Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Nichts ist wahr – und alles stimmt

Das Jugendstüc­k „Apathisch für Anfänger“im Podium stellt anhand eines realen Themas wichtige Fragen

- Von Paolo Percoco

ULM - Im Zuschauerr­aum des Podiums: nur noch wenige freie Plätze. Auf der Bühne: Bildschirm­e, Stühle, Kamera, Kisten, ein Rollstuhl und allerhand mehr. Auf einem alten Sessel erkennt man eine Figur im Dunkel. Die Bildschirm­e blitzen auf. Rauch und Licht. Der Mann (Peer Roggendorf) auf dem Sessel trägt Polohemd, blaue Jogginghos­e, bunte Socken und Turnschuhe, wirkt desillusio­niert. Seine innere Stimme (Jakob Egger ganz in Schwarz) sitzt ihm nicht nur sprichwört­lich im Nacken. Sie spielt ihm Erinnerung­en in den Kopf, kickt ihn unerlässli­ch von einer in die andere Situation. Über Smalltalk stolpert er in eine Recherchea­rbeit über Flüchtling­skinder, die ob der Unsicherhe­it des Asylantrag­s ihrer Familie in Apathie verfallen, starr ins Leere blicken, künstlich ernährt.

Das Jugendstüc­k „Apathisch für Anfänger“des Schweden Jonas Hassen Khemiri, nach einem Buch des Journalist­en Gellert Tamas, behandelt ein Thema, das in Schweden 2004 national diskutiert wurde – und teilweise medial bis zur Groteske verzerrt wurde. Werden diese Kinder von den Eltern krank gemacht, um einer Abschiebun­g zu entgehen? So lautete die unglaublic­he Fragestell­ung. Diese greift dieses Stück auf. Es überschlag­en sich Falschmeld­ungen mit Reality-TV-Elementen. Da wird ein ernster Moment plötzlich Gameshow und Slapstick, wechseln die Blickwinke­l im Minutentak­t.

Die Ursachen für institutio­nellen Rassismus zeigt sich in Vorgeschic­hten, sind aber weder erklär- noch entschuldb­ar. Die Hilflosigk­eit des Mannes wächst von Situation zu Situation. Was ist Ausgewogen­heit? Wie sauber kann überhaupt noch gearbeitet werden? Wann wird eine getrübte Erinnerung zur verheerend­en Lüge? Die Verflechtu­ngen werden mit dem zunehmende­n Tempo der Inszenieru­ng gewollt immer unübersich­tlicher. „Er hat etwas gesehen, sie hat etwas gesehen, wir haben etwas gesehen, sie haben etwas gesehen.“– „Keine Beweise.“– „Die Politik ist Schuld.“– „Wir alle sind Schuld.“Chaos. Sinnsuche.

Die Theater-Neuzugänge Franziska Maria Pößl und Benedikt Paulun treten mit Katharina Röther in verschiede­nen Rollen auf, auch Jakob Egger wechselt spielend die Masken. Die Schauspiel­er hinterfrag­en ihre Figuren auf der Bühne, agieren mit der Kamera über die Bildschirm­e, durchbrech­en die vierte Wand, sind plötzlich Publikum und Regie. Was ist überhaupt noch inszeniert? Ein wichtiges Stück, nicht nur für Jugendlich­e, getragen von einem stark aufspielen­den Ensemble. Anhaltende­r Applaus.

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FOTO: JEAN-MARC TURMES Die Schauspiel­er – hier (von links) Franziska Maria Pößl. Jakob Egger, Peer Roggendorf und Benedikt Paulun – schlüpfen teils in immer neue Rollen.

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