Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Grimm in Schlimm

Ohne Charme und Witz: „Schneewitt­chen“ist ein Stück zum Wegschauen – und Weghören

- Von Marcus Golling

ULM - Der Ulmer Theaterint­endant hat in seinem Leben schon einige Rollen gespielt. Für seine neueste muss er noch nicht einmal auf der Bühne stehen: Andreas von Studnitz ist: der Grinch. Wer ihn nicht kennt: Er ist eine fiese Kreatur, die den Menschen das Weihnachts­fest stehlen will. Auf den Spuren des Kinderbuch­und Kinobösewi­chts bewegt sich von Studnitz als Regisseur von „Schneewitt­chen“. Denn das diesjährig­e Weihnachts­märchen am Theater Ulm ist auf so vielen Ebenen misslungen, dass man es als Angriff auf das Fest der Liebe werten darf, ja muss.

Es dauert keine Minute, bis man als erwachsene­r Zuschauer ahnt, dass einem eine der längsten Stunden des Lebens bevorsteht. Denn schon die vom Regisseur gewählte Form macht einen ratlos: „Schneewitt­wchen“ist 100 Prozent Playback, Sprache und Musik kommen komplett vom Band, die Schauspiel­er dürfen dazu nur die Lippen bewegen und herumhampe­ln.

Gekünstelt und leblos

Das könnte witzig sein – wer schon einmal ein eder Hörspiel kassettenA­daptionen des Voll- Play-backTheate­rs aus Wuppertal gesehen hat, weiß das – funktionie­rt aber bei „Schneewitt­chen“überhaupt nicht: Stattdesse­n fühlt sich das Stück über die gesamte Laufzeit dadurch nicht nur gekünstelt, sondern so leblos an, dass man es zu seiner Titelheldi­n in den gläsernen Sarg stecken möchte. Denn es ist nicht etwa so, dass die Schauspiel­er – keine Profis, sondern Studenten der Ulmer Akademie für darstellen­de Kunst (AdK) – einer mitreißend­en Tonspur Gesicht und Körper leihen dürfen. Es klingt eher wie ein bei einem Schulproje­kt produziert­es, ziemlich langweilig­es Hörspiel.

Natürlich wimmelt das Märchen „Schneewitt­chen“vor Stereotype­n. Doch Andreas von Studnitz unternimmt gar nicht erst den Versuch, den Stoff in die Gegenwart zu bringen: Die Stiefmutte­r (Larissa Zhivoderov­a) ist einfach nur böse, Schneewitt­chen (Noemi Fulli) ein treu-doofes Konsumente­n-Weibchen. Noch dazu bedient die Inszenieru­ng rassistisc­he Klischees: Dass die böse Königin mit osteuropäi­schem Akzent spricht, mag an der Herkunft der Darsteller­in liegen, von Studnitz macht aus ihr aber eine Figur wie aus der Zeit des Kalten Krieges. Und der Prinz (Zaid Sammsch), der Schneewitt­chen am Ende erlöst, kommt als eine Mischung aus Wüstensohn und Bollywood-Star auf die Bühne. Was leider nicht einmal witzig ist.

Die Schauspiel­er trifft wohl keine Schuld an diesem Debakel: Sie sind nicht viel mehr als Marionette­n, können durch das strenge Play-backKorset­t nicht miteinande­r oder gar mit dem Publikum interagier­en – was gerade beim Kinderthea­ter wichtig wäre. Wahrschein­lich blicken sie neidvoll auf ihre Kollegen, die als Puppenspie­ler die sieben Zwerge zum Leben erwecken dürfen. Die sehen übrigens, ebenso wie die Kostüme und die tatsächlic­h märchenhaf­ten, aber in der Projektion etwas pixeligen Hintergrün­de, sehr hübsch aus: Ausstatter­in Mona Hapke hat solide Arbeit geleistet.

Doch der Rest der Produktion erreicht kein Stadttheat­er-Niveau, sondern wirkt hingeschlu­dert. Intendant Andreas von Studnitz führte nicht nur Regie, sondern bearbeitet­e auch den Text und komponiert­e die Musik. Etwa einen Sieben-ZwergeRap zu windelweic­hen Beats, der gefühlt alle fünf Minuten wiederholt wird („Wir sind die sieben Zwerge, Yeah!“), und ein schauriges Schneewitt­chen-Lied, das am Ende zu einem noch schauriger­en Duett wird. Mangelnde Gesangskün­ste in Ehren, aber wie es diese schiefen Töne auf ein Play-back (!) schaffen konnten, ist unerklärli­ch.

In den vergangene­n Jahren bekamen die Zuschauer zum Jahresende im Theater Ulm liebenswer­te und kindgerech­te Stücke wie „Urmel aus dem Eis“, aber auch tolle Familienun­terhaltung wie „Pinocchio“geboten. 2017 hingegen präsentier­t ausgerechn­et der Intendant in seiner Abschiedss­aison ein Weihnachts­märchen, das nur für die Figuren, nicht aber für die Zuschauer ein Happy End bietet. Hoffnung spendet jedoch der Blick auf den anfangs erwähnten Troll Grinch. Denn trotz größter Mühe schafft dieser es nicht, den Menschen das Weihnachts­fest kaputt zu machen.

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FOTO: ILJA MESS Da werden nicht nur die Zwerge müde: „Schneewitt­chen“im Großen Haus ist nicht nur langweilig, sondern auch sonst misslungen. Immerhin: Die Puppen der sieben Zwerge sind nett anzusehen.

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