Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Wallraff fürchtet Verhaftung bei Reise zum Tolu-Prozess
ULM/KÖLN (mö) - Der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff hat seine Absicht bekräftigt, am kommenden Montag in Istanbul als Beobachter den Prozess gegen die aus Ulm stammende Übersetzerin und Journalistin Mesale Tolu zu verfolgen: „Wenn ich jetzt zum Prozess in die Türkei reise, dann ist das ein Spiel, ich nehme mir immer dicke Bücher mit“, sagte Wallraff am Mittwochabend in der ARD-Talkshow „Maischberger“und begründete: „Ich muss mit Verhaftung rechnen.“Die Reise sei er aber seinen Kollegen schuldig.
Seit mehr als sieben Monaten ist Tolu in der Türkei inhaftiert. Ihr werden Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation und Verbreitung von Terrorpropaganda vorgeworfen. Tolu weist die Anschuldigungen zurück. Am Montag, 18. Dezember, soll der im Oktober unterbrochene Prozess fortgesetzt werden.
Die offizielle Zahl der politischen Gefangenen in der Türkei liegt laut Wallraff bei 50 000. Nach Wallraffs Informationen sind es aber über 80 000 Inhaftierte: „Es gibt Situationen, da ist das Gefängnis der anständigste Ort in einem Land“, fügte der 75-Jährige an.
Deutliche Kritik übte der Journalist an der deutschen Politik gegenüber der türkischen Regierung: „Wenn ich Erdogan als kommenden Diktator und Despoten bezeichne, dann sind die Türken, die mich immer noch als ,Ali’ kennen und schätzen, irritiert. Durch den Flüchtlingsdeal ist Deutschland erpressbar.“
Gleichzeitig bedauert Wallraff, dass durch das Scheitern der Gespräche für eine Jamaika-Koalition nicht sein Wunschkandidat deutscher Außenminister wird: „Cem Özdemir, der hätte Erdogan die Stirn geboten, ihn hätte ich mir als Außenminister gewünscht.“
Gemeinderat verabschiedet Solidaritäts-Resolution
Der Gemeinderat der Stadt Ulm nimmt den bevorstehenden Prozesstermin zum Anlass, einen fairen Prozess zu fordern, der nach rechtsstaatlichen Prinzipien und gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention geführt wird. Ein solches Gerichtsverfahren könne nur mit einem Freispruch enden, heißt es in einer Resolution, die die Politiker am Mittwoch verabschiedeten: „Als Mitglieder des Gemeinderats ihrer Heimatstadt sind wir vom Schicksal der engagierten jungen Frau tief betroffen. Obwohl wir keinen direkten Einfluss nehmen können auf das laufende Verfahren, wollen wir unsere Stimme erheben, um Mesale Tolu in ihrer schwierigen Lage zu unterstützen.“
Die Räte appellieren an die Türkei, für ein faires und schnelles Verfahren zu sorgen. Mesale Tolus Ehemann, Suat Corlu, war Ende November vorläufig aus der Haft entlassen worden.