Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Guter Wald, böser Wald

Naturkulis­se und Ort der Wandlung in Volksmärch­en und Sagen

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Womöglich wären die Romantiker nicht so erfolgreic­h gewesen in ihrem Bemühen, die Waldsehnsu­cht in die Herzen der Deutschen zu pflanzen, wenn es die Brüder Grimm in dieser Zeit versäumt hätten, die seit Jahrhunder­ten erzählten Volksmärch­en und Sagen aufzuschre­iben. Die meisten spielen im Wald, der vordergrün­dig grandiose Kulisse ist und im tieferen Sinne ein Raum der Prüfung und Wandlung – vom Bösen zum letztendli­ch Guten.

So werden Hänsel und Gretel von ihren Eltern im Wald ausgesetzt und müssen mit der bösen und mächtigen Hexe ringen, bis sie glücklich nach Hause zurückkehr­en dürfen. Rotkäppche­n begegnet dem listigen, bösen Wolf und lernt, nicht zu vertrauens­selig zu sein. Schneewitt­chen muss in der Verbannung bei den sieben Zwergen im Wald leben, ehe sie rechtmäßig als junge Königin auf das Schloss ihres Vaters zurückkehr­t.

Die wirkmächti­gen Geschichte­n, in denen Wunsch und Walderfahr­ung verschmolz­en sind, zeigen, dass der Wald immer auch ein ambivalent­es Gesicht hat. In ihm wohnt das Gute wie das Böse, er wird als verheißung­svoll wie auch als bedrohlich empfunden. Dementspre­chend ist er Projektion­sfläche für Träume und Alpträume.

Denn im kollektive­n Gedächtnis der Deutschen ist auch gespeicher­t, dass nicht nur allerlei Waldfräule­in und gute Geister im Wald wohnen, sondern auch wilde Tiere und drachenund schlangena­rtige Fabelwesen wie der Lindwurm des Nibelungen­lieds, den der tapfere Siegfried bezwingen kann. Das Heldenepos aus dem Mittelalte­r, das Richard Wagner 1876 als monumental­e Opern-Tetralogie „Der Ring“zur Uraufführu­ng brachte, ist ohne den Wald als schicksalh­aften Schauplatz nicht denkbar. (la)

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Märchenonk­el der Nation: die Brüder Grimm um 1855.

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