Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Chronik eines angekündig­ten Todes

Der neue Kinofilm „Der Mann aus dem Eis“ist eine Art Racheweste­rn, garniert mit Folklore

- Von Rüdiger Suchsland

Einen spirituell­en Abenteuerf­ilm habe er drehen wollen, sagte Regisseur Felix Randau bei der Premiere. Zehn Jahre hat er an der Idee gearbeitet, in einer fiktionale­n Einfühlung das Leben des Ötzi als großes Spektakelk­ino auf die Leinwand zu bringen. Jürgen Vogel spielt den Titelhelde­n mit vollem Körpereins­atz.

Überaus grausig und brutal geht es los: Zuerst erlebt man ein paar Filmminute­n lang das harte, aber vermeintli­ch idyllische Leben einer Gemeinde in der Jungsteinz­eit in den Alpen. Man beobachtet ihren Clanchef, einen bedachtsam­en Mann, und seine deutlich jüngere blonde Frau mit zwei niedlichen Kindern. Und dann sieht man, wie das komplette Dorf massakrier­t wird – die Kinder erschlagen, die Frau zuerst noch vergewalti­gt, danach auch niedergeme­tzelt.

Nur der Clanführer war gerade nicht vor Ort, sondern – wie man das so machte seinerzeit – auf der Jagd. Von nun an wird er die Täter verfolgen und seinerseit­s töten, denn auch in der Jungsteinz­eit hieß es Auge um Auge. Auf der Ebene seiner Geschichte ist „Der Mann aus dem Eis“somit nicht anders, als ein anständige­r Racheweste­rn – allerdings gar- niert mit der Folklore der Frühgeschi­chte. Und die ist hier entscheide­nd.

„Der Mann aus dem Eis“lebt von unserem Vorwissen: Wir wissen aus der Werbung, dass Felix Randaus Film eine fiktionale Einfühlung in das Leben jenes Mannes aus dem Neolithiku­m sein soll, der etwa 5300 Jahre nach seinem Ableben aus einem schwindend­en Südtiroler Gletscher wieder auftauchte und als „Ötzi“weltberühm­t wurde. Ötzi ist seitdem eine Projektion­sfläche für Zivilisati­onsflüchte­r aller Art. Um die höchst spärlichen belegten Fakten herum haben Randau und sein Team eine ambitionie­rte Story erfunden, die uns allzu bekannt und gegenwärti­g vorkommt: Damals waren alle Ökobauern, lebten zwischen Tieren und Ritualen im Einklang mit der Natur. Spirituell­en Trost spendet ein heiliger Stein. Der Überlebend­e muss zwischen Todestrieb und Rachelust zunächst noch so etwas wie Verantwort­ung lernen, bevor der Film ihn gnädig sterben lässt, und er zum Ötzi werden kann.

Zum vorab Bekannten gehört in diesem Fall auch, dass wir wissen, wie es ausgeht. So verfolgt man die Chronik eines angekündig­ten Todes. Beflissen illustrier­t der Film das, was man aus Ötzis Leiche herauslese­n kann: eine alte Kampfwunde, die letzte Mahlzeit – Alpenstein­bock – und die tödliche Pfeilwunde in den Rücken. Das alles wirkt in seiner Beflissenh­eit eher wie eine ausgedehnt­e und teuer ausgestatt­ete „Terra X“Folge. Nach dem Motto: So könnte es gewesen sein, auch wenn es höchstwahr­scheinlich nicht so war.

Viele Fragen bleiben offen

Der Film ist trotzdem durchaus fasziniere­nd. Die Bilder von Jakub Bejnarowic­z sind großartig, auch wenn es eine Tendenz zum Touristisc­hen gibt – eine Tendenz dazu, die Pracht der Natur zu sehr auszustell­en, wie in einem Werbefilm für Abenteueru­rlaub in Südtirol.

Man kann sich auch ungeeignet­ere Hauptdarst­eller für diese Rolle vorstellen als Jürgen Vogel. Langsam und gleichmäßi­g schleppt er sich mit einem schweren Holzgestel­l auf dem Rücken, gewärmt von auch nicht gerade leichten Pelzschich­ten, unwirtlich­e Alpenpässe hinauf und Gletschers­palten hinab. Warum die Menschen damals überhaupt ins Hochgebirg­e gingen, hätte man gern gewusst – wer an Fakten interessie­rt ist, für den bleiben viele Fragen offen.

Und die zentrale Frage „Wozu das alles?“können auch die schönsten Bilder nicht tilgen. Was nutzt es dem Zuschauer, wenn Randaus Ötzi „Uh uh“sagt, und das möglicherw­eise aus Expertensi­cht authentisc­her, als ein „Ah ah“, das sich auch der Regieprakt­ikant hätte ausdenken können? Dass die Hütten mit Rinde bedeckt sind anstatt mit Stroh und die Felle um Vogels Lenden von richtigen Tieren abstammen? Ein hervorrage­ndes Beispiel für Aufwand an der falschen Stelle, zumal die hinzugezog­enen Experten selber einräumen, es handle sich um eine spielerisc­he Annäherung, und zugeben, hier wenig wirklich zu wissen.

So hat dieser Versuch, sich der neolithisc­hen Kultur zu nähern, oft etwas unfreiwill­ig Komisches – auch mit Strubbelba­rt und erfundener Primitivsp­rache bleibt Jürgen Vogel eben immer Jürgen Vogel, der einen Steinzeitm­enschen spielt.

Am Ende geht es im Kino doch um Spannung und Abenteuer, und davon bietet „Am Anfang war das Feuer“(1981) deutlich mehr, ebenso wie der unvergesse­ne Senta-Berger-Film „Als die Frauen noch Schwänze hatten“(1970). All diese Versuche beweisen, dass selbst unter den besten Regisseure­n ein Steinzeita­benteuer immer zu einer Art Trash wird.

 ?? FOTO: PORT AU PRINCE PICTURESI ?? Jürgen Vogel spielt in „ Der Mann aus dem Eis“authentisc­h den Titelhelde­n, der sich Alpenpässe hinauf- und hinuntersc­hleppt. Und dennoch ist der Film nicht mehr als eine spielerisc­he Annäherung an das Leben von Ötzi.
FOTO: PORT AU PRINCE PICTURESI Jürgen Vogel spielt in „ Der Mann aus dem Eis“authentisc­h den Titelhelde­n, der sich Alpenpässe hinauf- und hinuntersc­hleppt. Und dennoch ist der Film nicht mehr als eine spielerisc­he Annäherung an das Leben von Ötzi.

Newspapers in German

Newspapers from Germany