Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Merkel lädt zu Sondierungen ein
Dem Obergrenzen-Kompromiss der Union folgen kommende Woche erste Gespräche
BERLIN - Nach dem Unions-Kompromiss in Sachen Obergrenze ist der Weg für Sondierungen für die Jamaika-Koalition frei. Am Mittwoch kommender Woche soll es losgehen. Zunächst möchte die Union mit der FDP sprechen, dann mit den Grünen. Zwei Tage später lädt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum ersten Sondierungsgespräch beide Parteien zusammen ein. Der FlüchtlingsKompromiss könnte die Gespräche mit den Grünen erschweren. Das Thema gehöre „sicherlich zu den schwierigsten“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir, seine Co-Vorsitzende Simone Peter warf der Union vor, verschiedene Flüchtlingsgruppen gegeneinander auszuspielen.
Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer stellten im Adenauer-Haus gemeinsam das „Regelwerk zur Migration“vor, auf das sich die Parteispitzen am Sonntagabend nach zehn Stunden Verhandlung geeinigt hatten. Merkel sprach von einem klassischen Kompromiss, mit dem der Streit um die Obergrenze beigelegt wurde. Das Wort Obergrenze kommt im Text nicht vor, wohl aber der Satz, „wir wollen erreichen, dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen die Zahl von 200 000 Menschen im Jahr nicht übersteigt“.
Mit dieser Formulierung werde dem Anliegen der CSU Rechnung getragen, so Merkel, aber auch ihrem Anliegen, dass es beim Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze geben könne, sondern „dass auch der 200 001. noch ein ordentliches Verfahren kriegt“. Festgehalten ist in dem Kompromiss, dass neu Ankommende in Entscheidungs- und Rückführungszentren nach dem Vorbild von Manching, Bamberg und Heidelberg gebündelt werden.
Für Baden-Württembergs Sozialund Integrationsminister Manfred Lucha (Grüne) geht es jetzt darum, nach vorne zu schauen und keine Abwehrkämpfe zu führen. „Die Unionsparteien können jetzt beweisen, dass sie die tatsächlichen Aufgaben, nämlich die Integration der Menschen, die bereits hier sind, gemeinsam in der Jamaika-Koalition zum Wohle aller positiv gestalten“, sagte Lucha der „Schwäbischen Zeitung“. „Wir in Baden-Württemberg machen es vor. Wir sorgen mit knapp 1000 Integrations-Managern dafür, dass die Menschen befähigt werden, ihre Existenz und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aus eigener Kraft zu meistern. Das ist eine Integrationspolitik, die bei den Menschen ankommt.“
Der Stuttgarter Innenminister und CDU-Vize Thomas Strobl lobte den Kompromiss, sieht aber Nachbesserungsmöglichkeiten in den Aufnahmezentren wie Heidelberg. Er fordert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf, seine Verfahren weiter zu beschleunigen. „Die Verweildauer ist kürzer geworden, aber das darf noch schneller werden“, sagte Strobl der „Schwäbischen Zeitung“.
BERLIN/STUTTGART - Der badenwürttembergische Innenminister und stellvertretende Vorsitzende der Bundes-CDU, Thomas Strobl (Foto: rase), zeigt sich zufrieden mit dem Kompromiss der Union zur Migration. Im Gespräch mit Kara Ballarin fordert er das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf, seine Arbeit weiter zu beschleunigen.
Warum kommt die Einigung erst jetzt? Warum nicht vor eineinhalb Jahren, als die Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen in BadenWürttemberg und Rheinland-Pfalz ähnliche Vorschläge gemacht haben?
Der Blick geht nach vorne. Wir haben jetzt Einigkeit in der Union bei dem wichtigen Thema Migration – und das ist für mich das Entscheidende. Damit haben wir eine klare Position für die Sondierungen mit der FDP und den Grünen, die voll in dem Fahrwasser liegt, das wir seit langem befürworten und umsetzen: Wir wollen die Zuzugszahlen dauerhaft und weiter nach unten bringen. Das hatten wir Ende 2015 auf unserem Bundesparteitag versprochen, und das haben wir übrigens auch eindeutig eingehalten.
Der Familiennachzug soll für Menschen mit subsidiärem Schutz ausgesetzt bleiben. Passt das zu Ihrem christlichen Familienbild?
Ja, im Sinne des gelernten Theologen und ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck sage ich: Unser Herz ist weit, unsere Möglichkeiten sind freilich begrenzt. Ich habe selbst daran mitgewirkt, den Familiennachzug auszusetzen. Es könnte um sehr viele Menschen gehen, die dafür infrage kommen. Deshalb müssen wir das Thema sehr behutsam und mit größter Sorgfalt angehen.
Das Aufnahme- und Verteilzentrum in Heidelberg gilt als Vorbild für weitere Einrichtungen dieser Art. Was könnte im Patrick-HenryVillage noch besser laufen?
Die Verweildauer ist kürzer geworden, liegt im Moment bei etwa vier bis sechs Wochen, aber das darf noch schneller werden. Wir müssen es schaffen, dass diejenigen, bei denen ein Schutzstatus zu erwarten ist, schneller eine positive Entscheidung bekommen und dann rasch Integrationsmaßnahmen erhalten. Auf der anderen Seite müssen die, die nicht bleiben können, schneller einen ablehnenden Bescheid erhalten und direkt von der Einrichtung aus rückgeführt werden in ihre Herkunftsländer. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss seine Arbeit noch weiter beschleunigen.
Wie wird denn die Zahl von 200 000 Geflüchteten berechnet, wenn nicht mal klar ist, wie viele Menschen tatsächlich freiwillig ausreisen?
Wir haben nur bei denen, die dafür staatliche Beratung oder Hilfe in Anspruch nehmen, eine genaue Übersicht, wie viele Menschen freiwillig ausreisen. Am besten ist aber sowieso, wenn wir bei den reinen Zuzugszahlen unter 200 000 bleiben. Das ist realistisch: Im laufenden Jahr wird es nach aller Wahrscheinlichkeit unter der Zahl bleiben. Es kann aber auch eine weltpolitische Lage eintreten, etwa durch einen Krieg, durch die die Zahlen wieder steigen. Im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und des individuellen Rechts auf Asyl, das im Artikel 16a im Grundgesetz verankert ist, haben wir deshalb einen atmenden Deckel definiert. Generell gilt für mich: Zuzug begrenzen und steuern - und am besten weit weniger als 200 000. So wie wir es dieses Jahr übrigens erreichen werden.