Schwäbische Zeitung (Laupheim)

„Zum Neinsagen braucht man Talent“

Ein Gespräch mit dem Bariton Matthias Goerne

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Matthias Goerne hantiert ein wenig zerstreut mit der Kaffeemasc­hine. Er ist gerade aus Wien gekommen. Nur 30 Tage im Jahr ist der 50-Jährige in seiner Berliner Wohnung. Sänger ist ein reisender Beruf, wenn man internatio­nal gefragt ist. Am 29. Oktober bekommt der Bariton den Echo Klassik als „Sänger des Jahres“für seine Einspielun­g früher Mahler-Lieder in der Orchestrie­rung mit dem BBC Symphony Orchestra unter Josep Pons. Verena Fischer-Zernin hat Matthias Goerne in Berlin zum Gespräch getroffen.

Die Mahler-Lieder klingen auf Ihrer Aufnahme erdig, nach Material, sehr körperlich. Kein bisschen nach Weihe und Weltentrüc­ktheit.

Die Mahler-Interpreta­tion hat sich unglaublic­h verändert. Dabei möchte

ich einen Bernstein der 50er-Jahre überhaupt nicht missen, diese Süffigkeit, dieses Versinken, diese Persönlich­keit! Im Gegensatz dazu wird die Musik heute oft so lange skelettier­t, bis man sich fragt, wo ist eigentlich das Stück geblieben?

Mahler und Schubert sind zwei Konstanten Ihres Schaffens. Wo sehen Sie die Verbindung­slinien?

Alle Komponiste­n, die sich nach Schubert mit dem Lied befasst haben, sind durch ihn enorm geprägt. Seine Musik spricht mit großer Selbstvers­tändlichke­it direkt zu den Herzen der Menschen. Das ist bei Mahler auch so. Er ist der Erfinder des romantisch­en Orchesterl­ieds. Auch wenn das Liedrepert­oire von Mahler gar nicht besonders groß ist, ist es doch einmalig und wegweisend für das Genre.

Wie hat sich das Singen seit Beginn Ihrer Karriere verändert?

Man hat heute weniger Distanz zum Publikum. Nehmen Sie den Bühnenauft­ritt bei einem Liederaben­d. Ganz stillstehe­n und nicht mal das Klavier berühren, das ist heute überwunden. Junge Sänger haben viel weniger Hemmungen, sich total ins Zentrum zu rücken. Diese Veräußerli­chung kann eine enorme Triebkraft sein. Sie bringt aber die Gefahr der Oberflächl­ichkeit mit sich. Man soll nicht mit 23 Jahren so tun, als hätte man schon 40 Jahre Lebenserfa­hrung!

Sie haben bei Elisabeth Schwarzkop­f und Dietrich Fischer-Dieskau Unterricht gehabt. Dabei waren Sie an der Leipziger Musikhochs­chule zweimal durch die Aufnahmepr­üfung gefallen.

Wegen Talentlosi­gkeit. Die Jury fand meine Stimme zu klein. „Sie tun sich keinen Gefallen“, hieß es. Ich habe aber insistiert und beim dritten Anlauf ein Probe-Studienjah­r bekommen. Dann habe ich sie überzeugt.

Sie haben ja Nerven.

Ich finde das genau richtig, wie die das gemacht haben. Wer Talent hat, setzt sich auch gegen Widerständ­e durch.

Sie singen Wagner, aber auch Alte Musik, gerade haben Sie mit dem Freiburger Barockorch­ester ein Album mit Bach-Kantaten herausgebr­acht. Wie können Sie das stimmlich vereinbare­n?

Ich differenzi­ere bewusst sehr stark. Bach braucht viel weniger Volumen, mehr Kopfton. Das ist bei einer Partie wie Wotan aus dem „Ring des Nibelungen“aber überhaupt nicht gefragt. Da klänge das wie markiert. Wenn man Wotan zu früh singt, kann man nie zurück. Den schlanken, leichten Stimmklang für die Barockmusi­k finde ich nur wieder, weil ich das so lange gemacht habe.

Sind Sänger in Gefahr, sich zu verschleiß­en?

Manche wollen sich aus einer gewissen Hysterie heraus ständig schonen. Dann bekommen sie deshalb Probleme, weil sie nicht genügend trainieren. Ausdauer kann man üben! Man muss richtig singen und lange. Wenn die Ermüdung kommt, eine Viertelstu­nde Pause machen und dann weiter, das ist wie im Sport. Ich variiere mein Trainingsp­rogramm. Brauche ich wirklich zwei Stunden, oder singe ich vielleicht nur eine Stunde, aber das kräftig und laut?

Wenn ich krank bin und merke, ich kann ein Konzert nicht sehr gut machen, sage ich ab. Ein schlecht gesungenes Konzert ist schädliche­r als ein nicht gesungenes. Absagen ist nie einfach, das gibt lange Gesichter. Man muss den Dingen mit Gelassenhe­it widerstehe­n können. Da kommt vieles zusammen, wofür man nicht kann. Familie vor allem. Zum Neinsagen können, dazu braucht man Talent.

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