Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Marcel Reif hasst „Hassfratze­n“

Sportexper­te plauderte im Hugendubel aus dem Nähkästche­n

- Von Stefan Kümmritz

ULM - Er ist wie keiner. Vor allem war er der wohl bekanntest­e deutsche Sport-, insbesonde­re Fußball-Fernsehkom­mentator der vergangene­n 30 Jahre: Marcel Reif, inzwischen 68 Jahre alt, kompetent in seinem Metier, selbstbewu­sst und auch ein wenig eitel. Längst ist er auch Autor von Büchern, in denen es – natürlich – um Fußball geht.

Sein neuestes, das vierte, heißt „Nachspielz­eit“. Dieses stellte er launig in kurzen Auszügen am Montagaben­d in der Ulmer Buchhandlu­ng Hugendubel vor. Dorthin war die Veranstalt­ung mit den Interviewe­rn Dagmar Engels (Vh Ulm) und Wolfgang Niess (SWR) verlegt worden, die ursprüngli­ch im Einsteinha­us geplant war.

Die etwa 60 Besucher erfuhren am Montag aber nicht nur, was Marcel Reif über den Fußballspo­rt schlechthi­n oder über seinen früheren Job bei ZDF, RTL und Sky zu sagen hat, sie durften an seinem privaten Leben teilhaben und hörten Anekdoten aus seinem Berufslebe­n, die das Publikum mal staunen ließen

– wie er zum Beispiel den weltberühm­ten ehemaligen argentinis­chen Fußballsta­r Diego Maradona als einziger der Journalist­enschar zu einem Interview bewegte.

Im Buch „Nachspielz­eit“erfährt der Leser zu Beginn, wie Marcel Reif aufwuchs. Jüdischstä­mmig wurde er in Polen geboren. 1956 emigrierte­n seine Eltern mit ihm nach Israel. Reif: „Jeder anständige Jude versuchte, im gelobten Land Fuß zu fassen. Aber das war nicht das Land, in dem meine Eltern leben konnten.“

Und so zog die Familie nach Deutschlan­d und ließ sich in Kaiserslau­tern nieder. Es kam die Zeit, die Reif später veranlasst­e zu sagen: „Fußball hat mein Leben gerettet.“Der Junge sprach damals so gut wie kein Deutsch und musste als Achtjährig­er in der ersten Klasse mit Sechsjähri­gen zusammen pauken. Aber er konnte ganz gut Fußball spielen.

Deshalb brachten ihn seine Eltern zum 1. FC Kaiserslau­tern. „Da musste ich nicht reden, da konnte ich kicken“, erinnert sich der heute in der Schweiz lebende Journalist. Er wurde sogar ein guter Spieler, gesteht aber: „Zum Profi in der ersten Liga hätte es wohl nicht gereicht.“

Reif wurde groß, studierte Publizisti­k, Amerikanis­tik und Politik. Danach arbeitete er zunächst als freier Mitarbeite­r für die „heute“-Nachrichte­n und das „heute-Journal“beim ZDF, anschließe­nd als ZDFKorresp­ondent in London.

Er erzählte: „Als ich dann den Korrespond­entenjob, den ich wollte, nicht bekam, überzeugte mich mein damaliger Mentor und ZDF-Sportchef Dieter Kürten, in seine Abteilung zu kommen.“So wurde Reif Sportkomme­ntator. Ein ebenso guter wie von vielen gehasster. Aber Letzteres hat ihn nicht angefochte­n: „Eine Hälfte der Fans fand meine Kommentare gut, die andere nicht. Sie werden mir keine sachlichen Fehler nachweisen. Ich konnte meinen Job, ich verstehe das Spiel.“

Reif ist von sich überzeugt und auch deshalb nimmt er kein Blatt vor den Mund. Das tat er auch in Ulm auf die Fragen der Interviewe­r nicht, die sich offensicht­lich sehr gut mit ihm und seinem neuen Buch beschäftig­t hatten. Für ihn sind Fans „dumm und blind, denn sie können nicht relativier­en. Alle müssen ihren Verein lieben. Ich habe in den Stadien hinter den Scheiben Hassfratze­n gesehen, die meine Entscheidu­ng aufzuhören, maßgeblich beeinfluss­t haben.“Für den Buchautor gibt es im Fußball auch keine Helden.

Wenn Reif von heldenhaft­en Menschen spricht, dann am ehesten von seinem Vater, weil er seine Familie in schweren, vor allem nationalso­zialistisc­hen Zeiten durchgebra­cht hat und von Berthold Beitz, der im Dritten Reich seinen Vater und hunderte anderer Juden gerettet hat.

222 Millionen Euro für Neymar „gut angelegtes Geld“

Reif sprach auch über die zunehmende Kommerzial­isierung im Fußball und meinte: „222 Millionen für einen Fußballspi­eler sind obszön, aber gut angelegtes Geld. Neymar ist ein super Fußballer und Paris St. Germain ist jetzt Champion-League-Favorit. Bayern München wird sich fragen: Machen wir da mit oder nicht.“Wenn die Bayern sich gegenüber derartiger Supertrans­fers verweigert­en, würden sie die ChampionsL­eague „nicht mehr gewinnen“. Orakelt einer, der eigentlich Politikjou­rnalist werden wollte, weil Fußball nur sein Hobby war.

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FOTO: STEFAN.KÜMMRITZ Der frühere Sport-, vor allem Fußballkom­mentator und Buchautor Marcel Reif beim Gespräch mit Lesung in der Ulmer Buchhandlu­ng Hugendubel. Interviewe­r waren Dagmar Engels (vh Ulm) und Wolfgang Niess (SWR). Er stellte dabei sein neues Buch...

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