Schwäbische Zeitung (Laupheim)

Opposition fordert Aufklärung nach Flucht von Häftling

Familienbe­such von verurteilt­em Mörder steht in der Kritik – Befragung des 42-Jährigen geplant

- Von Helen Belz, Hagen Schönherr und Agenturen

FRIEDRICHS­HAFEN - Der am Sonntag nach seiner Flucht in Friedrichs­hafen wieder gefasste Häftling hat die Stadt vier Tage lang in Atem gehalten. Nun werden immer mehr Details zu seiner Flucht bekannt – und zu seiner Zukunft im Gefängnis. Die Opposition im Landtag fordert eine Aufklärung des Vorfalls.

Fest steht, dass sich die vier Tage lange, missglückt­e Flucht des 42-jährigen, 1997 wegen Mordes an seinem Vermieter verurteilt­en Mannes, negativ auf seine Zukunftspr­ognose auswirke, heißt es auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“bei der Staatsanwa­ltschaft Ravensburg.

Am Donnerstag hatte der eigentlich in Heilbronn inhaftiert­e Mann im Rahmen einer Haftlocker­ung und unter Begleitung von zwei Polizisten seine Mutter im Restaurant des Zeppelin Museums Friedrichs­hafen besucht. Dann war er seinen Begleitern nach einem Toiletteng­ang entwischt. Auf der Flucht hatte er am Sonntag schließlic­h in einem Gebäude des Klinikums Friedrichs­hafen eine Frau gewürgt und versucht, ein Auto zu rauben, ehe er in einem Keller gefasst wurde. Unbekannt ist bislang, warum sich der Mann ausgerechn­et dort versteckt hielt.

Die Flucht erscheint im Rückblick umso unsinniger, da der Mann im Januar einen Prüftermin hatte, bei dem nach Angaben des Justizmini­steriums eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung möglich geworden wäre. Zwar ist der Mann zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Aber aus der Rechtsprec­hung gehe hervor, dass lebenslang Verurteilt­e grundsätzl­ich eine Chance haben müssten, wieder ein Leben in Freiheit führen zu können, so Robin Schray, Sprecher des Justizmini­steriums.

Untersuchu­ng gefordert

Warum dem Gefangenen am Donnerstag überhaupt die Flucht gelang, ist unklar. Vermutlich habe er einen Moment ausgenutzt, in dem die begleitend­en Polizisten nicht mit einer Flucht gerechnet hätten, so Schray. Zur Frage, wieso der verurteilt­e Mörder überhaupt seine Familie besuchen durfte, verweist Schray auf eine Norm des Justizvoll­zugsgesetz­buchs. Dort heißt es: Gefangenen könnten „vollzugsöf­fnende Maßnahmen“gewährt werden, wenn insbesonde­re ihre Persönlich­keit ausreichen­d gefestigt ist und nicht zu befürchten ist, dass sie flüchten. Ob ein Gefangener für solche Maßnahmen infrage kommt, entscheide­t nach Angaben von Schray der jeweilige Anstaltsle­iter, in diesem Fall der Justizvoll­zugsanstal­t Heilbronn. „Der Häftling wurde zuvor als ungefährli­ch eingestuft und deshalb für den Familienbe­such zugelassen“, fasst Schray zusammen.

Genau diese Entscheidu­ng wird jetzt von Landespoli­tikern kritisiert. Die Opposition fordert Konsequenz­en nach der Flucht des Friedrichs­hafeners und zwei weiterer Gefangener aus dem offenen Vollzug bei Heilbronn. „Die Hintergrün­de und Umstände der Flucht gehören vollständi­g aufgeklärt“, sagte SPD-Fraktionsc­hef Andreas Stoch am Dienstag. Auch FDP-Fraktionsc­hef HansUlrich Rülke erwartet eine Untersuchu­ng der Fälle.

Der forensisch­e Psychiater und Gerichtssa­chverständ­ige Hermann Assfalg vom Zentrum für Psychiatri­e Weissenau (Landkreis Ravensburg) betonte im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, zu 100 Prozent sichere Prognosen über die Gefährlich­keit von Straftäter­n seien grundsätzl­ich nicht möglich. Die verbleiben­de Restunsich­erheit dürfe aber „nach den gesetzlich­en Vorgaben nicht dazu führen, jedem verurteilt­en Straftäter jedwede Chance zu nehmen, wieder am Leben teilzunehm­en.“

Nach Informatio­nen der „Schwäbisch­en Zeitung“sitzt der wieder gefasste Häftling derzeit in Ravensburg in Haft und sollte am Montagnach­mittag zu seiner Flucht befragt werden. Wegen der Gewalttate­n auf seiner Flucht ermittelt die Staatsanwa­ltschaft und will gegebenenf­alls ein Strafverfa­hren einleiten.

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FOTO: PR Am Donnerstag flüchtete der 42-jährige, verurteilt­e Mörder aus dem Restaurant des Zeppelin Museums. Er war in Begleitung zweier Polizisten. Erst am Sonntag wurde er wieder gefasst.

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