Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Für den Bundestrai­ner geht der Deutschlan­d-Cup in die Verlängeru­ng

Nach durchwachs­enem Start steigert sich die Eishockey-Nationalma­nnschaft beim Heimturnie­r – Marco Sturms schwierige­s Olympia-Casting

- Von Joachim Lindinger

AUGSBURG - Moritz Müllers Augen leuchten. Der 30-Jährige steht im Kabinentra­kt des Augsburger CurtFrenze­l-Eisstadion­s. „Das waren“, sagt er, „einfach Spiele, an die werd’ ich mich mein Leben lang erinnern.“Deutschlan­d-Cup ist, Verteidige­r Müller, 121 Länderspie­le, gehört zu den Altgedient­en, Erfahrenen, Unverzicht­baren in der Eishockey-Nationalma­nnschaft. Jetzt schwärmt er. Spricht von der „Ehre, da dabei gewesen zu sein“. Der Schönheits­fehler: Nicht der aktuelle Wettbewerb ist gemeint, sondern das Olympiaqua­lifikation­sturnier vor etwas mehr als einem Jahr in Riga.

Sehr wohl allerdings hat das eine – der letztlich entscheide­nde deutsche 3:2-Sieg über bärenstark­e Letten damals – mit dem anderen – Platz drei beim Viernation­enturnier am Wochenende – zu tun: Bundestrai­ner Marco Sturm funktionie­rte die Duelle mit Russland, der Slowakei und den USA zur Sichtung für Pyeongchan­g 2018 um. Notgedrung­en. Denn: Es gibt kein Länderspie­l, keinen Lehrgang mehr bis zum Nominierun­gstermin im Januar. Notgedrung­en exzessiv auch: Zehn Mann aus dem Riga-Team waren in Augsburg nur dabei. Definitiv in Südkorea fehlen werden – wegen des Olympiaver­zichts der National Hockey League – Philipp Grubauer, Korbinian Holzer, Dennis Seidenberg, Leon Draisaitl, Tom Kühnhackl und Tobias Rieder. Das Ticket (mit-) geholt haben sie, einlösen werden sie es nicht können: Sportpolit­ik ist selten Athletenpo­litik.

Und Bundestrai­nersein häufig Pragmatism­us: Sieben Lettland-Fahrer vom Herbst 2016 hatte Marco Sturm im Herbst 2017 nicht nominiert, weil sie verletzt, frisch genesen oder privat verhindert waren. Chance sollte das werden: für Rückkehrer, für Neulinge. Zwei Niederlage­n wurden es: 2:8 (1:1, 1:4, 0:3) erst gegen den seit Sonntag fünfmalige­n Deutschlan­dCup-Sieger Russland, 0:3 (0:1, 0:0, 0:2) dann gegen die radikal verjüngte, überaus wehrhafte Auswahl der Slowaken. Durchwachs­en! Durchwachs­en mit Steigerung und unverhofft­er Schlusspoi­nte: einem 5:1 (1:0, 3:1, 1:0) über die USA.

Wichtiger als Ergebnisse, hatte Marco Sturm da längst zu verstehen gegeben, seien ihm derzeit „Erkenntnis­se. Absolut!“Die gab es, auch positive. Die ersten 30 Minuten gegen die Sbornaja etwa. Da bremsten nicht Rotation, nicht Reihenumst­ellungen. Der Bundestrai­ner: „Die Jungs haben bewiesen, dass sie spielen können – und mitspielen können.“2:1 stand es; den Bruch brachten ein leichtfert­iger Puckverlus­t und zwei Unterzahls­ituationen. Der Gegner war fortan „eiskalt, effizient“(Moritz Müller), Marco Sturm war angefresse­n: „Wenn man so untergeht, ist das nicht schön. Wir haben einfach den Kopf hängen lassen – zu viel und zu früh.“

So etwas kann man korrigiere­n, zumal Selbstkrit­ik dem deutschen Eishockey-Nationalsp­ieler nicht fremd ist. In Sachen Strafzeite­n nicht (Angreifer Marcus Kink: „Man weiß, dass die Russen gerne die Eins-gegeneins-Situatione­n suchen – da müssen wir einfach clever spielen, auch mit dem Schläger aufpassen“), in Sachen Emotionen nicht: „Leidenscha­ft“hatte Patrick Hager anderntags gegen die Slowakei wieder gesehen, mehr Leidenscha­ft. Widerspruc­h: keiner. Auch nicht bei der Hager’schen Einschätzu­ng, „dass wir bei fünf gegen fünf definitiv die bessere Mannschaft waren“. Zählbares aber? War allenfalls ein Innenpfost­entreffer Marcel Müllers. Das Dilemma also in Cup-Spiel zwo? Nochmals Patrick Hager: „Wir haben unglaublic­h viele Scheiben aufs Tor gebracht, auch eine gute Präsenz vorm Tor gehabt – aber letztendli­ch dann doch die Rebounds nicht gefunden.“Zu kompromiss­los agierten, zu kompakt standen die Slowaken. Für den finalen Gang gegen die USA waren da Lösungen gefragt ...

Gegen die USA gibt es Lösungen

Sie wurden geliefert. Nicht nur für 30 Minuten; auch Abpraller bekamen deutsche Abnehmer. Dazu fünfmal Grund zum Jubeln, dazu die Defensive stabilisie­rt: Das nennt man wohl „versöhnlic­h“. Dass das US-Team ein gutes Stück weg war von seiner feinen Leistung gegen Russland am Vorabend? Geschenkt. Zumal auch so ein 5:1 letztlich nur Ergebnis ist.

Für den Bundestrai­ner, den Erkenntnis­suchenden, ist das Personalpu­zzle im Zeichen der Ringe nicht einfacher geworden nach Deutschlan­d-Cup-Tag drei. Bis dahin hatte sich niemand so aufgedräng­t, dass es ein machtvolle­s olympische­s Aufdrängen gewesen wäre. Die 21-jährigen Andreas Eder und Stefan Loibl bewiesen Potenzial und Perspektiv­e, all die in der Ära Sturm bisher wenig Berücksich­tigten hatten sich bei ihren Nationalte­am-Comebacks redlich bemüht. Jetzt aber brachten die Raedekes, Piettas, Mauers ... kollektiv ihre Ambitionen aufs Eis, Alternativ­e zu sein. Mit Nachdruck. Sie haben ihren Job gemacht. Für Marco Sturm („Gewisse Spieler haben ein großes Plus. Aber es gibt genügend Plätze, die noch frei sind“) geht der Deutschlan­d-Cup in die Verlängeru­ng.

 ?? FOTO: DPA ?? Dominik Kahun (vorne) gehört trotz seiner erst 22 Jahre zu den Gesetzten in der Eishockey-Nationalma­nnschaft. Gegen die USA bereitete der Münchner das 1:0, das 2:0 und das 3:0 vor.
FOTO: DPA Dominik Kahun (vorne) gehört trotz seiner erst 22 Jahre zu den Gesetzten in der Eishockey-Nationalma­nnschaft. Gegen die USA bereitete der Münchner das 1:0, das 2:0 und das 3:0 vor.

Newspapers in German

Newspapers from Germany