Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ulmer träumen vom Frieden
Bei den fünften der „Wortschatzübungen“in der Stadtbibliothek tragen Prominente Texte eigener Wahl vor
ULM - Eine Elefantenrunde für den Frieden: Bei der fünften Auflage der „Wortschatzübungen“in der voll besetzten Stadtbibliothek, diesmal veranstaltet im Rahmen der Ulmer Friedenswochen, gelang es, Vertreter von Christentum, Judentum, Islam und den früheren Oberbürgermeister Ivo Gönner sowie andere mehr oder weniger „öffentliche“Persönlichkeiten an einen Tisch zu bekommen: Elf Texte um den Frieden wurden gesprochen; neun davon waren existente Texte aus der Literatur. Schauspielerin Hannah Münch hatte sich den Titel der „Wortschatzübungen“ganz wörtlich genommen und überzeugte mit einer eloquenten Eigenkreation um die Silbe „fried-“. Den eindringlichsten Auftritt hatte Rabbi Shneur Trebnik, der schlicht über Frieden und Unfrieden im Alten Testament, in der eigenen Familie und der unmittelbaren Nachbarschaft sprach.
Welch enorme Vielfalt von Texten, wie unterschiedlich vorgetragen und umrahmt von Songs von Common Household! Christian Glass, Leiter des Donauschwäbischen Zentralmuseums, las aus Paulus Hochgatterers in diesem Sommer erschienenen, berührenden Erzählung „Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war“, der Geschichte einer 13-Jährigen, die bei einem Bombenangriff im Herbst 1944 ihre gesamte Familie verlor und ohne Erinnerung ist. Einen Artikel über die Begegnung einer jungen Frau aus Israel und einem syrischen Asylbewerber, den er immmer bei sich trägt, las Griesbadgalerie-Chef Martin Leibinger, während sich Dekan Ernst-Wilhelm Gohl dem Thema Frieden mit dem leisen Humor und der Spiritualität des Kabarettisten und modernen Psalmendichters Hanns Dieter Hüsch annahm. Rasmus Schöll, Buchhändler und Mitbetreiber des Verlags Topalian & Milani, hatte drei Texte vorbereitet, darunter Hilde Domins „Freiheit“, während Vh-Fachbereichsleiterin Nicole Pflüger zu Bob Dylans „The Times They Are A-changin’“einen philosophischen Text Erich Fromms über die Selbstwahrnehmung des Menschen vortrug. DitibImam Israfil Polat las aus einem religionstheoretischen Text über islamische Theologie vor.
Alt-OB Ivo Gönner, bekannt für seine Vortragskunst, hatte für sich Wolfgang Borcherts Kurzgeschichte „Die Kegelbahn“entschieden, in der es um Schuld und Verantwortung und um die Frage der Selbstbestimmung des Soldaten und die Perversion von Gesellschaften geht, die für das Töten belohnen. Annemarie Brückner, Inhaberin eines Fair-Trade-Modegeschäfts, beschäftigte sich anhand von Heike Holdinghausens „Dreimal anziehen, weg damit“mit unfriedlichen Aspekten der Mode; Café-d´Art-Chefin Heidi Völzke ließ, da erkältet, einen gewählten Text aus Michail Gorbatschows in diesem Jahr erschienenen Welt-Appell „Kommt endlich zur Vernunft – Nie wieder Krieg!“vom Künstler Robert Scheel lesen, der kurzfristig einsprang.
Rabbi mahnt zum Frieden im persönlichen Umfeld
Das Schlusswort hatte Rabbi Shneur Trebnik: Der Vater von acht Kindern sprach vom – aus der Sicht der Buchreligionen heraus – ersten Mord der Menschheitsgeschichte, dem von Kain an seinem Bruder Abel, und wandte sich gegen Weltverbesserungsideologien, die gleichzeitig Gewalt wie beim G20-Gipfel in Hamburg produzierten. „Die Leute wollen Weltfrieden, aber mit der eigenen Ehefrau oder mit dem eigenen Nachbarn geht der Frieden nicht“, sagte Trebnik pragmatisch. Frieden fange nicht damit an, die Welt mit politischen Theorien retten zu wollen, sondern damit, Frieden zu halten im jeweils persönlichen Umfeld, und damit, dem Passanten auf der Straße zu helfen, wenn er gerade Hilfe benötigt.
„Und vergesst die Unterstützung für die Pflegebedürftigen nicht“, gab Trebnik den Zuhörern mit auf den Heimweg.