Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Camp Mam Rashan bleibt noch lange Zufluchtso­rt

Eskalation der Gewalt im Nordirak macht Hoffnung auf Rückkehr in Heimatdörf­er zunichte - Spenden gefragt

- Von Ludger Möllers

ULM - „Unsicherhe­it und Beunruhigu­ng“. Wenn Shero Smo, der Leiter des Flüchtling­scamps Mam Rashan in Irakisch-Kurdistan, die Stimmung unter den 10 000 Bewohnern zusammenfa­ssen soll, dann schwingt Unruhe in seiner Stimme mit. Zwar sei das Camp, für das die Leserinnen und Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“bei der Weihnachts­aktion 2016 über 250 000 Euro gespendet hatten, nicht direkt von den Kämpfen zwischen kurdischen Peschmerga-Soldaten und Truppen der irakischen Zentralreg­ierung betroffen. Aber: „Die Bewohner verfolgen die Nachrichte­n mit großem Interesse, insbesonde­re die über die Vorgänge in der Shingal-Region“, sagt Smo: „Sie wissen nicht, was die Entwicklun­gen für sie bedeuten.“

Irakische Truppen und kurdische Peschmerga­Kämpfer hatten sich seit Anfang Oktober im Norden des Landes an manchen Orten schwere Gefechte geliefert. Nach kurdischen Angaben kamen etwa 30 Peschmerga-Kämpfer ums Leben. Der Konflikt zwischen beiden Seiten war eskaliert, nachdem die Kurden ihre Unabhängig­keitspläne vorangetri­eben hatten. Die irakische Zentralreg­ierung lehnt eine solche Abspaltung strikt ab.

In nur zwei Tagen konnten die irakischen Regierungs­truppen die meisten Gebiete einnehmen. Dabei handelt es sich um Regionen, die sowohl von Bagdad als auch von den Kurden beanspruch­t werden. Sämtliche umstritten­en Gebiete neben Kirkuk und der Region Shingal, aus der viele Flüchtling­e in Mam Rashan kommen, stehen mittlerwei­le unter der Kontrolle der vom Iran gesteuerte­n Haschd al-Schaabi-Milizen (den Volksmobil­isierungse­inheiten) oder der irakischen Armee.

Die Kurden sind damit nun auf die ursprüngli­chen Gebiete der Autonomier­egion zurückgewo­rfen. Besonders bitter ist für sie der Verlust der Ölquellen bei Kirkuk, deren Erlöse rund die Hälfte des Haushalts der Kurdenregi­on ausmachten. Unter anderem hatten die Kurden 2014 die Region Kirkuk und umliegende Gebiete erobert, nachdem die irakische Armee dort vor dem IS die Flucht ergriffen hatte.

Heimat erneut besetzt

Für die Bewohner des Camps Mam Rashan, die meisten von ihnen sind Jesiden und Christen, ist besonders bedrückend, dass ihre Heimat im Shingal-Gebirge innerhalb kurzer Zeit zum zweiten Mal besetzt wurde. Im August 2014 waren Kämpfer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) eingefalle­n. Campleiter Shero Smo: „Es waren Araber, die sie (die Flüchtling­e, d. Red.) 2014 ausgeraubt und vertrieben haben. Jetzt haben die Haschd-al-Schaabi-Milizen wieder Menschen vertrieben.“Weiter hätten die schiitisch­en Milizen einen Posten im Shingal-Gebirge selbst eingericht­et. Die Folge: „Es sind neue Flüchtling­e aus der Region gekommen“, weiß Shero Smo. In Irakisch-Kurdistan mit seinen knapp fünf Millionen Bewohnern leben 2,5 Millionen Flüchtling­e.

In Mam Rashan mit seinen Wohncontai­nern, einer Schule, einem Jugendzent­rum und einem Fußballpla­tz, finanziert durch Spenden aus Deutschlan­d, hatte lange die Hoffnung geherrscht, dass die Bewohner nach dem Sieg der US-geführten Koalition über den IS in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückkehr­en könnten. Shero Smo bewertet die Lage: „Das wird jetzt wahrschein­lich sehr lange dauern. Jetzt sind wieder Araber in ihrer Region.“Die Menschen in Mam Rashan informiere­n sich über das Fernsehen. Auch sprechen sie mit Verwandten in der Region. Smo weiß. „Die Entwicklun­g macht die Menschen traurig, ihre Moral ist geschwächt.“

Dass die kurdische Autonomieb­ehörde mit dem Verlust der Ölquellen in Kirkuk auch die Haupteinna­hmequelle verlor, wird sich über kurz oder lang auch auf die Flüchtling­e in Mam Rashan auswirken. „Essen und Strom gibt es derzeit genug“, sagt Campleiter Smo: „Aber der Bedarf steigt. Der Winter kommt.“Die kurdische Regierung sei schon vor den aktuellen Ereignisse­n in einer wirtschaft­lich schwierige­n Situation gewesen: „Das spitzt sich jetzt zu.“Smo blickt voraus: „Wir werden die Flüchtling­e vermutlich nicht mehr optimal versorgen können, wenn wir keine Hilfe bekommen.“

Winterjack­en dürften besonders gefragt sein, wenn in wenigen Wochen zweistelli­ge Minustempe­raturen herrschen werden. Smo hofft auf die Weihnachts­spendenakt­ion 2017 der „Schwäbisch­en Zeitung“, die am 25. November beginnt: „Bitte vergesst uns nicht!“

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FOTO: LUDGER MÖLLERS Die Witwe Zaar Gir musste 2014 vor der IS-Terrormili­z aus dem Singal-Gebirge fliehen: Im Camp Mam Rashan hat sie mit ihren Kindern Zuflucht gefunden. Im Fernsehen verfolgt sie die Entwicklun­g in ihrer Heimat. Hoffnungen, bald zurückkehr­en zu können, sind zunichte gemacht worden.
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