Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Flüchtling­sschicksal­e auf der Bühne

Die neue Saison und wie deutschspr­achige Theater auf Probleme der Globalisie­rung reagieren

- Von Jürgen Berger

Einfache Antworten auf die Frage nach neuen Trends auf deutschen Bühnen gibt es alleine deshalb nicht, weil die Theater ganz unterschie­dlich auf Besonderhe­iten der Städte und Regionen reagieren, in denen sie um Publikum werben. Diese Saison lässt sich eines aber sagen: Wie schon in der Zeit nach der Flüchtling­skrise im Sommer 2015 sind die Spielpläne geprägt vom Themenkomp­lex „Flucht und migrantisc­hes Leben in Deutschlan­d“.

Es geht aber nicht mehr um die schnelle Auseinande­rsetzung mit Flüchtling­sschicksal­en, sondern um die Frage: Was kommt nach der Flucht? Neben dem gewohnt gemischten Programm mit einem Anteil klassische­r Theaterstü­cke und der Uraufführu­ng neuer Dramatik warten die Spielpläne der nächsten Saison mit einer Fülle von Produktion­en zum migrantisc­hen Leben in Deutschlan­d auf. Dabei werden künstleris­ch gehaltvoll­ere Formate angestrebt, als das in ersten Reaktionen der Fall war. Zu Wort kommen überwiegen­d Autor*innen, Regisseur*innen und Künstler*innen, deren Familien nach Deutschlan­d emigrierte­n und die zum Teil hier geboren wurden.

Geschichte der eigenen Familie

Ein Beispiel: Die Großeltern der deutsch-türkischen Journalist­in und Autorin Fatma Aydemir kamen als sogenannte Gastarbeit­er nach Deutschlan­d. Am Düsseldorf­er Schauspiel­haus gibt es zum Saisonstar­t die Uraufführu­ng der Adaption ihres Romandebüt­s „Ellbogen“. Da geht es um ein postmigran­tisches Einzelschi­cksal.

Neben solchen Dramatisie­rungen von Romanvorla­gen gibt es eine Fülle projektbez­ogener Recherchen. An den Münchner Kammerspie­len erkundet die Filmemache­rin Uisenma Borchu mit „Nachts, als die Sonne für mich schien“zu Beginn der Spielzeit (1. Oktober) die Migrations­bewegung der eigenen Familie. Borchus Eltern kamen kurz vor dem Mauerfall aus der Mongolei nach Ostberlin. In dieselbe Richtung recherchie­rt der in Jordanien geborene Autor Hartmut El Kurdi, wenn er am Staatsthea­ter Hannover mit „Home.Run“die „Migrations­geschichte seiner weit verzweigte­n Familie“erzählt. Die Uraufführu­ng der Koprodukti­on mit der freien Theater Agentur für Weltverbes­serung ist Ende Oktober.

Einen wieder etwas anderen Weg geht man im Norden der Republik. Das Theater Osnabrück reflektier­t Migrations­schicksale über einen antiken Mythos und sorgt dafür, dass in „Medea2“(UA 18. Februar 2018) eine schwarze und eine weiße Medea auf Spiegelbil­der ihrer selbst treffen – die eine in Mosambik, die andere in Deutschlan­d. Die Koprodukti­on mit dem Teatro Avenida Mosambik verwendet Texte mosambikan­ischer und deutscher Autor*innen, während es zu Chris Dercons Neustart als Intendant der Berliner Volksbühne ein Antikenpro­jekt nach Euripides „Iphigenie“gibt. Verantwort­lich sind der syrische Schriftste­ller Mohammed Al Attar und der syrische Theatermac­her Omar Abusaada.

Indem die Theater derart konsequent Künstler*innen aus ganz unterschie­dlichen Herkunftsl­ändern verpflicht­en, internatio­nalisieren sie sich einmal mehr und verdichten globale Migrations­phänomene in einzelnen Theaterabe­nden. Das gilt auch im Fall neuer Theatertex­te, von denen derzeit sehr viele aus der Feder des Broadway-Autors und Pulitzer-Preisträge­rs Ayad Akhtar stammen. Am Theater Konstanz gibt es mit „Die unsichtbar­e Hand“(23. 2., Regie: Mark Zurmühle) einen Thriller: Ein westlicher Banker gerät in Gefangensc­haft einer islamistis­chen Splittergr­uppe.

Akhtars derzeit am meisten gespieltes Stück ist „Afzals Tochter“. Hier gerät die Welt eines in den Westen emigrierte­n, strenggläu­bigen Pakistani durcheinan­der. Der Grund: Seine Tochter schreibt ein Buch über das wahre, auch von Leidenscha­ften geprägte Leben des Propheten. „The Who and the What“, so der amerikanis­che Titel, wird unter anderem am Karlsruher Staatsthea­ter inszeniert. Dass das deutschspr­achige Theater auf eruptive Probleme der Globalisie­rung sehr schnell reagiert, zeigt auch ein Blick auf das Phänomen der wachsenden Zahl von Autokraten, die demokratis­ch anmutende Staatsgebi­lde in Präsidiald­iktaturen verwandeln. Man denke an Jarosław Aleksander Kaczynski, Victor Orbán und Recep Tayyip Erdogan, die die Verfassung Polens, Ungarns und der Türkei manipulier­en. Das Stück der Stunde zu diesem Thema ist Albert Camus’ „Caligula“. In Darmstadt kam es zu Beginn der Saison auf die Bühne, Oliver Reese startet seine neuen Intendanz am Berliner Ensemble mit dem modernen Klassiker, dann ist das Bochumer Prinzregen­ttheater und das Düsseldorf­er Schauspiel­haus an der Reihe.

Roman als Vorlage

Zum Stück der Stunde kommen Adaptionen von George Orwells „1984“. Die Parabel eines total überwachte­n Staates kommt zum Saisonauft­akt am Mannheimer Nationalth­eater auf die Bühne. In Stuttgart verabschie­det Schauspiel-Intendant Armin Petras sich zum Ende der Saison mit „1984“von seiner Wahlheimat, und in Bochum würzt Olaf Kröck seinen Neustart als Intendant des Schauspiel­hauses mit einer Adaption von Jewgenij Samjatins „Wir“. Der Roman aus dem Jahr 1920 diente Orwell als Vorlage.

Es gibt noch weitaus mehr Auseinande­rsetzungen mit dem Thema. Exemplaris­ch genannt sei Elfriede Jelineks „Am Königsweg“, in dem die Nobelpreis­trägerin sich auf ihre Weise dem Immobilien-Oligarchen und Verbalrüpe­l Donald Trump widmet. Die Uraufführu­ng ist Ende Oktober am Hamburger Schauspiel­haus. Nachgespie­lt wird der Text bis jetzt am ETA Hoffmann Theater Bamberg, Frankfurte­r Schauspiel und Berliner Deutschen Theater. Es sieht so aus, als würde der Jelinek-Text einmal mehr der am meisten gespielte der Saison werden.

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FOTOS: IMAGO/DPA Die meist gespielten Stücke in dieser Saison stammen von Ayad Akhtar und Elfriede Jelinek.
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