Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Ruppiger als gewohnt
Der neue Bundestag ist zusammengetreten – SPD-Angriffe auf Merkel
BERLIN - Das Plenum des Reichtags ist hoch und weit, und doch wirkt es jetzt etwas eng. 709 Abgeordnete, das sind mehr denn je, drängen sich im Bundestag. Von einem „aufgeblähten Parlament“spricht Alterspräsident Hermann Otto Solms (FDP) wenig feierlich zur Begrüßung. Überhaupt geht es rauer als gewohnt zu.
Rund um den Bundestag – alles abgesperrt. Schließlich hatten erst am Samstag hier einige Tausend gegen Rassismus und indirekt gegen den Einzug der AfD in den Bundestag demonstriert. Um 11 Uhr wird die konstituierende Sitzung eröffnet, um 11.02 der erste Antrag der AfD, einen Versammlungsleiter zu wählen, abgelehnt.
Auf der Tribüne sitzen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und die früheren Bundestagspräsidenten, die deutsch-jüdische Schriftstellerin und Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron ist gekommen, und oberhalb der FDP-Fraktion sitzen viele Liberale wie Rainer Brüderle und Birgit Homburger, die sich über den Wiedereinzug ihrer Partei freuen, aber auch AfD-Chef Jörg Meuthen, dessen Fraktion rechts der FDP sitzt. Auf einem Extrasessel weiter hinten Frauke Petry, die sich bei allen Abstimmungen enthält.
Scharfe Debatten
Carsten Schneider, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, ist schon in der Opposition angekommen und greift die bis zu diesem Tag gemeinsame Kanzlerin der Großen Koalition, Angela Merkel, frontal an. Wenn am Küchentisch Debatten stattfänden, die im Parlament nicht geführt werden, sei das falsch. Frau Merkel, die sich Debatten nicht stelle, sei ein Grund dafür, dass es eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag geschafft hat, schimpft Schneider. Die SPD fordert mehr lebendige Demokratie, viermal im Jahr solle sich die Bundeskanzlerin einer direkten Befragungen stellen. Die Sitzung beginnt mit scharfen Geschäftsordnungsdebatten. Die AfD will den Alterspräsidenten nach
Alter und nicht nach Dienstjahren bestimmen, so wie es immer war, bevor der Bundestag wegen des drohenden Alterspräsidenten der AfD die Geschäftsordnung änderte. Die SPD will die Fragestunden lebendiger gestalten, die Grünen wollen alles an den Ältestenrat überweisen. Burkhard Hirsch, der Altliberale, der seit 1972 die konstituierenden Sitzungen verfolgt, meint: „Die Bürger haben bestimmt etwas anderes erwartet, nicht das KleinKlein.“Von „parlamentarischen Schaukämpfen“, spricht Michael Theurer (FDP).
Vielleicht aber haben die Bürger dann doch so etwas erwartet wie die Rede von Wolfgang Schäuble. Der hat 1972 zum ersten Mal im Bundestag Platz genommen. „Ich bin Parlamentarier aus Leidenschaft“sagt er, und er mahnt die Abgeordneten, die Gesellschaft insgesamt darzustellen. Die Tonlagen gesellschaftlicher Debatten verschärfe sich, das könne man vielerorts in Europa beobachten, so Schäuble. Doch er sehe mit Gelassenheit den Auseinandersetzungen entgegen, die man führen werde. Schäuble meint aber auch, dass in der Rückschau immer vieles anders bewertet werde als mitten im Streit.
Wolfgang Schäuble hat lange Parlamentserfahrung, die Abgeordneten erwarten von ihm, dass er gegenüber der AfD die Ordnung wahren kann. „Wolfgang Schäuble ist der Richtige", lobt die Ulmer CDU-Abgeordnete Ronja Kemmer.
Bei der Wahl von Schäubles Stellvertretern stand der Eklat schon vorher fest. Während die Vizes von Union, SPD, Grünen, FDP und Linken im ersten Wahlgang gewählt wurden, versagte die Mehrheit dem AfD-Kandidaten Albrecht Glaser dreimal ihre Zustimmung, weil dieser die Religionsfreiheit für den Islam infrage gestellt hatte. Nils Schmid, der frühere baden-württembergische SPD-Chef
und Wirtschaftsminister, ist neuer Abgeordneter in Berlin. Wolfgang Schäuble habe seine Sache gut gemacht, lobt er den Landsmann. Und eine „gewisse Ruppigkeit“, die der Einzug der AfD mitbringe, kenne er bereits aus dem Landtag.
Im Schloss Bellevue wurde wegen der drei Wahlgänge des AfD-Kandidaten etwas länger auf die Bundeskanzlerin und die Minister gewartet, die vom Bundespräsidenten ihre Entlassungsurkunde entgegennahmen. Gleichzeitig wurden sie gebeten, geschäftsführend im Amt zu bleiben, bis die neue Regierung steht.