Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Rabenstraß­e wird zum Mütter-Highway

Die Anstifter spiegeln im Kulturhaus die Kuriosität­en des kleinbürge­rlichen Lebens und der Weltpoliti­k wider

- Von Reiner Schick

Anstifter nehmen das kleinbürge­rliche Leben und die Weltpoliti­k aufs Korn.

LAUPHEIM - Das Rathaus wird zum Erotik-Center, die Rabenstraß­e dreispurig und Winnetou neuer Laupheimer Oberbürger­meister. Kaum vorstellba­r – es sei denn, man gehört zur Kabarettgr­uppe „Die Anstifter“, die am Wochenende bei zwei restlos ausverkauf­ten Vorstellun­gen im Kulturhaus das Publikum mit schrägen Ideen und klugen Gedanken bestens unterhalte­n hat. Vermutlich erkannte sich mancher Besucher wieder in den „Spiegelung­en“, so der Titel des gut zweistündi­gen Programms.

Gewiss befand sich unter den Zuschauern die eine oder andere Helikopter-Mutter, die von Annika Halder, Eva Nertinger-Merz und der kessen Debütantin Milena Hänisch auf dem Parkbänkle köstlich persiflier­t wurden. Da wird den Kindern von Geburt an Mandarin gelehrt, um die Sprachkomp­etenz frühzeitig zu fördern, und beklagt, dass es in der Stadt noch keinen Drohnen-Führersche­in für Kindergart­enkinder gibt. Ganz wichtig ist freilich die Unterschri­ftenaktion „FFFM“– „Freie Fahrt für Mütter – wir fordern den dreispurig­en Ausbau der Rabenstraß­e“.

Jede Menge Wiedererke­nnungswert besaß auch der Sketch „Hüftgold“, bei dem Halder, NertingerM­erz und Marlies Grötzinger im Sportstudi­o eine gute Figur machen und über Fitness- und Ernährungs­fragen fachsimpel­n, ehe frau der Lactose-Intoleranz trotzt und am Ende doch in die Pizzeria drängt, denn: „Auch mit Dünnpfiff lässt sich abnehmen.“Passend zum Thema brilliert Dieter Freihardt als Schlagersä­ngerin Andrea Berg mit dem Titel: „Ich hab mich tausendmal gewogen.“

Trump (t)wittert Fake News

Apropos Freihardt: Der Verwandlun­gskünstler par excellence begeistert einmal mehr in vielfältig­en Rollen. Er entlarvt als Donald Trump, die Hände ungelenk fuchtelnd und den Mund zum Fischmaul geformt, die Gründung Hollywoods durch Carl Laemmle als „Fake News“(„Desaster! That was me! Das war ich!“) und warnt die Laupheimer vor den Immigrante­n aus Bihlafinge­n: „They only want your money – die wollen nur euer Geld!“Auch den Winfried Kretschman­n nimmt man ihm sofort ab. Der Ministerpr­äsident ist aus Stuttgart nach Laupheim gekommen, um über einen Zuschuss für das Parkhaus-Klo zu entscheide­n, und schaut beim Sprachkurs für Wirtschaft­sflüchtlin­ge aus Norddeutsc­hland (Annika Halder), Sachsen (Klaus Breitling) und Bayern (Marlies Grötzinger) vorbei. Die lernen zwar, dass Sprache der Schlüssel zur Integratio­n ist, aber: „Koi Kehrwoch g’macht isch en Abschiebun­gsgrund.“Der Landesvate­r schickt sie schließlic­h zur Zweitverwe­rtung auf die Schwäbisch­e Alb: „Damit se merket: Wenn ma bloß ,mäh’ sait, kommt am Ende bloß Scheiße raus.“

Neben Trump und Kretschman­n gibt es weiteren hohen Besuch. Putin und Erdogan singen an der Seite des US-Präsidente­n „Ich will die Macht, die hol ich mir“. Putzfrau Fatima (Nertinger-Merz) fällt zu Trumps Twitter-(Zwitscher)Sucht und seiner Nest-Frisur nur eines ein: „Sei Vögele dort oba will halt au mitschwätz­a.“

Dempfle teilt aus

Auch der Laupheimer Rathauspfö­rtner a. D. Dempfle – eine weitere Paraderoll­e für Dieter Freihardt – hat einiges zu schwätzen. Auf dem Globus säßen nur noch „die Arschgeige­n unter den Stradivari­s“an der Macht, und auch in Laupheim sei manches verdreht. Erstmal in Fahrt, teilt Dempfle kräftig aus. Die Polizei bekommt ihr Fett weg („Ruft man nachts beim Revier in Laupheim an, heißt es, die Streife ist grad in Attenweile­r. Da frag ich mich: Wo gibt’s dort um diese Zeit nen Leberkäs?“) – vor allem aber die Kommunalpo­litiker. Dass bei der ersten Kostenbere­chnung für das Hallenbad der Brandschut­z nicht berücksich­tigt worden sei, erinnere ihn an den Berliner Flughafen. „Da lob ich mir den Bischof von Limburg“, sagt Dempfle, „der isch wenigstens fertig worra.“Im Laupheimer Bauamt dagegen arbeite man so, wie die Chefin Klavier spiele: „andante, adagio“– gemächlich halt. Bei der Diskussion um den Vandalismu­s auf dem Schulcampu­s entdecke er statt eines schlüssige­n Konzepts nur „menschlich­en Gehirnfraß“, und Videokamer­as empfiehlt er eher für den Sitzungsaa­l als für den Schulhof.

Natürlich darf auch eine Gemeindera­tssitzung nicht fehlen im Programm der Anstifter. Diesmal geht’s um Ideen für neue Einnahmequ­ellen. Franz Romer (Freihardt) empfiehlt, die Kapellenst­raße als Testbuckel­strecke für die Pistenbull­ys der Firma Kässbohrer anzubieten, noch besser aber kommt der Vorschlag von Simona Mangold (Milena Hänisch) an, das Rathaus in ein Erotik-Center umzuwandel­n. Der Investor habe eine Übernahme der Belegschaf­t signalisie­rt, womit sich einige mal wieder bewegen müssten. Vor allem aber, so das Fazit im Gremium, sei das wenigstens ein vernünftig­es Verkehrsko­nzept.

Logenplätz­e im Kreisel-Café

Dass es daran hakt, machen vier Greise im Kreisel-Café im Activ-Center klar. Klaus Breitling, Annika Halder, Marlies Grötzinger und Gerhard Bayer beobachten bei Kreiselbee­rschnitten mit Genuss das Chaos auf dem Rewe-Parkplatz und im Kreisverke­hr, während „der Karle“für seine Verkehrsbe­obachtunge­n das erlebbare Rottumufer bevorzugt und dabei seine Füßchen badet. Mit Besorgnis erfüllt das Seniorenqu­artett das Gerücht, die Stadt wolle die geplante Nordtangen­te mit dem Bau eines Parkhauses und einem Parkleitsy­stem verbinden, um die Innenstadt zu entlasten. Jedoch bestehe kein Grund zur Panik: „Bei dem langsamen Gemeindera­t, meint ihr, wir erleben das noch?“

Die bevorstehe­nde Oberbürger­meisterwah­l beschäftig­t nicht nur Dempfle („Als der OB gsait hot, er hört auf, war i überrascht: I han denkt, der hot scho aufg’hört“), sondern ist auch Thema im Friseursal­on. Dessen Männer liebender Inhaber (köstlich: Benny Fetscher) und seine Kundschaft kreieren im Baukastens­ystem nach dem Vorbild von „mymüsli.com“den perfekten Kandidaten, der keinen Dienstwage­n braucht, weil er ein weißes Pferd hat, lange Haare und Tatoos trägt, freundlich und umweltbewu­sst ist und verdammt gut aussieht – also Winnetou!

„Sei Vögele dort oba will halt au mitschwätz­a!“Putzfrau Fatima über die Twitter(Zwitscher)Sucht des US-Präsidente­n Donald Trump.

„Als der OB gsait hot, er hört auf, war i überrascht: I han denkt, der hot scho aufg’hört.“Dempfle über den scheidende­n Oberbürger­meister Rainer Kapellen

Niedlicher Laemmle-Song

Stichwort lange Haare: Bei der Verleihung des Laemmle-Preises an Roland Emmerich habe ihm dessen Heiratsant­rag an seinen langjährig­en Freund ganz besonders gefallen, sagt Dempfle. Ansonsten aber sei der Carl-Laemmle-Hype in diesem Jahr grenzwerti­g gewesen: „Als meine Frau Osterlämme­r gebacken und mit Spritzguss Carl geschriebe­n hat, da war’s bei mir vorbei.“Dennoch huldigen auch die Anstifter dem großen Sohn der Stadt mit dem wunderbar originelle­n Song „Ich wollt’ ich wär’ ein Lamm“– a cappella vorgetrage­n vom dezent als Lämmchen dekorierte­n Quartett Klaus Breitling, Dieter Freihardt, Eva Nertinger-Merz und Annika Halder, dirigiert von Benny Fetscher und begleitet von Ulli Hagel, der das Publikum den ganzen Abend über in den kleinen Umbaupause­n zwischen den Programmpu­nkten mit seinem Flügelspie­l bei Laune hält.

Viele weitere Sketche, etwa zu den Themen Brexit, Bankenkris­e, Dieselskan­dal und Feiertagsd­ebatte, sorgten für ein abendfülle­ndes Kabarett. In „Luther 4.0.“und „Glaubst du?“lieferten die Anstifter auch Nachdenkli­ches zum allgegenwä­rtigen Handywahn und zum Werte- und Glaubensve­rlust – und hielten wohl auch damit manchem Besucher den Spiegel vor.

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FOTO: BERND BAUR
 ?? FOTOS: BERND BAUR ?? Winnetou! Im Friseursal­on einigen sich (v. l.) Klaus Breitling, Milena Hänisch, Benny Fetscher, Eva Nertinger-Merz, Dieter Freihardt, Marlies Grötzinger, Gerhard Bayer und Annika Halder auf den perfekten Laupheimer OB-Kandidaten.
FOTOS: BERND BAUR Winnetou! Im Friseursal­on einigen sich (v. l.) Klaus Breitling, Milena Hänisch, Benny Fetscher, Eva Nertinger-Merz, Dieter Freihardt, Marlies Grötzinger, Gerhard Bayer und Annika Halder auf den perfekten Laupheimer OB-Kandidaten.
 ??  ?? Lebhafte Diskussion im Laupheimer Kreisel-Café: „Schaut mal, dort drüben prügeln sich zwei um einen Parkplatz!“
Lebhafte Diskussion im Laupheimer Kreisel-Café: „Schaut mal, dort drüben prügeln sich zwei um einen Parkplatz!“
 ??  ?? „Ich wollt’ ich wär’ ein Lamm“: a cappella lieferten die Anstifter eine liebevoll-augenzwink­ernde Hommage an Carl Laemmle.
„Ich wollt’ ich wär’ ein Lamm“: a cappella lieferten die Anstifter eine liebevoll-augenzwink­ernde Hommage an Carl Laemmle.
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„Desaster!“: Donald Trump alias Dieter Freihardt.

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