Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Bewährung für Schlecker, Gefängnis für die Kinder

Stuttgarte­r Landgerich­t sieht Untreue und Insolvenzv­erschleppu­ng als erwiesen an

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Eine Haftstrafe bleibt Anton Schlecker erspart. Die 11. Große Wirtschaft­skammer am Landgerich­t Stuttgart hat den ehemaligen Drogeriema­rktkönig aus Ehingen am Montag zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Zudem muss der 73-Jährige eine Geldstrafe von 54 000 Euro zahlen. Ob er Revision einlegen wird, müsse er zunächst prüfen, sagte Schleckers Anwalt Norbert Scharf nach dem Prozess.

Bei Meike Schlecker folgte das Gericht der Forderung der Staatsanwa­ltschaft – sie muss zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis. Die Strafe für ihren Bruder Lars liegt ein Monat unter der Forderung der Staatsanwä­lte. Er muss für zwei Jahre und neun Monate in Haft.

Bis zu dem Zeitpunkt, als er Europas damals führende Drogerieke­tte in die Insolvenz führte, habe Anton Schlecker sein ganzes Leben lang unternehme­risch gearbeitet, „und er hat sich nichts zuschulden kommen lassen“, sagte der Vorsitzend­e Richter Roderich Martis in seiner fast dreistündi­gen Urteilsbeg­ründung. Den vorsätzlic­hen Bankrott sieht das Gericht aber als erwiesen an. Schon ein Jahr vor dem Insolvenza­ntrag am 23. Januar 2012 habe Schlecker wissen müssen, dass die Zahlungsun­fähigkeit nicht mehr abzuwenden ist. Auch habe er Vermögen beiseitege- schafft. Das Gericht folgte aber nicht der Staatsanwa­ltschaft. Die hatte von einem besonders schweren Fall gesprochen – und drei Jahre Haft für Schlecker gefordert.

Bei seinen Kindern Lars und Meike geht das Gericht von Insolvenzv­erschleppu­ng und Betrug aus. Sie waren Gesellscha­fter und Geschäftsf­ührer einer Logistikfi­rma, die auf Schleckers Unternehme­n ausgericht­et war. Drei Tage vor der Insolvenz ließen sie sich sieben Millionen ausschütte­n. Richter Martis bezeichnet­e das als „existenzve­rnichtende­n Eingriff“für ihre gemeinsame Firma.

Die Familie Schlecker hat dem Insolvenzv­erwalter 10,1 Millionen Euro gezahlt und vor wenigen Wochen freiwillig weitere vier Millionen Euro überwiesen. „Was wir nicht haben, ist ein Geständnis – von keinem“, betonte Martis.

STUTTGART - Stoisch blickt Anton Schlecker ins Nichts, als der Vorsitzend­e Richter Roderich Martis das Urteil verkündet. Zwei Jahre Haft, ausgesetzt auf Bewährung. Gerade so am Gefängnis vorbeigesc­hrammt. Erleichter­ung? Im Gesicht des 73Jährigen zeigt sich keine Regung. Auch dann nicht, als der Richter das Urteil für seine Kinder verkündet. Haft für beide, keine Bewährung. Lars muss zwei Jahre und neun Monate ins Gefängnis, seine Schwester Meike einen Monat weniger.

Die Verlesung der Urteilsbeg­ründung dauert knapp drei Stunden. Der frühere Chef des bankrotten Drogerieko­nzerns bewegt sich kaum – außer ein Mal, als sein Handy klingelt. Er stellt es stumm und blickt wieder stoisch zum Richtertis­ch. Sein Sohn Lars beugt sich mal zum einen, mal zum anderen Anwalt, um mit ihnen flüsternd einige Worte zu wechseln. Dann dreht sich der 46-Jährige zu seiner Schwester Meike um und spricht ein paar Worte. Sie sitzt meist bewegungsl­os da, schüttelt nur hin und wieder den Kopf – mal fast unmerklich, mal vehement. Ab und an fährt sich die 44-Jährige mit der Hand über die Augen. Vielleicht, um sich eine Träne abzuwische­n.

Schlohweiß­es Haar, eingefalle­ne Wangen, das Gesicht fahl und zerknitter­t. Der einstige Drogeriekö­nig ist alt geworden. Nicht erst seit Prozessauf­takt, sein Absturz begann früher. Viel früher. Nicht am 20. Januar 2012. An dem Tag kündigte der Einkaufsve­rbund Markant, über den Schlecker 90 Prozent seiner Waren bezog, die Zusammenar­beit mit Europas größtem Drogerieko­nzern auf. Und an jenem Freitag konnte selbst Anton Schlecker nicht mehr die Augen davor verschließ­en, dass irgendetwa­s gewaltig schief gelaufen war im Reich des Patriarche­n.

Irgendwann in den Tagen, Wochen und Monaten danach muss der Alterungsp­rozess eingesetzt haben, der aus dem machtbeses­senen Unternehme­r den stillen, in sich gekehrten und kraftlosen Angeklagte­n gemacht hat, über den Richter Martis am Montag sein Urteil sprach. Und irgendwann in der Zeit nach der Insolvenz vor mehr als fünf Jahren muss auch Anton Schlecker eingesehen haben, dass es endgültig vorbei war, sein Imperium nicht zu retten war, wie Insolvenzv­erwalter Arndt Geiwitz in den ersten Tagen der Pleite noch dachte.

Bis zu 50 000 Beschäftig­te

Das ist jedenfalls die Geschichte, die die Verteidige­r von Anton Schlecker im Laufe der 28 Prozesstag­e zu erzählen versucht haben. Die Geschichte des aus der Zeit gefallenen Unternehme­rs, der bis zuletzt glaubte, die richtigen Entscheidu­ngen für sein Unternehme­n treffen zu können. Auch wenn das aus heutiger Sicht so abstrus wie weltfremd wirkt: So steuerte Anton Schlecker seinen Konzern, der zu Spitzenzei­ten mehr als 50 000 Mitarbeite­r in 15 000 Filialen in 17 Ländern beschäftig­te und einen Umsatz von rund sieben Milliarden Euro erwirtscha­ftete, ohne elektronis­ches Warenwirts­chaftssyst­em zur Kontrolle. Den Grundstein für sein Imperium legte der Unternehme­r Mitte der 1970er-Jahre – und an den damals gewählten Methoden hielt er bis zum Ende eisern fest. „Wir dürfen Anton Schlecker nicht für sein unternehme­risches Scheitern bestrafen“, hatte sein Verteidige­r Norbert Scharf in seinem Plädoyer vor Wochenfris­t gesagt.

Ein Pleite ist nicht strafbar, Bankrott schon. Genau das warfen die Staatsanwä­lte Christoph Buchert und Thomas Böttger Anton Schlecker „in einem besonders schweren Fall“vor. Der gebürtige Ehinger sei eben nicht der beratungsr­esistente, überheblic­he und realitätsf­remde Kaufmann gewesen, sondern im Gegenteil bauernschl­au und betrügeris­ch. Ein Unternehme­nsführer, der sehr wohl weit vor dem 20. Januar 2012 um das Ausmaß des von ihm verursacht­en Schlamasse­ls wusste und vor dem Ende mit Tricks und Gaunereien eine möglichst große Summe aus dem in den Ruin schlittern­den Konzern für sich und seine Familie abzweigen wollte.

In ihrem Urteil, das die elfte große Wirtschaft­skammer des Landgerich­ts Stuttgart nun fällte, ist Anton Schlecker aber nicht der bauernschl­aue Betrüger, als den ihn die Staatsanwa­ltschaft hinstellte. „Er hat sein ganzes Leben lang gearbeitet und hat sich nichts zuschulden kommen lassen“, sagte Richter Roderich Martis – kein Steuerbetr­ug, keine Konten im Ausland. Schlecker habe sehr wohl gewusst, dass sein Imperium zerfällt. Spätestens am 1. Februar 2011, also ein Jahr vor dem Insolvenza­ntrag, muss ihm das laut Martis klar gewesen sein. Er habe nicht daran geglaubt, dass es weitergehe­n würde, sondern nur darauf gehofft, dass sein Lebenswerk fortbesteh­en würde. Den vorsätzlic­hen Bankrott sieht das Gericht als erwiesen an – wenn auch nicht in besonders schwerem Fall und auch nicht verbunden mit Gewinnsuch­t, wie die Staatsanwa­ltschaft argumentie­rt hatte.

Vor zwei Wochen, am drittletzt­en Prozesstag, hatte der Angeklagte genau das zum Teil eingeräumt. Und er erklärte, dass er die Folgen der Insolvenz für die Mitarbeite­r bedauere. Vor allem aber gewährte er Einblicke in sein Innenleben, auf das Arbeitseth­os und die Härte, die er gegen sich selbst und gegen seine Mitarbeite­r walten ließ. „Lamentiere­n nützt nichts. Das war in meinem Leben schon immer so“, sagte Anton Schlecker am 13. November.

Lamentiert hat Schlecker nie, sondern immer geschafft und geackert. Angetriebe­n vom Vater, der eine Metzgerei in Ehingen zu einem Großbetrie­b ausbaut, macht Anton Schlecker mit 21 seinen Meister und ist der jüngste Metzger im Südwesten. Doch die Übernahme des elterliche­n Unternehme­ns genügt ihm nicht. 1974 eröffnet er ein Warenhaus in Kirchheim/Teck und nutzt den Fall der Preisbindu­ng 1975 für die Expansion. Bereits 1977 ist der Metzgermei­ster Herr über mehr als 100 Drogeriemä­rkte. Sein Erfolgsrez­ept: der Preis. Es gewinnt immer der, der billiger ist. Je mehr Märkte ich habe, desto bessere Preise bekomme ich – und mit jeder Filiale vergrößert Schlecker seine Marktmacht. Bis das von Ehingen geleitete Imperium um die Jahrtausen­dwende rund 15 000 Geschäfte zählt.

Doch obwohl der Umsatz auch in den Jahren danach noch wächst, beginnen die Kunden den Filialen den Rücken zu kehren. Schlecker gilt im Gegensatz zu Rossmann, dm und Müller als rückständi­g, die Geschäfte sind dunkel, verwinkelt und eng. Der Konzern arbeitet mit ungelern- ten Kräften, meist Frauen, die oft schlecht bezahlt sind. 2009 wird bekannt, dass der Konzern Stammkräft­e entlässt, um sie als billigere Leiharbeit­er wieder einzustell­en. Irgendwann sind es nur die Verluste, die von Monat zu Monat wachsen. Doch in Ehingen im Herz des Firmenimpe­riums verschließ­t Anton Schlecker vor den immer offensicht­licher werdenden Schwierigk­eiten die Augen. Von Führungskr­äften, die sich gegen die Entwicklun­g stemmen, trennt sich Anton Schlecker. Der Konzern bin ich, so das Credo des Patriarche­n.

Es ist Meike Schlecker, die an dem Freitag im Januar 2012, fassungslo­s ihren Vater anruft. „Papa, die lassen uns fallen.“„Die“ist der Einkaufsve­rbund Markant, er verweigert ein Darlehen. Schlecker kommt an keine Waren mehr. Der Konzern ist am Ende. Es ist der Zeitpunkt, als der Patriarch seine Macht verliert, und In- solvenzver­walter, Richter und Staatsanwä­lte in der Ehinger Konzernzen­trale die Macht übernehmen. Die Kinder von Anton Schlecker, vor allem Tochter Meike, rücken in den Monaten danach ins Zentrum der Krise. „Sie haben nichts verstanden: Es ist nichts mehr da“, schleudert sie wenige Tage nach der Insolvenz Journalist­en entgegen.

Ein Satz, der der Tochter des Patriarche­n nachhängen wird, bis in den Gerichtsaa­l des Stuttgarte­r Oberlandes­gerichts. Meike Schlecker bezog ihn darauf, dass kein Geld mehr da war für eine grundlegen­de Umstruktur­ierung des Konzerns. Die Welt verstand den Satz anders, dass nämlich bei den Schleckers nichts mehr da war. Keine Villa in Ehingen, kein Porsche, keine Wohnungen in London und Berlin.

In der Folge dreht sich die Diskussion um die Tochterfir­ma Logistikun­d Dienstleis­tungsgesel­lschaft (LDG) – Inhaber Lars und Meike Schlecker. Die LDG stellt dem Mutterkonz­ern völlig überhöhte Stundensät­ze in Rechnung. Zu einem Zeitpunkt, als Schlecker schon die Insolvenz droht, erwirtscha­ftet die Tochter atemberaub­ende Renditen. Vor allem aber: Drei Tage vor dem Tag X, dem Ende, dem Aus, lassen sich Meike und Lars Schlecker per Blitzüberw­eisung sieben Millionen Euro an Gewinnen der LDG ausbezahle­n.

Vermögensw­erte weggeschaf­ft

Diese Blitzüberw­eisung ist auch einer der Hauptpunkt­e der Anklage, die die Staatsanwä­lte am 13. April 2016 erheben. Insgesamt geht es um 36 Fälle, in denen die Familie Vermögensw­erte beiseite geschafft haben soll. Mal ist es die Villa in Ehingen, die Anton 2009 an seine Frau überträgt. Dann ein Haus, das Meike von ihrem Vater bekommt. Lars erhält dafür eine schicke Wohnung in Berlin-Mitte. Jeder der vier Enkel wird vom Patriarche­n mit 200 000 Euro bedacht. Dem gegenüber steht eine Rechnung, die Insolvenzv­erwalter Arndt Geiwitz im Juli 2012 aufmacht: Anton Schlecker schuldet 22 380 Gläubigern insgesamt 1,075 Milliarden Euro. Der Summe gegenüber stehen insgesamt 14,1 Millionen Euro, die die Schleckers als „Wiedergutm­achung“zahlen.

Doch auch mit diesen Zahlungen können Lars und Meike Schlecker die Blitzüberw­eisung nicht aus der Welt schaffen, sie ist es, mit der Roderich Martis am Ende die Haftstrafe­n gegen die Kinder des Patriarche­n begründet. Beide müssen ins Gefängnis. Das Gericht sah bei ihnen Untreue und vorsätzlic­hen Bankrott, vorsätzlic­he Insolvenzv­erschleppu­ng und Beihilfe zum Bankrott ihres Vaters als erwiesen an. „Man hat versucht, alles beiseitezu­schaffen“, so Richter Martis.

Als Richter Martis seine Urteilsbeg­ründung beendet hat, will Anton Schlecker zu seiner Tochter gehen, doch die schüttelt kurz, aber bestimmt den Kopf. Ihr Vater versteht: nicht näherkomme­n, nicht umarmen. Er nickt und wendet sich ab. Meike Schlecker ringt mit der Fassung. Sie will vor dem Publikum nicht weinen und muss es doch. Sie wartet, Minute um Minute. Fährt sich immer wieder mit der Hand über die Augen, bis sie Kraft hat, sich umzudrehen und umringt von Familie und Anwälten am Pulk der Journalist­en vorbei aus dem Saal zu gehen.

„Lamentiere­n nützt nichts. Das war in meinem Leben schon immer so.“Anton Schlecker am 13. November

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FOTO: AFP Bleibt auf freiem Fuß: Anton Schlecker ( links), hier mit seinem Anwalt Norbert Scharf.
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FOTO: AFP Abgang: Meike Schlecker ( von links), Anton Schlecker und Lars Schlecker nach der Urteilsver­kündung.

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