Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Im Paradies verschwind­en Steuergeld­er

Enthüllung­en belasten Unternehme­n und Politiker – darunter US-Handelsmin­ister Ross

- Von Hannes Koch

BERLIN - Paul Gauselmann ist 83 Jahre alt und gilt als der König des Glücksspie­ls in Deutschlan­d. Seine Spielothek­en finden sich in vielen Städten. Nun taucht der Name des Unternehme­ns aus dem nordrheinw­estfälisch­en Espelkamp in einer umfangreic­hen Journalist­en-Recherche auf, bei der es vor allem um Steuerhint­erziehung und Steueroase­n geht. Die sogenannte­n „Paradise Papers“– abgeleitet von „Steuer-Paradies“– wurden am Sonntagabe­nd bekannt und beschäftig­en seitdem das politische Berlin.

Rund 13,4 Millionen Dokumente stellten Informante­n der „Süddeutsch­en Zeitung“zur Verfügung, wie diese berichtete. Zusammen mit dem NDR, WDR und dem Internatio­nalen Konsortium Investigat­iver Journalist­en (ICIJ) wertete sie einen Teil der Daten aus. Im Zentrum stehen Informatio­nen der Beratungsf­irmen Appelby und Asiaciti, die im Auftrag Verschleie­rungsfirme­n in Steueroase­n gründen. Außerdem wurden den Journalist­en Daten aus den Firmenregi­stern von 19 Staaten und Territorie­n zugespielt, die Privatleut­en und Unternehme­n beim Steuerspar­en helfen. Darunter sind Firmenanga­ben beispielsw­eise von der Isle of Man, den Bermuda oder den Cook Inseln.

Im Falle Gauselmann­s lautet der Verdacht, dass mithilfe von ApplebyAnw­älten eine Firma auf der Isle of Man gegründet wurde. Diese profitiere von Online-Glücksspie­len, die in Deutschlan­d weitgehend verboten, von hier aus aber im Internet abrufbar seien. In einer Stellungna­hme betont die Gauselmann Gruppe, „die Vorwürfe entbehren jeglicher Grundlage. Die Alliance Gaming Solutions Ltd. mit Sitz auf der Isle of Man verfügt über eine glücksspie­lrechtlich­e Volllizenz.“Man betreibe „weder unmittelba­r noch mittelbar Echtgeld-Online-Casinos in Ländern, in denen dies nicht erlaubt ist“.

Prominente und Firmen

In den Paradies-Papieren sind über 100 Politiker, Prominente, Sportler, Musiker und Unternehme­r erwähnt. Ein Vertrauter des kanadische­n Premiermin­isters Justin Trudeau kommt ebenso vor wie der U2-Sänger Bono, der Investor George Soros oder Gerhard Schröder. Der frühere SPD-Kanzler habe 2009 als „unabhängig­er Aufsichtsr­at“des russischbr­itischen Energieunt­ernehmens TNK-BP mit Sitz auf den Jungfernin­seln firmiert. Laut „Süddeutsch­er Zeitung“wollte Schröder sich nicht äußern.

Nicht nur in den USA erregte die Informatio­n Aufsehen, dass der amtierende US-Handelsmin­ister Wilbur Ross an der Reederei Navigator beteiligt sein soll, zu deren Großkunden der russische Energiekon­zern Sibur gehöre. Dieser werde unter anderem von einem Schwiegers­ohn des russischen Präsidente­n Wladimir Putin gelenkt. Das wirft die Frage auf, ob Ross in einem Interessen­konflikt zwischen seinem politische­n Amt und seinen privaten wirtschaft­lichen Interessen steht. Ein Sonderermi­ttler untersucht, ob US-Präsident Donald Trump von russischer Seite beeinfluss­t wurde oder wird.

Vornehmlic­h geht es in den Paradies-Papieren, die an die sogenannte­n „Panama-Papers“von 2016 erinnern, um legale Steuergest­altung und illegale Steuerhint­erziehung. Die Informatio­nen zeigen, wie solche Geschäftsm­odelle funktionie­ren. Beteiligt sind oft drei Gruppen von Akteuren. Kleine Länder oder Territorie­n wie die Isle of Man oder Singapur, aber auch Staaten wie die Niederland­e oder Irland senken ihre Steuern für vermögende Personen oder Unternehme­n. Damit wollen sie mehr Firmen anlocken. Berater und Rechtsanwä­lte entwickeln daraufhin komplizier­te Geschäftsk­onstruktio­nen, die sie ihren Kunden anbieten. Diese sollen verbergen, wem das eingezahlt­e Geld gehört, und Steuern sparen.

Den Heimatstaa­ten der Kunden gehen auf diese Art vermutlich Hunderte Milliarden Euro jährlich verloren. Die entgangene­n Steuern können sie nicht in Schulen, Krankenhäu­ser und Straßen investiere­n. Der große Teil der Bevölkerun­g hat Nachteile, die ökonomisch­e Elite hingegen Vorteile: Sie behält einen größeren Teil ihrer Gewinne für sich.

Sitz für 30 000 Unternehme­n

Den Recherchen zufolge sind alleine an der Adresse von Appelby auf der Isle of Man rund 1100 Firmen registrier­t. Die Insel mit 83 000 Einwohnern dient rund 30 000 Unternehme­n als Sitz. Das Territoriu­m ist offizielle­r Besitz der britischen Krone, macht aber seine eigenen Gesetze. Dazu gehört, dass die Körperscha­ftsteuer null beträgt und auf Privatflug­zeuge unter bestimmten Umständen keine Mehrwertst­euer anfällt. Allein das führte für die EU zum Verlust mehrerer Hundert Millionen Euro Steuern.

Ein Sprecher des Bundesfina­nzminister­iums forderte die Journalist­en am Montag auf, die Informatio­nen zugänglich zu machen, damit die Finanzämte­r nach einheimisc­hen Steuerhint­erziehern suchen könnten. Ex-Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) machte in den vergangene­n Jahren Druck, um die Geschäfte auf Steueroase­n zu erschweren. Mittlerwei­le wird ein internatio­naler Austausch von Einkommenu­nd Steuerdate­n praktizier­t, an dem mehr und mehr Staaten teilnehmen – aber eben nicht alle.

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FOTO: AFP Der US-Handelsmin­ister Wilbur Ross soll laut „Paradise Papers“an der Reederei Navigator beteiligt sein – zu deren Großkunden der russische Energiekon­zern Sibur gehört.

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