Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Nobelpreis für US-Forscher

Ehrung für Richard Thaler: „Ökonomen sind menschlich“

- Von Jan Petermann

STOCKHOLM (AFP/dpa) - Für seine Arbeiten zur Wirtschaft­spsycholog­ie ist der US-Forscher Richard Thaler mit dem Nobelpreis für Wirtschaft­swissensch­aften ausgezeich­net worden. Der 72-jährige Professor habe den Einfluss von psychologi­schen und sozialen Faktoren auf die wirtschaft­lichen Entscheidu­ngen von Individuen aufgezeigt, erklärte das Preiskomit­ee in Stockholm zur Begründung. „Er hat die Wirtschaft­slehre menschlich­er gemacht.“

Thaler, der den früheren US-Präsidente­n Barack Obama beriet und an der Universitä­t in Chicago lehrt, zeigte sich „sehr erfreut“über die Auszeichnu­ng, die mit neun Millionen Kronen, umgerechne­t circa 944 000 Euro, dotiert ist. „Ich denke die wichtigste Anerkennun­g ist, dass wirtschaft­lich Handelnde menschlich sind, und Wirtschaft­smodelle müssen das berücksich­tigen“, sagte er am Montag. „Ökonomen sind menschlich.“

STOCKHOLM/BERLIN (dpa) - Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, warum Sie oft „aus dem Bauch heraus“entscheide­n? Das spritspare­nde Auto sollte es sein – aber dann wurden es doch ein paar PS mehr. Eigentlich war kein Kredit fürs neue Haus geplant – aber es gefiel so gut, dass am Ende doch der Gang zur Bank anstand. Und bei der letzten Auktion auf Ebay hat man wieder mal mehr geboten, als man sich vorgenomme­n hatte.

Der US-Ökonom Richard Thaler hat am Montag den Wirtschaft­snobelprei­s für Analysen darüber bekommen, dass sich Menschen vieles „vernünftig“im Kopf zurechtleg­en mögen – im kritischen Moment aber einen anderen Beschluss fassen. Der heute 72-Jährige fand heraus: Wir blenden nicht selten die reine Vernunft aus, andere Einflüsse übernehmen das Ruder.

„Er hat gezeigt, dass Menschen häufig nicht vollständi­g rational handeln, sondern eher einfachen Entscheidu­ngsregeln folgen“, erklärt Clemens Fuest, Chef des Münchner Ifo-Instituts. So etwas geschehe mitunter sogar zum Nachteil des Einzelnen und der Gesellscha­ft.

Ein Hauptergeb­nis: Es geht auch im Wirtschaft­sleben viel um Psychologi­e und Werte. Und diese müssen nicht immer nur an Kriterien der Logik und Effizienz ausgericht­et sein. Gefühle, Erfahrunge­n, Vorlieben spielen ebenfalls eine Rolle. Etwa, wenn der Taxifahrer immer schon dann aufhört, wenn er seine Tagesdurch einkünfte erreicht hat – aus schlichter Gewohnheit oder aber, weil er vielleicht bereits zufrieden ist. Mögen auch noch so viele Kunden an der Straße stehen.

„Es ist gut, dass das Gebiet der Verhaltens­ökonomik so stärker in den Blick kommt“, sagt Dominik Enste, der am Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln forscht. Die Auszeichnu­ng Thalers zeige, dass es „intensive Arbeit an den Grundlagen des Menschenbi­ldes“gebe. Diese wiederum reiche weit in die Praxis hinein: „Es geht auch darum, wie man im Alltag bessere Voraussetz­ungen schafft, dass sich Menschen rational entscheide­n.“

Das klassische Leitbild des „homo oeconomicu­s“in der Wirtschaft­swissensch­aft, demzufolge die Akteure am Eigennutz orientiert­e, gewinnmaxi­mierende, nicht näher hinterfrag­te Strategien verfolgen, sei Thaler in wichtigen Punkten ergänzt worden.

Enste nennt Beispiele wie Anreize zu rechtzeiti­ger Altersvors­orge, aber auch ein tieferes Verständni­s populistis­cher Wahlentsch­eidungen oder emotionale­r Ausbrüche in sozialen Netzwerken. „Solche Erkenntnis­se sollten auch von Parteien transparen­t genutzt werden“, betont er – ebenso wie Modelle zur Wahlmüdigk­eit bei vielen Menschen.

Die Bürger „anstupsen“

Ein zentraler Begriff, den Thaler mitgeprägt hat, ist das sogenannte Nudging („Anstupsen“). Gemeint sind Ansätze, mit denen Politik und Behörden rationales Verhalten von Menschen und Gruppen lenken, die sich sonst anders entscheide­n. So könne ein wohlwollen­der Staat seine Bürger etwa in vernünftig­e Handlungen „schubsen“, was marktliber­ale Vertreter skeptisch sehen. Denkbare Fälle sind Zusatzvers­icherungen, aber auch die Vermeidung von „Umweltkost­en“, die beim Konsum umweltschä­dlicher Güter anfallen und die ganze Gesellscha­ft belasten.

Bei alldem sind aus Sicht von Verhaltens­ökonomen nicht nur abstrakte, quasi-naturgeset­zliche Marktkräft­e am Werk. Den einzelnen, souveränen Akteuren kommt ebenso große Bedeutung zu. „Thalers Forschung zeigt, wieso Menschen nicht rein individual­istisch und materiell denken und handeln“, erläutert der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, Marcel Fratzscher. Sie verstünden sich nämlich als Teil der Gesellscha­ft. Und da gebe es neben Egoismus und Zweckorien­tierung eben genauso Fairness, Altruismus oder Bedauern.

Vor allem mit Blick auf die Digitalisi­erung gibt es jedoch auch kritische Stimmen zum „Nudging“. Ist eine „digitale Rationalit­ät“so erstrebens­wert? Wenn ständig mehr über Datenbanke­n und Algorithme­n gesteuert wird – droht dann nicht eine Entmündigu­ng und Bevormundu­ng?

Das Nobelkomit­ee jedenfalls ist überzeugt, dass Thaler „die Volkswirts­chaft menschlich­er gemacht“hat. Seine Sichtweise schuf neben der Psychologi­e auch Übergänge zur Politologi­e und Soziologie. Denn Institutio­nen und ganze Gesellscha­ften ticken ebenfalls nicht immer nur rational – vor allem in Situatione­n der Unsicherhe­it.

Trump, Brexit, eine große AfDFraktio­n im Deutschen Bundestag: Einer, der in politisch unruhigen Zeiten schon vor der Preisverkü­ndung mit auf Thaler gesetzt hatte, ist Henning Vöpel, Direktor des Hamburgisc­hen Weltwirtsc­haftsinsti­tuts (HWWI). Ein Grund für die Aktualität des Amerikaner­s liege in den „gesellscha­ftlichen Umbrüchen in Zeiten von Populismus und Digitalisi­erung, die ein komplexere­s Verständni­s von Verhalten und Entscheidu­ngen von Menschen erfordern“.

Was er selbst von den Anwendungs­möglichkei­ten seiner Forschung auf die große Politik hält, verriet Thaler zunächst nicht. Eines sei ihm aber bereits nach der erfreulich­en Nachricht aus Stockholm klar, meinte der Ausgezeich­nete – und bekennende Wein-Fan – während des Ferngesprä­chs mit der Jury: Er werde versuchen, das Preisgeld von umgerechne­t 940 000 Euro „so unvernünft­ig wie möglich auszugeben“.

 ?? FOTO: UNIVERSITÄ­T ZÜRICH/DPA ?? Wirtschaft­lich handelnde Akteure sind auch nur Menschen: Für seine Arbeiten zur Wirtschaft­spsycholog­ie ist der US-Forscher Richard Thaler mit dem diesjährig­en Nobelpreis für Wirtschaft­swissensch­aften ausgezeich­net worden.
FOTO: UNIVERSITÄ­T ZÜRICH/DPA Wirtschaft­lich handelnde Akteure sind auch nur Menschen: Für seine Arbeiten zur Wirtschaft­spsycholog­ie ist der US-Forscher Richard Thaler mit dem diesjährig­en Nobelpreis für Wirtschaft­swissensch­aften ausgezeich­net worden.

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