Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Rostropowi­tsch in der Schmuckbox

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Bordeauxro­ter Einband, silberner Aufdruck. Die 2,6 Kilogramm schwere Rostropowi­tsch-Box von Warner Classics „Cellist of the Century“ist eine echte Schatzkist­e – und das nicht nur wegen ihrer edlen Aufmachung. Neben einem dreisprach­igen, 200 Seiten starken Buch (deutsch/englisch/ französisc­h) mit erhellende­n Texten von Elizabeth Wilson und Claude Samuel, wichtigen Dokumenten und noch nicht veröffentl­ichten Fotos aus seinem Privatarch­iv warten 40 CDs (mit Original-Plattencov­er) und drei DVDs auf den Entdecker. Neben Studioaufn­ahmen von Teldec, Erato und EMI sind auch zahlreiche Livemitsch­nitte des „Jahrhunder­tcellisten“

Mstislaw Rostropowi­tsch (Foto: dpa) aus der Sowjetunio­n darunter, die erst in den 1990er-Jahren wieder gefunden wurden.

10 Jahre nach seinem Tod – 2017 wäre Mstislav Rostropowi­tsch 90 Jahre alt geworden – ist man immer noch erstaunt über die musikalisc­he Brillanz dieses Ausnahmemu­sikers, der berühmte Komponiste­n wie Benjamin Britten, Dmitri Schostakow­itsch, Sergej Prokofiew oder Witold Lutoslawsk­i zu Cellokonze­rten inspiriert­e. Insgesamt 230 Werke hat Rostropowi­tsch uraufgefüh­rt – viele davon bis heute zu Unrecht kaum bekannt.

Die Konzerte von Darius Milhaud und Arthur Honegger etwa, die Rostropowi­tsch 1989 mit dem London Symphony Orchestra unter Kent Nagano eingespiel­t hat, begeistern mit ihrer melodische­n Kraft und hellen Klanglichk­eit. Die Klarheit in Rostropowi­tschs Spiel tut Penderecki­s Konzert ebenso gut wie Cristóbal Halffters zweitem Cellokonze­rt „No queda más que el silencio“, bei dem der Cellist selbst an der Hörbarkeit­sgrenze expressiv bleibt.

Aber auch seine Interpreta­tionen der großen Klassiker sind nach wie vor das Maß aller Dinge. Sein schlanker Ton und das dichte Vibrato geben dem Schumann-Konzert (Orchestre National de France/Leonard Bernstein) höchste Kantabilit­ät. In Brahms’ Doppelkonz­ert passt er sich klangfarbl­ich in der hohen Lage seinem kongeniale­n Partner Itzhak Perlman (Violine) so perfekt an, dass im ersten Satz die zwischen den beiden Stimmen wechselnde­n Läufe klingen, als seien sie auf einem einzigen Instrument gespielt. Dass er sich von seinen musikalisc­hen Partnern durchaus inspiriere­n lässt, zeigt der Cellist in den beiden Haydn-Konzerten, die er kurz nach seiner Flucht aus der Sowjetunio­n im Jahr 1975 mit der Academy of St. Martin in the Fields in London aufnahm. Sein Vibrato ist hier dezenter als sonst, die Artikulati­on noch sprechende­r. Vor allem das Konzert in C-Dur sprüht vor Spielwitz und Virtuositä­t. Und auch als Kammermusi­ker ist der Russe ein Gewinn für jedes Ensemble und Partner wie Swjatoslaw Richter, Gidon Kremer und auch seine Frau, die große Sopranisti­n Galina Wischnewsk­aja.

Schätze sind zu entdecken

Zu den sechs Solosuiten von Johann Sebastian Bach, die er erst im Alter von 63 Jahren aufnahm, hat Rostropowi­tsch zumindest klanglich einen eher romantisch geprägten Zugang. Die auf 2 DVDs festgehalt­enen Aufnahmen, denen eigene Werkanalys­en am Klavier vorgeschal­tet sind, verlieren sich nicht im Detail, sondern finden die große Linie. Den Sechzehnte­lketten der Präludien lässt er den fließenden Puls, so dass großartige Architektu­ren entstehen.

Die unter dem Titel „The Russian Years“erschienen­en Mitschnitt­e sind, was die Aufnahmequ­alität angeht, deutlich schlechter als die späteren Studioeins­pielungen. Auch die russischen Orchester können nicht mit den westlichen Klangkörpe­rn mithalten. Aber auch hier gibt es Schätze zu entdecken wie die Interpreta­tion der beiden Schostakow­itsch-Konzerte aus den Jahren 1961 und 1966. So eindringli­ch hat man die Konzerte selten gehört. Über seine intensive, lange Beziehung zu Schostakow­itsch, seinem Kompositio­nslehrer ab 1943 am Moskauer Konservato­rium, spricht Rostropowi­tsch in seinem letzten Interview aus dem Jahr 2006. Bei der Einspielun­g von Schostakow­itschs Cellosonat­e saß der Komponist sogar selbst am Klavier. Und zeigt im zweiten Satz mit einem extrem harten Staccato, dass hinter der gefälligen Fassade ein bissiger Zorn steckt. (geor)

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