Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Hinein in einen Zug, der schon voll ist
Wie ein Ausflug mit Bus und Bahn zum Abenteuer wird.
LAUPHEIM - Ein gemütlicher bis anregender Ausflug zum Weihnachtsmarkt in Ulm hat es sein sollen. Soweit klappte es eigentlich auch. Tatsächlich aber geriet der Besuch der beliebten weihnachtlichen Veranstaltung am Samstag von Laupheim aus ungewollt spannend bis abenteuerlich – Bus und Bahn sei Dank. Oder anders gesagt: Der Öffentliche Personenverkehr sorgte mit ein paar Hürden dafür, dass dieser kurze Ausflug in Erinnerung bleibt – und nicht nur bei uns.
Das Abenteuer begann mit dem Bus, in den meine Frau und ich in der Simmisgasse einsteigen wollten, um dann via Westbahnhof gen Ulm zu starten. Routine also. Da standen wir an der Haltestelle, so wie der „DB Navigator“, eine Fahrplan- und Buchungsapp der Bahn AG, es wollte: um 16.16 Uhr – sicherheitshalber schon um 16.10 Uhr.
Es wird 16.16 und 16.20 Uhr – und uns dämmert: Hier fährt kein Bus mehr. Noch ein Blick auf den Fahrzeiten-Anschlag: Samstag, Linie 240, 16.16 Uhr. Wir sind richtig, wer nicht richtig ist: der Bus der RAB, der uns im Stich lässt. Wir sind sauer, aber wir wollen zum Ulmer Weihnachtsmarkt! Die App verrät: In knapp 40 Minuten fährt ein Zug ab dem Stadtbahnhof. Den wollen wir nehmen. Tatsächlich: Mit kalten Füßen, aber trocken geht’s dann endlich ab nach Ulm.
Schön war’s: Lichter glitzern zu Füßen des Ulmer Münsters, trockenes Schneegestöber zwischen warm leuchtenden Weihnachtsbuden sorgt für heimelige Adventsstimmung. Der Glühwein wärmt, und die Band, die Weihnachtslieder im Eingang des Münsters eigenwillig interpretiert, regt zum Mitsingen an. Der Besuch in einer urigen Kellerkneipe wärmt auf und rundet ab – ab zum Bahnhof, wo um 23.12 Uhr die letzte Bahn zurück nach Laupheim fahren soll. Mit gefühlt einigen Tausend anderen Reisenden steuern wir im Hauptbahnhof das Gleis an – und sind schockiert.
Es sind nicht die zehn Minuten Verspätung, die schockieren, obwohl dadurch der Anschluss von Laupheim West zum Stadtbahnhof gefährdet scheint. Es ist das Bähnchen, das auf Gleis 6 wartet – ein einziges Triebwägele, bestürmt von Dutzenden Reisewilligen, und der Blick durch die Scheiben lässt Böses ahnen: Der Wagen ist schon voll! Was dann kommt, kann man nur mit gutem Willen und der Fähigkeit von Menschen erklären, in Notzeiten doch zusammenzustehen. Buchstäblich. Die Menschenmasse im Zug komprimiert sich immer mehr, bis auch wir uns mit sanfter Gewalt hineinschiebem können. Fast bewegungslos eingekeilt, Körper an Körper. „Umfallen ist nicht“, sagt ein Mann, alles lacht.
Nichts geht mehr
Noch ein Trupp Ulm-Besucher bestürmt den Zug, Aufregung bis Panik in den Gesichtern, will sich hineinquetschen, aber beim besten Willen: Mehr geht nicht. Gehen geht nicht, drehen geht nicht, Umhängetaschen sind unerreichbar zwischen Körpern eingekeilt. Das Einzige was noch geht: nicht bewegen, ausharren, lächeln, weil der nächste Mensch nur 20 Zentimeter entfernt ist. Ob die Letzten auch noch mitkamen oder bis zum nächsten Zug um 5.46 Uhr ausharren mussten, ist nicht bekannt. Die positive Aussicht: Die Fahrt dauert zumindest für uns ja nur 20 Minuten.
Zum Glück: Niemand hat Platzangst, niemand muss dringend auf Toilette. Man hält aus, Bahnwitze helfen, Druck abzubauen, und in der Enge kommen Gespräche auf, wie sie sonst wohl nicht geführt würden. Endlich, mit 14 Minuten Verspätung, fährt das Zügele ab, in Erbach folgt etwas Erleichterung, weil mehr Fahrgäste aussteigen als hinzu kommen. In Laupheim platzt die Masse Mensch förmlich auf den Bahnsteig – dabei auch eine Frau, so wird später erzählt, die wohl eigentlich weiter wollte, aber in der Enge Angst bekommen hat. Längst ist diskutiert, wie es weitergeht. Mit der letzten Bahn gen Stadtbahnhof rechnet keiner mehr. Auto? Taxi? Wir schauen über den Bahnhofsplatz und entdecken den roten Triebwagen, der doch noch dasteht. Schnell, damit er nicht vor der Nase abfährt, hetzen wir rüber. Unnötig: Eine Frau steht in der offenen Tür, hindert die Automatik am Schließen. Dieser Zug ist so leer, wie der andere voll war. Wir schauen zurück: Niemand ist uns gefolgt. Die Frau gibt die Tür frei, wir rollen an und haben kurz darauf das Ziel erreicht – um ein Erlebnis reicher, das ungewollt lange im Gedächtnis bleiben wird. Aber das ist wohl nicht Ziel des Bahnfahrens.