Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wo die wilden Tiere wohnen
Ein Fuchs an der Bushaltestelle, ein Hirsch im Souvenirladen: Das Stadthaus Ulm zeigt Bilder von vier Naturfotografen
ULM - Ein junger Hirsch zwängt sich unter einem Drehkreuz hindurch. Hinter ihm steht – wie in einer Warteschlange – das nächste Tier. Beide lassen den Hinweis auf der Seite links liegen. Dort steht auf Japanisch: „Hier ist der Ausgang.“Diese Szene stammt von einem Bild der Japanerin Yoko Ishii. Sie ist gehört zu den Fotografen, deren Aufnahmen jetzt im Stadthaus zu sehen sind. Allen Werken gemeinsam: Sie zeigen Wildtiere, die in Städten einen Lebensraum gefunden haben. Die beiden Projektleiter Raimund Kast und Annette Schellenberg haben sich für die Ausstellung vier Künstler ausgesucht. Diese haben ihren Fokus nicht nur auf verschiedenen Tieren – sondern beleuchten auch unterschiedliche Aspekte der Wildnis in der Stadt.
Der Brite Sam Hobson wurde bereits zwei Mal „Wildlife Photographer of the Year“. Im Stadthaus ist seine Serie „Dam Herons“zu sehen. Die Bilder zeigen Graureiher an den vielen Flüssen und Kanälen von Amsterdam – und insbesondere am Fischmarkt.
Auf 19 Fotografien sind die Vögel zu sehen: Drei Graureiher, die bis zum Abend warteten, um Reste eines Fischmarktes aufzupicken. Einige wandern die Ladenzeilen auf und ab – fast wie die menschliche Kundschaft.
Wieder andere kämpfen auf den Dächern der Marktstände um ein Stück Fisch. Besonders an Hobsons Fotografien ist seine Herangehensweise: Er hält die Tiere im urbanen Licht fest – ob vor der Leuchtreklame, im Scheinwerferstrahl des Autos oder im Rot oder Grün der Fußgängerampel.
Wie und warum die Tiere in die Stadt kommen, das will der deutsche Fotograf Florian Möllers ergründen. Für seine Reportage-Reihe über das wilde Tierleben in Berlin zog der Diplom-Biologe für vier Jahre in die Hauptstadt. Seine Bilder erzählen Geschichten; wie der von einer Ente, die in einem Haus sie fünf Eier legte. Die Bewohner pflegten das Tier und seinen Nachwuchs so gut, dass noch heute eine der ehemaligen Baby-Enten lebt; im stolzen Alter von elf Jahren, wie Projektleiterin Schellenberg erzählt. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Vögel liegt bei rund zwei bis drei Jahren.
Weniger mit dem biologischen als vielmehr mit dem ästhetischen Aspekt hat sich der Japaner Yoshinori Mizutani befasst. Ihn faszinieren vor allem Halsbandsittiche. Die Tiere kamen in den 1960er Jahren nach Japan. Damals kam es dort in Mode, ein Haustier zu halten. Die grellbunten Vögel können aber sehr laut werden. Und daher befanden sich bald einige von ihnen ausgesetzt in freier Wildbahn. Nun sind die Tiere das favorisierte Foto-Motiv Mizutanis. So versteckt sich ein giftgrüner Halsbandsittich in einem gelb gefärbten Ginkgobaum. Oder es fliegt ein Schwarm knallgelber Vögel; im Azurblau des Himmels wirkt dies wie Pop-ArtMalerei.
Süß oder gar lustig sind die Bilder nicht. Gerade die Fotografien von Yoko Ishii haben eine bedrohliche Ausstrahlung, wie Karla Nieerad, Leiterin des Stadthauses, anmerkt. Die Szenen muten dystopisch an. Kein Mensch ist auf den Fotografien der Japanerin zu sehen – lediglich Hirsche und Rehe.
In Nara, der ersten Hauptstadt Japans, gelten die Tiere als heilig. Sie können sich frei in der Stadt bewegen; und verursachen den ein oder anderen Autounfall. Auf den Bilden gehen die Hirsche über leer gefegte Straßen, stehen – wie in einer Schlange Wartender – vor einer öffentlichen Toilette oder befinden sich mitten in einem Souvenirladen. Passend steht in großen Lettern ein Zitat der Künstlerin: „Müsste ich mir eine Welt ohne Menschen vorstellen, dann würde sie so aussehen.“
Öffnungszeiten: „Wilde Tiere in der Stadt“wird heute, Freitag, um 19 Uhr eröffnet und läuft danach bis 10. Dezember. Das Stadthaus hat montags bis samstags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Am Donnerstag kann die Ausstellung bis 20 Uhr besucht werden. An Sonnund Feiertagen ist das Stadthaus von 11 bis 18 Uhr zugänglich. Der Eintritt ist frei.
„Müsste ich mir eine Welt ohne Menschen vorstellen, dann würde sie so aussehen.“Die Fotografin Yoko Ishii.