Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Seehofer bekommt seine Zahl, Merkel etwas Frieden
Von der kommenden Woche an soll Jamaika verhandelt werden
BERLIN - „Wir haben es uns wirklich nicht leicht gemacht“, sagt CDUChefin Angela Merkel am Morgen danach. Gemeinsam mit Horst Seehofer trägt sie in einer kurzen Pressekonferenz im Adenauer-Haus die Einigung der beiden Schwesterparteien vor. Eine Zahl steht jetzt anstelle eines Wortes: 200 000 Flüchtlinge höchstens, so heißt es jetzt.
Etwas angeschlagen sehen sie aus, Merkel und Seehofer. So, als ob man schon am Ende der strapaziösen Koalitionsverhandlungen wäre und nicht am Beginn. Doch bei den langen Gesprächen ging es darum, dass die Union überhaupt sprechfähig in Verhandlungen mit der FDP und den Grünen gehen kann. Beide, CDU wie CSU, standen unter dem Druck einer Einigung. Horst Seehofer, der sich in Bayern schon Rücktrittsforderungen gegenübersieht, brauchte eine gute Nachricht genauso dringend wie Angela Merkel, die jetzt die Regierungsbildung in die Hand nehmen muss.
„Ich bin froh“, sagt Merkel gleich zweimal. Und dass es ein klassischer Kompromiss sei. Horst Seehofer weist auf einzelne Sätze des neuen „Regelwerks zur Migration“hin. „Das garantieren wir“, steht am Ende des zweiten Absatzes, in dem es darum geht, die Zahl der nach Deutschland und Europa flüchtenden Menschen nachhaltig und auf Dauer zu reduzieren, durch die Bekämpfung von Fluchtursachen, durch entschlossenes Vorgehen gegen Schlepper und Schleuser und durch Zusammenarbeit mit dem UNHCR und Herkunftsund Transitstaaten.
Horst Seehofer sieht ein tragfähiges „Kursbuch“für die Flüchtlingspolitik der kommenden Jahre. Auch wenn es in Wahrheit nur ein zweiseitiges Din-A-4Papier ist. Doch er sieht mit den Vereinbarungen Deutschland auch dann gewappnet, wenn etwa die Arbeitslosigkeit in Deutschland wieder zunehme oder gar ein Krieg die Lage verschärfen sollte. In diesem Fall müsse der Bundestag entscheiden, so ist es festgehalten. Das ist eine Spitze gegen Angela Merkel, die bei ihrer Flüchtlings-Entscheidung 2015 den Bundestag nicht einbezogen hatte. Überhaupt stehen Merkel und Seehofer an ihren Redepulten, ohne einander groß anzusehen. „Freunde werden die beiden nicht mehr“, heißt es in der Partei.
Art atmender Deckel
Vereinbart ist jetzt eine Art atmender Deckel. Sollte das genannte Ziel von 200 000 wider Erwarten durch internationale oder nationale Entwicklungen nicht eingehalten werden, so heißt es, werden man Anpassungen beschließen. Genau das hatte die rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende Julia Klöckner zusammen mit dem baden-württembergischen Justizminister Guido Wolf schon vor zwei Jahren vorgeschlagen. Doch Parteivize Klöckner triumphiert jetzt nicht. Sie sieht auch keinen Rechtsruck darin. Hätte man sich, diese Frage wird den beiden Parteivorsitzenden auf der Pressekonferenz gestellt, nicht schon viel früher auf solch ein Papier einigen können?
„Alles hat seine Zeit“, sagt Angela Merkel. Und dazwischen sei viel gearbeitet worden.
Auch Horst Seehofer erinnert daran, dass seit 2015 viel geschehen ist, und dass es auch im privaten Leben so sei, dass man sich manchmal frage, „warum ist dir das nicht vor einem Jahr eingefallen?“Von Horst Seehofer scheint etwas Druck genommen zu sein, zumindest wurde sein Verhandlungserfolg in der CSU-Telefonschalte
ausdrücklich gelobt. CSU-Vize Manfred Weber forderte ein Ende der Personaldebatte über Seehofer. „Ich denke, da ist viel Gutes in diesem Kompromiss“, zollte auch Markus Söder Anerkennung, der als Nachfolgekandidat Seehofers gilt.
Spannende Wochen
Doch jene Landtagsabgeordneten, die einen Neuanfang beim CSU-Parteitag im November forderten, blieben bei ihrer Meinung. Spannend werden die nächsten Wochen auch für Angela Merkel. Denn jetzt
kommt es darauf an, wie FDP und Grüne das Papier aufnehmen. FDPGeneralsekretärin Nicola Beer beurteilte das Papier als „gute Grundlage" für Gespräche. Grünen-Chef Cem Özdemir äußerte sich am Morgen noch sehr zurückhaltend, machte aber dann am Mittag in einem Statement klar, dass die Grünen bei ihrer Haltung blieben, dass der Nachzug von Kernfamilien von Flüchtlingen ermöglicht werden müsse. Den Familiennachzug will die Union weiter aussetzen. Großes Streitthema mit den Grünen bleibt auch die Ausweisung
der Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten. Die war im Bundesrat bislang gescheitert, wenn auch nicht am grün regierten BadenWürttemberg.
Noch vor den ersten Sondierungen mit FDP und Grünen trifft sich die Union noch einmal am nächsten Montag, um auch andere strittige Punkte, wie etwa die von der CSU geforderte Ausweitung der Mütterrente, zu besprechen. Danach will die Union mit einer 18-köpfigen Gruppe in die Verhandlungen gehen.