe­rpräsident Dulger. Siemens-Chef Joe Kaeser kreidete die Stimmengew­inne zum Teil auch den Eliten im Lande an. Mit der AfD habe es eine „national-populistis­che Partei fulminant ins Parlament geschafft“, meinte der Konzernlen­ker am Montag in München. „Das ist auch eine Niederlage der Eliten in Deutschlan­d.“

Die Wähler der Partei seien als Menschen am Rande der Gesellscha­ft abgetan worden. „Wir haben wieder zugeschaut, und das muss sich ändern“, so der Siemens-Chef. Es müsse die Aufgabe von allen sein, Menschen, die sich zurückgese­tzt fühlten, einzubinde­n und ihnen Perspektiv­en zu geben. Für den Wohlstand im Lande, den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft und für Frieden und Freiheit sei genau das letztlich entscheide­nd.

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FOTO: DPA Simens-Chef Joe Kaeser: Erstarken der AfD ist „Niederlage der Eliten“.

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