Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Fahren auf der virtuellen Baustelle
Designer für Virtual Reality bauen die Welt auch zu Übungszwecken nach
Liebherr baut in Biberach Turmdrehkrane, bildet am selben Standort Kranführer aus und schult Kunden im Umgang mit den hohen Maschinen. Seit dem vergangenen Jahr nutzt das Unternehmen dazu Virtual Reality (VR). Dafür wird eine Kanzel eines Krans auf einer beweglichen Plattform auf dem Boden des Schulungszentrums montiert. In der Kanzel setzt sich der Kandidat eine Datenbrille auf – und schon scheint er sich 80 Meter über dem Boden zu bewegen. In der Brille wird darunter eine Baustelle eingeblendet. In dieser virtuellen Wirklichkeit können nun unter realistischen Bedingungen Aufgaben geübt werden. Denn Wind, Regen, unterschiedliche Tages- und Nachtzeiten werden wirklichkeitsnah simuliert. Ebenso neigt sich der Turm beim Heben von Lasten entsprechend des Gewichts, das am Haken hängt. Der Simulator bildet das Verhalten des Krans in Echtzeit ab.
Einsatz für Schulungen, Vertrieb und Service
Entwickelt hat die VR-Simulation Stoll von Gati, eine Agentur für digitale Medien mit Sitz in Crailsheim. Sie ist spezialisiert auf virtuelle Realität und 3-D-Visualisierung für den Einsatz in Unternehmen für Schulungen, Vertrieb oder Service. Von den etwa 50 Mitarbeitern sind acht VR-Designer. Einer davon ist Matthias Rohrbach, 39. Er hat an der Lösung für Liebherr mitgearbeitet. Rohrbach ist Diplom-Ingenieur für Medien und Informationswesen. „Grundlage für unsere VRLösungen sind die 3-D-Daten aus den CAD-Programmen unserer Kunden“, sagt Rohrbach. Weil jede Schraube und jedes Kabel dargestellt wird, sind die Konstruktionsdaten sehr detailliert. Sie müssen auf das Wesentliche reduziert werden. „Es geht darum, die Daten so zu dezimieren, dass eine fotorealistische Darstellung möglich ist und die Bilder stotterfrei in der Brille abgespielt werden können.“Das ist ein Spagat, den Rohrbach vollbringen muss. Der Aufbereitung folgt die Verknüpfung der Daten mit einer Logik, etwa der Bedienung.
Die Baustelle, die in der Schulung gezeigt wird, ist eine Hotelanlage in Meeresnähe. Zu sehen sind Bauarbeiter, Baufahrzeuge, Gebäude und die gesamte Landschaft drumherum. Digital nachgebildet wurde sie auf der Basis von Fotos, anschließend mit einer Bildbearbeitungssoftware eine grobe Skizze der Umgebung entworfen. Nach deren Freigabe durch Liebherr wurde die Baustelle mit einer 3-D-Software erstellt und mit Echtzeitsoftware zu einer Gesamtszene zusammengefügt, schließlich die Gegenstände animiert und vertont. Bauarbeiter laufen umher, Lkws werden geräuschvoll mittels Bagger beladen, und im Hintergrund rauscht das Meer und es krächzen Möwen.
Physikalische Simulation von Wetterbedingungen
„Entscheidend für meinen Job als VR-Designer ist es, die Komplexität der Realität zu erfassen und so zu durchdringen, dass eine benutzerfreundliche Anwendung herauskommt.“Beim Projekt für den Kranbauer lag die Komplexität in der physikalischen Simulation der Wetterbedingungen und des Neigens beim Heben von Lasten. Fachlich müssen VR-Designer sich mit 3-D-Software auskennen, bei Stoll von Gati wird die Software 3ds max von Autodesk eingesetzt. Mit Unity, einer Entwicklungsumgebung für Echtzeitanwendungen, werden die Verknüpfungen geschaffen. Diese Systeme zu beherrschen sind die technischen Voraussetzungen für seine Arbeit. „Genauso wichtig ist es, ein gestalterisches Gespür zu haben und kreativ zu sein“, sagt Rohrbach. Die Bilder, die in der Datenbrille im Kran ablaufen, hat er entworfen und dann programmiert.
Virtual Reality war bislang hauptsächlich dem industriellen Einsatz vorbehalten, etwa für den digitalen Prototypenbau in der Automobilindustrie oder im Maschinenbau. Kostengünstig und alltagstauglich für beispielsweise 360°-Filme wird VR dagegen erst heute. Dadurch entstehen auch neue Bildungsangebote. 2013 schlossen die ersten Absolventen den einzigartigen Bachelorstudiengang Virtuelle Realitäten an der privaten SRH Hochschule in Heidelberg ab. Inzwischen sind es zwischen 20 und 40 im Jahr. „Deren Berufschancen sind hervorragend“, sagt Studiengangsleiter Professor Daniel Görlich. Die Absolventen arbeiten sowohl in klassischen Branchen wie Luftfahrt und Maschinenbau als auch in der Medienbranche und der Spieleindustrie.
Das Studium kombiniert Informatik und Design. In der Automobilindustrie entwickeln VR-Designer Modelle von Menschen. So kann virtuell getestet werden, ob auf den Fahrersitzen auch wirklich alle Pedale und Schalter leicht zu erreichen sind. Auch können Muskelbeanspruchung und Ermüdungserscheinungen berechnet und erkannt werden.
Gefühl, mit den virtuellen Dingen zu interagieren
In der Architektur simulieren VR-Designer Flucht- und Evakuierungsszenarien etwa in Fußballstadien. Medizinstudenten führen an virtuellen Modellen von Menschen Operationen durch – und das in fotorealistischer, dreidimensionaler Darstellung. „Moderne VR kann das Gefühl vermitteln, nicht nur etwas anzuschauen, sondern mit virtuellen Dingen zu interagieren und aktiv in einer virtuellen Welt zu arbeiten“, sagt Görlich.
Das Einstiegsgehalt seiner Absolventen variiert nach seinen Angaben stark. „In den etablierten Industrien verdienen sie etwa 40 000 bis 45 000 Euro jährlich.“In der Kreativbranche dagegen oftmals nur die Hälfte.