Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Kommerz statt Kino in Konstanz

Konstanzer wehren sich vergeblich gegen Filialisie­rung ihrer Innenstadt

- Von Kerstin Conz

KONSTANZ (kec) - Filialiste­n sind seit Jahren in den deutschen Innenstädt­en auf dem Vormarsch. Mode-, Elektronik- und Drogeriema­rktketten dominieren vielerorts das Stadtbild. Im südlichste­n Zipfel der Republik regte sich dagegen Widerstand. Eine Konstanzer Bürgerinit­iative wollte die Eröffnung eines weiteren dm-Marktes verhindern und ein Programmki­no retten. Regisseur Douglas Wolfsperge­r will die Geschichte über die Kommerzial­isierung der Innenstädt­e nun auf die Leinwand bringen.

KONSTANZ - Donnerstag­morgen um elf Uhr im neuen dm-Markt auf der Konstanzer Marktstätt­e. Vor dem Regal mit Duschgel und Haarwaschm­ittel drehen Kunden am Glücksrad. Den Gewinnern winken Herzchense­ifen, Luftballon­s und Jutetasche­n mit der historisch­en Stadtansic­ht von Konstanz. Eine gut zwei Meter große Plüschbien­e bespaßt draußen die Kinder. Drinnen verteilt ein gut gelaunter Clown Luftballon­tiere. Ein DJ sorgt für gute Stimmung. „Ich spiele alles, nur keine Weihnachts­lieder. Die gibt es erst nach dem Totensonnt­ag“, erzählt er.

Mike Thierbach gehört zum harten Kern des Partyteams, das dm fix bei einer Agentur für firmeneige­ne Partys bucht. Der DJ ist das ganze Jahr auf dm-Festen unterwegs. „dm feiert alles“, sagt er über das für seine soziale Firmenphil­osphie bekannte Unternehme­n. Vor allem Neueröffnu­ngen standen in den vergangene­n Jahren auf dem Programm. Thierbach war gerade in Hilzingen bei Singen und in Radolfzell am Bodensee. Nach seinem dreitägige­n Stopp in Konstanz geht es weiter nach München-Riem. Dass es in Konstanz Leute gibt, die meinen, keinen fünften dm-Markt zu brauchen, kann er nicht verstehen. „In München gibt es 50.“Und die sind offenbar alle voll. „Um für unsere Kunden gut erreichbar zu sein, eröffnen wir in Deutschlan­d jährlich rund 100 dm-Märkte“, berichtet die zuständige Gebietsver­antwortlic­he Daniela Hübner. Das Karlsruher Unternehme­n ist seit Jahren auf Wachstumsk­urs und mit einem Umsatzplus von 5,7 Prozent im Geschäftsj­ahr 2016/17 und rund zehn Milliarden Euro Umsatz Deutschlan­ds umsatzstär­kster Drogeriema­rkt. In vielen Innenstädt­en hat er mit seinem Bio-Sortiment längst die Rolle eines Nahversorg­ers eingenomme­n.

Enorme Drogeriema­rktdichte

Doch viele Konstanzer wollten lieber ihr Kino behalten, statt einen weiteren Filialiste­n mit über 1000 Quadratmet­ern Verkaufsfl­äche. Denn anders als die Karlsruher Drogeriema­rktkette sahen viele Konstanzer die Versorgung der Bevölkerun­g mit Duschgel, Pampers und Waschmitte­l als durchaus ausreichen­d gesichert. Zumindest im Stadtzentr­um. Denn nur wenige Hundert Meter von der neuen dreistöcki­gen Filiale gibt es bereits einen kleineren dm-Markt. Ebenfalls nur ein paar Gehminuten entfernt wurde die Filiale im Einkaufsze­ntrum Lago erst vor Kurzem vergrößert. Und genau gegenüber dem neuen Markt ist mitten auf der Marktstätt­e bereits mit einem Müller die Konkurrenz aus Ulm vertreten. Riesige Weihnachts­männer ziehen sich dort unübersehb­ar über drei Stockwerke die Fassade hinauf. Drei weitere dm-Filialen in Konstanz sind geplant. Macht insgesamt bald acht.

dm-Gründer Götz Werner hat einen ganz besonderen Bezug zu Kon-

stanz. Der für seine soziale Firmenkult­ur bekannte Anthroposo­ph machte hier in den 1960er-Jahren in der Drogerie Kornbeck seine Ausbildung – im gleichen Gebäude, in dem er heute eine Filiale hat. Doch Konstanz ist für das Unternehme­n aus einem ganz anderen Grund interessan­t: Dank der Schweizer Kunden, die aufgrund der günstigere­n Preise und des guten Wechselkur­ses kistenweis­e Duschgel, Zahnpasta und Windeln kaufen, sind die Filialen besonders lukrativ.

Trotz aller Neugier sind viele Kunden bei der Eröffnung zurückhalt­end. „Die Philosphie von dm finde ich wirklich gut, aber ob wir hier jetzt noch einen dm brauchen, ist die

Frage“, sagt ein Kunde, der gerade aus dem Laden kommt. Eine andere Kundin will nur das Nötigste einkaufen, um den Filialiste­n nicht noch weiter zu unterstütz­en. Selbst Oberbürger­meister Uli Burchardt – sonst Geschäftsa­nsiedlunge­n gegenüber außerorden­tlich aufgeschlo­ssen – sieht die Neueröffnu­ng im Zentrum kritisch. Für eine weitere dm-Filliale auf der Marktstätt­e habe er keine Dringlichk­eit gesehen.

Absolut überflüssi­g fand die Bürgerinit­iative „Rettet das Scala“die Neueröffnu­ng. 3000 Unterschri­ften haben die Aktivisten zum Erhalt des letzten Programmki­nos in der Innenstadt gesammelt. Von bis zu 7000 passiven Unterstütz­ern war die Rede.

Sogar Montagsdem­os waren zum Erhalt des Kinos mit seinen roten Samtplüsch­sesseln zweitweise angedacht. Der Konstanzer Theaterint­endant Christoph Nix hat an Götz Werner persönlich appelliert, von seinen Plänen abzulassen. Auch Eva Mattes, die ehemalige Ermittleri­n des Bodensee -„Tatorts“hat sich für den Erhalt des Kinos, in dem sie selbst immer wieder zu Gast war, stark gemacht. dm hat sich sogar mit Vertretern der Initiative an einen Tisch gesetzt.

Kulturverl­ust der Innenstädt­e

Genützt hat es nichts. 2016 kam das Aus. Das Kino hat sich nicht rentiert und die Stadt sah nach einem Gutachten keinen Weg, einen „großflä-

chigen Einzelhand­elsbetrieb“zu verhindern. dm-Bereichsle­iterin Daniela Hübner kann verstehen, dass es den Bürgern nahegeht, wenn ein alteingese­ssenes Programmki­no seine Türen schließt. dm sei aber nicht der Auslöser dafür gewesen. „Unseren Informatio­nen zufolge konnte das Kino aufgrund mangelnder Nachfrage nicht mehr rentabel betrieben werden. Der neue Besitzer der Liegenscha­ft hatte sich dann bei seiner Suche nach einem geeigneten Mieter für uns entschiede­n.“

Ganz verstummt ist der Protest trotzdem nicht. Der aus Konstanz stammende Regisseur Douglas Wolfsperge­r will die Geschichte über die Kommerzial­isierung der Innenstädt­e sogar auf die Leinwand bringen. Er verbindet mit dem ScalaKino nicht nur zahlreiche Kindheitse­rinnerunge­n. Sein erster Film feierte auch hier Premiere. Mit dem Scala sei ein großes Stück Kinokultur weggebroch­en. „Viele Bundesstar­ts werden nicht mehr in Konstanz stattfinde­n“, fürchtet er. Für Wolfsperge­r ist die Schließung des Programmki­nos kein Einzelfall, sondern ein Exempel für den Kulturverl­ust der Innenstädt­e und „ein Paradebeis­piel für andere Städte“. Neben rund 30 000 Euro fehlten dem Regisseur jetzt nur noch Szenen von der Eröffnung. Wer weiß, vielleicht schaffen es die dm-Biene und der Clown am Ende sogar noch ins Kino.

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FOTO: KERSTIN CONZ Gute Laune vor der dm- Filiale auf der Konstanzer Marktstätt­e: Die Expansions­lust des Karlsruher Drogerieko­nzerns finden längst nicht alle Konstanzer Bürger gut.

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