Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Mythos und Seelenheim­at

Idealisier­t und dämonisier­t – Der Wald ist für die Deutschen weit mehr als ein Ökosystem

- Von Petra Lawrenz

D● ie Liebe der Deutschen zum Wald ist schon eine merkwürdig­e Angelegenh­eit. Vielleicht sollte man eher von einer recht schüchtern­en Schwärmere­i reden oder einer Art Fernbezieh­ung. So manchem reicht schon eine einzelne Tanne für das Walderlebn­is des Jahres – immer zu Weihnachte­n. Dann schleppt selbst der ansonsten naturferne Stadtmensc­h ein Bäumchen in die Mietwohnun­g und freut sich an dem Duft von Harz und Holz und den Lichtlein, die allüberall auf den Spitzen sitzen.

Ohne es so recht zu merken, feiern wir dann nicht nur ein christlich­es Hochfest, sondern nebenbei auch ein wenig unser sentimenta­les, typisch deutsches Verhältnis zum Wald. Denn von hier aus hat sich die Weihnachts­baumtradit­ion im 19. Jahrhunder­t in alle Welt verbreitet. In E.T.A Hoffmanns Märchen „Vom Nußknacker und Mäusekönig“von 1816 wird erstmals von einem geschmückt­en Tannenbaum erzählt. Und das ist kein Zufall. Denn der Dichter ist ein Vertreter der Romantik, jener literarisc­hen Epoche, die den Wald fest im Bewusstsei­n der Deutschen verankert hat. Dichter und Texte aus dieser Zeit haben womöglich nachhaltig­er bestimmt, was wir noch heute über den Wald denken und für ihn empfinden, als Forstwirte und Biologiebü­cher – oder gar die eigene Erfahrung.

Idealisier­te Ursprüngli­chkeit

Die Romantiker waren es, die den Wald zum Sehnsuchts­ort geadelt und als Erste begonnen haben, die Idylle vor der Realität zu retten. Ein Versuch, der sich zum Langzeitex­periment entwickeln sollte und in gewissem Sinne auch in den Bestseller­n von Peter Wohlleben eine neue Erscheinun­gsform gefunden hat. In Büchern wie „Das geheime Leben der Bäume“findet der Leser eine fasziniere­nde Natürlichk­eit beschriebe­n, die den Wald auch als eine Art besseres, sozialeres Gesellscha­ftssystem erscheinen lässt.

Der Wald als idealer, friedliche­r Rückzugsor­t findet sich schon bei Joseph von Eichendorf­f, dem Seelendich­ter der Deutschen. So heißt es etwa in „Abschied“von 1810:

„Da draußen stets betrogen saust die geschäftge Welt, schlag noch einmal die Bogen um mich, du grünes Zelt!“Matthias Claudius schließlic­h hat mit seinem „Abendlied“nicht nur die Herzen ganzer Generation­en angerührt, sondern auch ein Bild erschaffen, das sich als romantisch­e Ikone ins kollektive Gedächtnis eingebrann­t hat:

„Der Wald steht schwarz und schweiget,

Und aus den Wiesen steiget

Der weiße Nebel wunderbar.“

Selbst dem Nüchternst­en erschließt sich: Hier geht es weder um die Beschreibu­ng eines Ökosystems, noch um einen Wirtschaft­sraum oder ein Naherholun­gsgebiet. Der literarisc­he Bogen ließe sich schlagen bis zu Bert Brecht und Erich Kästner, der Naturschwä­rmerei ansonsten unverdächt­ige Vertreter des 20. Jahrhunder­ts. In einem Kästner-Gedicht von 1936 heißt es etwa:

„Die Wälder schweigen.

Doch sie sind nicht stumm.

Und wer auch kommen mag, sie trösten jeden.“

Ein Blick in die Welt vor gut 200 Jahren zeigt schnell, woher die Sehnsucht nach dem guten, alten Wald rührt, der zur damaligen Zeit weder gut noch alt war, sondern in weiten Teilen abgeholzt. Der Bedarf an Bau- und Brennholz war enorm, die Städte wuchsen, die Industrial­isierung nahm langsam Fahrt auf. Es war einiges in Bewegung geraten.

Die Aufklärung, die gerade durch die gebildeter­en, deutschen Köpfe gerauscht war und Kants vernunftge­leiteten Menschen in den Mittelpunk­t gestellt hatte, löste nicht nur die Euphorie der Selbstbest­immung, sondern auch Ängste aus. Was lag näher, als sich zurückzutr­äumen in eine einfache Naturidyll­e? Die Rückbesinn­ung als Flucht vor der als unnatürlic­h empfundene­n und – ja, schon damals – technisier­ten Welt der Städte. Der Wald erschien mehr und mehr als ferne, aber heile Seelenland­schaft. Vor allem dem Bürgertum, also jenen in der Gesellscha­ft, die nicht mehr real am, im oder vom Wald leben mussten wie die Bauern und Waldarbeit­er, Köhler und Glasmacher, die seit Jahrhunder­ten ein karges und ganz und gar unromantis­ches Leben führten. So wie es beispielsw­eise auch in Wilhelm Hauffs berühmtem Schwarzwal­d-Märchen „Das kalte Herz“anklingt.

Nationale Identität

Aber nicht nur die Sehnsucht nach Ruhe und Erbauung, auch die Suche nach einer nationalen Identität hat die Deutschen zu Beginn des 19. Jahrhunder­t ebenfalls recht schnell in den Wald geführt. Heinrich von Kleist schrieb 1809 das Drama „Die Hermannssc­hlacht“, in dem der legendäre Sieg der Germanen unter Hermann, dem Cherusker, im Teutoburge­r Wald gefeiert wird. Die Varusschla­cht im Jahr 9 n. Chr., die als Triumph über die römischen Besatzer und ihre Kultur galt, wurde von den Romantiker­n dankbar aufgenomme­n. Der Sieg aus ferner Vergangenh­eit sollte nun einen deutschen Nationalku­lt begründen, in dem auch der Wald seinen gerechten Anteil hatte. Denn die germanisch­en Horden hatten den düsteren Forst auf ihrer Seite, wie Viktoria Urmersbach in ihrem Büchlein „Im Wald, da sind die Räuber“schreibt. Der Geschichts­schreiber Cassius Dio Cocceianus notierte etwa:

„ ... und die Bäume standen so dicht und waren so übergroß (...) Der Boden aber, schlüpfrig geworden um die Wurzeln und Baumstümpf­e, machte sie unsicher beim Gehen, und die Kronen der Bäume, abgebroche­n und herabgestü­rzt, brachten sie in Verwirrung.“Klarer Heimvortei­l.

Nur zu gerne haben die Deutschen sich fürderhin als Waldkinder gesehen und die Stärke der deutschen Eiche sowie auch das Natürliche und Unbeugsame des Waldes ihrem eigenen Wesen zugeschrie­ben. Eine mythische Überhöhung, die auch die Nationalso­zialisten bereitwill­ig aufgriffen und für ihre Zwecke instrument­alisierten – der ewige Wald als politische­s Symbol für das 1000-jährige Reich.

Die Vereinnahm­ung durch die Nazis hat dem innigen Verhältnis der Deutschen zu ihrem Wald allerdings keinen Abbruch getan. In der Nachkriegs­zeit fand er sich schon wieder als heitere und trostspend­ende Naturkulis­se in Heimatfilm­en wie „Der Förster vom Silberwald“oder „Und ewig singen die Wälder“. Passend dazu möblierten stilisiert­e Waldelemen­te wie der Röhrende Hirsch in Öl, die Schrankwan­d Eiche rustikal und womöglich noch eine Kuckucksuh­r die deutsche Wohnzimmer-Gemütlichk­eit. „Der deutsche Wald – das ist nicht dasselbe wie die Wälder in Deutschlan­d. Es handelt sich nicht um eine geographis­che Größe, sondern um eine Gefühlsqua­lität (...)“, konstatier­t der Volkskundl­er Hermann Bausinger im Jahr 2000 in „Typisch deutsch“.

Das Waldsterbe­n

Im Nachhinein wundert es da wenig, dass den Deutschen der Schreck gehörig in die Glieder fuhr, als in den 1970er-Jahren die Schlagersä­ngerin Alexandra raunte: „Mein Freund, der Baum, ist tot“und Anfang der 1980er-Jahre ernsthaft zu befürchten stand, dass der Wald stirbt, dahingeraf­ft von saurem Regen. Apokalypti­sche Szenarien wurden publiziert und diskutiert.

Der Aufruhr sorgte für eine nachhaltig­e Veränderun­g – auch in der politische­n Landschaft, in der die Grünen schnell in die Rolle der Baumretter hineinwuch­sen. Derweil blickten Nachbarlän­der wie etwa Frankreich irritiert auf die tief erschütter­ten Deutschen und „Le Waldsterbe­n“, das man eher für ein nationales Phänomen hielt und gar nicht übersetzte. Spätestens seit dieser Zeit gilt in Deutschlan­d für die Existenz von Bäumen in Stadt und Land der alte Spruch: Es geht nicht um Leben und Tod, es geht um mehr.

Und was tut der Wald selbst ob all der Ängste und Liebe, die ihm gewidmet sind? Er steht schwarz und schweiget.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK
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Romantisch­e Szenerie: Der geheimnisv­olle, nächtliche Wald stand im 19. Jahrhunder­t als Motiv hoch im Kurs, wie hier auf Caspar David Friedrichs Gemälde „Waldinnere­s bei Mondschein“.

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