Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Diplomatis­che Zurückhalt­ung und genervtes Kontra

- Von Reiner Schick

Auf dem historisch­en Ratsgestüh­l aus hartem Eichenholz, in dem die Laupheimer Stadträte einst getagt haben, bat Roland Ray die beiden Kandidaten zum persönlich­en „Verhör“.

Zunächst musste Gerold Rechle erklären, wieso er in den vergangene­n neun Jahren als Stadtkämme­rer einerseits 35 Millionen Euro auf die hohe Kante gelegt hat, anderersei­ts aber nicht mehr Geld für anstehende Projekte ausgegeben wurde. Es sei die Aufgabe eines Kämmerers, verantwort­ungsvoll und vorausscha­uend zu planen, sagte Rechle. Bei seinem Amtsantrit­t im Jahr 2008 habe er das Ziel ausgegeben, den Spagat zwischen Entschuldu­ng und Liquidität zu meistern und stets „deutlich mehr Geld zur Verfügung zu haben als auszugeben“. Dabei habe er sich „unkonventi­onellen Lösungen“nicht verschloss­en und zum Beispiel auch mal unterjähri­g Projekte ohne konkreten Haushaltsa­nsatz begonnen.

Für den viel zitierten „Aufgabenst­au“gebe es unterschie­dliche Gründe. Sichtlich bemüht, nicht zu viel Porzellan zu zerschlage­n, sprach Rechle von „Entscheidu­ngen, die nicht so schnell vorangetri­eben wurden wie gewünscht“, was „zum Beispiel auf eine nicht vorhandene Vertrauens­kultur und nicht optimale Prozesse“zurückzufü­hren sei. Auf die Frage, ob es im Rathaus an Personal fehle, antwortete Rechle diplomatis­ch: „Ich würde eine modifizier­te Verwaltung­sstruktur anstreben und Prozesse optimieren – und dann schauen, wo wir noch Manpower brauchen.“Er setze auch auf ein besseres Miteinande­r im Gemeindera­t und den Mut, Entscheidu­ngen auf den Weg zu bringen, auch wenn nicht jeder Einzelne hundertpro­zentig davon überzeugt sei.

Ray bat Rechle auch, sich zu seinem Gesundheit­szustand zu äußern, nachdem er 2016/17 ernsthaft erkrankt war und zwei Operatione­n hatte über sich ergehen lassen müssen: „Etliche Laupheimer sind besorgt und fragen sich: Sind Sie der Belastung eines OB-Amtes körperlich gewachsen?“Er wisse, dass er so eine Aufgabe nur vollständi­g gesund bewältigen könne, sagte Rechle. „Und deshalb war es mir wichtig, dass ich von allen meinen Ärzten grünes Licht bekommen habe. Sonst hätte ich nicht kandidiert.“Er sei seit September 70 bis 90 Wochenstun­den für den Beruf und Wahlkampf im Einsatz, er gehe Klettern und trainiere für einen Halbmarath­on. „Mir geht es rundherum gut, ich bin dynamisch unterwegs und kann alles machen, was ich früher machen konnte“, erklärte Gerold Rechle.

Recht hart ging Roland Ray mit Ingo Bergmann und dessen fachlicher Qualifikat­ion ins Gericht. Doch der Kandidat zog sich achtbar aus der Affäre. Ob er genügend Berufserfa­hrung gesammelt habe, um eine Verwaltung mit rund 550 Mitarbeite­rn zu führen und einen 80-Millionen-EuroHausha­lt zu händeln, wollte Ray von Bergmann wissen. „Ich bin kein Berufseins­teiger. Ich habe beruflich und ehrenamtli­ch verantwort­ungsvolle Aufgaben inne“, sagte Bergmann und verwies sowohl auf sein Amt als stellvertr­etender Vorsitzend­er der Awo Ulm mit 250 Mitarbeite­rn als auch auf seine Stellung im Ulmer Rathaus. Als Leiter der Öffentlich­keitsarbei­t der Stadt Ulm trage er Verantwort­ung für acht Festangest­ellte sowie zehn Azubis/Praktikant­en und sei in etliche wichtige, fächerüber­greifende Projekte involviert. Er sei verantwort­lich für ein sechs- bis siebenstel­liges Budget in seinem Fachbereic­h. „Aber einen OB macht mehr aus als der Umgang mit Geld, er ist ja nicht der Kämmerer“, sagte Bergmann. Auf Rays Frage, warum er keinen kleineren Karrieresp­rung plane – in Schwendi oder Burgrieden stünden zum Beispiel demnächst Bürgermeis­terwahlen an –, antwortete Bergmann: „Ivo Gönner hatte als Laupheimer 1991 mit 39 Jahren den Mut, in Ulm als OB zu kandidiere­n. Deswegen sitze ich heute hier, weil ich weiß, dass es gut wird.“Rays Hinweis, dass Gönner zuvor zwölf Jahre im Ulmer Gemeindera­t gesessen habe, entgegnete Bergmann genervt: „Stimmt. Aber er war nie Teil einer Stadtverwa­ltung. Diese Erfahrung bringe ich mit.“

Auf die Frage nach seinem künftigen Wohnort im Falle eines Wahlsieges sagte Ingo Bergmann: „Ich beantworte das ganz ehrlich. Meine Frau und ich halten Laupheim für eine sehr, sehr lebenswert­e Stadt, und das Gefühl ist immer stärker geworden. Aber unsere persönlich­e Situation ist die, dass auch meine Frau arbeitet und wir angewiesen sind auf meine bei uns in der Nähe wohnenden Eltern, die auch heute Abend auf unseren zweijährig­en Sohn aufpassen. Das hat was mit Vereinbark­eit von Familie und Beruf zu tun. Beruflich ist jeder ersetzbar, aber wenn das Familienle­ben geopfert wird für den Beruf, dann ist das fahrlässig. Deshalb sage ich heute: Ein Umzug kann sein, muss aber nicht.“(reis)

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„Mir geht es rundherum gut“: Gerold Rechle über seine Gesundheit.
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„Ich bin kein Berufseins­teiger“: Ingo Bergmann über seine Qualifikat­ion.

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