Schwäbische Zeitung (Laupheim)

NS-Verbrechen sind Thema bei Gesellscha­ft Oberschwab­en

Leitender Oberstaats­anwalt Jens Rommel spricht im Obermarcht­aler Spiegelsaa­l

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OBERMARCHT­AL (somm) - Jeder in Deutschlan­d und vermutlich darüber hinaus hat von den Gerichtsve­rfahren gegen John Demjanjuk und Oskar Gröning gehört. Dem schwierige­n Thema der Aufklärung von nationalso­zialistisc­hen Verbrechen vor deutschen Gerichten Jahrzehnte nach der NS-Zeit widmete sich die Gesellscha­ft Oberschwab­en in der Zusammenku­nft in Obermarcht­al. Waren in der Vergangenh­eit halbjährli­ch Gewerkscha­fter, Politiker oder auch Unternehme­n als Referenten zu Gast, so sprach diesmal mit Jens Rommel der leitende Oberstaats­anwalt und Leiter der Zentralen Stelle der Landesjust­izverwaltu­ngen zur Aufklärung nationalso­zialistisc­her Verbrechen mit Sitz in Ludwigsbur­g.

Es seien weitere Verfahren zu erwarten, erklärte Rommel in seinem Vortrag unter dem Titel „Geschichte vor Gericht“. Jährlich würden etwa 30 Anklagen zu den Gerichten gegeben. Derzeit wird die Beteiligun­g des Personals von Konzentrat­ionslagern an NS-Verbrechen untersucht. Im kommenden Jahr sei dann mit der Untersuchu­ng der Angehörige­n sogenannte­r Einsatzgru­ppen zu rechnen, erklärte Jens Rommel.

In den 1970er-Jahren waren die Gerichte in Deutschlan­d zur Meinung gekommen, die persönlich­e Schuld eines Angeklagte­n sei schwer nachweisba­r. Dass heute wieder intensiv nach Tätern geforscht wird und bei Verhandlun­gsfähigkei­t auch verhandelt wird, liege nicht etwa an einer Gesetzesän­derung, so Rommel, sondern „einfach an einer geänderten Denkweise der Justiz“durch die engere Auslegung bei Beihilfe zum Mord. Die USA wollten John Demjanjuk „loshaben“, der bei seiner Einbürgeru­ng falsche Angaben gemacht habe. In Israel wurde er allerdings freigespro­chen. Oskar Gröning habe mit der Bewachung des Gepäcks die Drohkuliss­e aufgebaut, schilderte Rommel zur Urteilsfin­dung wegen hunderttau­sendfacher Mordbeihil­fe.

In der Fragerunde bemerkte ein Zuhörer, dass mit „Eifer gegen niedrige Dienstgrad­e verhandelt wird“, während sich vor Jahrzehnte­n in München ein Einsatzgru­ppenleiter durch Kontakte hätte herauswind­en können. Rommel gab ihm insofern Recht, dass meist Niederrang­ige heute überhaupt noch leben. Verhandelt werde gegen Menschen die spätestens 1927 geboren wurden und zu Kriegsende 18 Jahre alt waren. Unklar sei, warum gegen Demjanjuk nicht früher verhandelt wurde, räumte Rommel ein. Ein weiterer Fragestell­er wollte wissen, ob zu Juristen der NSZeit und ihre Unrechtsur­teile auch geforscht und verhandelt werde. Rommel sagte, „das ist das Bedrückend­e gegenüber dem eigenen Berufsstan­d“. Außer bei Todesurtei­len aufgrund von Rechtsbeug­ung sei bereits in den 1950er-Jahren Abstand vom Aufrollen juristisch­er Verbrechen genommen worden. Acht Ermittler gibt es derzeit in Ludwigsbur­g und 1,7 Millionen Karteikart­en zu Verdächtig­en, Zeugen, Orten und Taten. In der nächsten zehn Jahre wird die Stelle vermutlich zur Gedenkstät­te umgestalte­t, glaubt Rommel.

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SZ-FOTO: SOMMER Landrat Heiner Scheffold spricht Großwort beim Vortrag.

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