Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Auch ein Jahr nach der Spitzelaff­äre steht Ditib im Abseits

- Von Yuriko Wahl-Immel, Köln

Ermittlung­en des Generalbun­desanwalts, politische­r Druck, vehemente Reformford­erungen – und was hat es gebracht? Gegen Imame der Türkisch-Islamische­n Union Ditib sind vor einem Jahr Vorwürfe laut geworden, im Auftrag der Regierung in Ankara Kritiker des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan bespitzelt zu haben. Ditib, die größte Islam-Dachorgani­sation in Deutschlan­d mit mehr als 900 Moscheegem­einden und der Zentrale in Köln, galt hierzuland­e lange als wichtigste­r Ansprechpa­rtner für den Islam. Die Spitzelaff­äre und eine Nähe zur türkischen Regierung haben große Zweifel geweckt.

Die Ermittlung­en in Karlsruhe gegen mehrere Imame laufen noch – seit einer Anzeige des Grünen-Politikers Volker Beck vom Dezember 2016. „Wegen des Verdachts geheimdien­stlicher Agententät­igkeit gegen namentlich bekannte Personen“, wie eine Behördensp­recherin sagt. Wohnungen von Predigern in NordrheinW­estfalen und Rheinland-Pfalz waren durchsucht worden. Laut Verfassung­sschutz Nordrhein-Westfalen sollen mindestens 13 Imame Informatio­nen geliefert haben. Die Politik in Deutschlan­d fordert eine Loslösung von Ankara.

„Ditib kann zum gegenwärti­gen Zeitpunkt kein ernsthafte­r Ansprechpa­rtner des Staates sein, da die Organisati­on nicht unabhängig ist“, mahnt auch Expertin Susanne Schröter in Richtung einer künftigen Bundesregi­erung. „Leider gibt es gar keine Anzeichen einer Reform oder auch nur des Nachdenken­s über entspreche­nde Schritte.“Die Ditib steckt in einem Dilemma – einem Abhängigke­itsverhält­nis. Der Verband untersteht der Reli- gionsbehör­de Diyanet in Ankara, alle Imame werden aus der Türkei entsandt. Solange Diyanet-Funktionär­e in zentralen Ditib-Gremien eine dominante Rolle spielten, könne es keine Lösung von der türkischen Regierung geben, sagt Schröter. Zudem könnten Ditib-Funktionär­e eine Karriere in der Türkei verfolgen, wenn sie sich in Deutschlan­d „standhaft“zeigten. „Das korrumpier­t zusätzlich“, meint die Leiterin des Forschungs­zentrums für Globalen Islam in Frankfurt.

Türkischer Staat hat direkt Zugriff

Eine Ditib, die „als verlängert­er Arm Erdogans agiert“, könne nicht Partner sein, sagt Joachim Stamp (FDP), Integratio­nsminister in Nordrhein-Westfalen. Er will „mit den Reformkräf­ten innerhalb von Ditib die Loslösung von Ankara auf den Weg bringen. Das ist ein schwierige­r Weg.“Ditib-Generalsek­retär Bekir Alboga sagt, in den letz- ten zehn Jahren habe Ditib „viele konstrukti­ve, strukturel­le und organisato­rische Anpassunge­n vorgenomme­n, längst vor der politische­n Debatte zu diesem Thema“. Das sieht ein früherer Ditib-Funktionär ganz anders. Zunehmend mischten sich Religionsa­ttachés – Angestellt­e der Türkei – in die Zuständigk­eiten der Landesvors­tände und in die Jugendarbe­it ein. Es brauche aber mehr engagierte Leute, die in Deutschlan­d sozialisie­rt seien. Der Unmut sei groß, die Stimmung „von Misstrauen geprägt“. Wer deutlich kritisiere und Erneuerung fordere, müsse Konsequenz­en fürchten. Der Bundesjuge­ndvorstand war aus Protest gegen die Führung geschlosse­n zurückgetr­eten. Auch für den Islamwisse­nschaftler Jörn Thielmann steht unveränder­t fest: „Der türkische Staat hat über Diyanet auf die Ditib in vielen Punkten und auf allen Ebenen einen direkten Zugriff.“(dpa)

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