Schwäbische Zeitung (Laupheim)
Begleitmusik der alten Bundesrepublik
Songs mit Schlagerpotenzial: Der Liedermacher Reinhard Mey wird 75 Jahre alt
BERLIN (KNA) - „Über den Wolken“ist ein Lieblingslied der Deutschen, aber nicht unbedingt sein liebstes Lied: Reinhard Mey hat es 1974 geschrieben, sogar die Toten Hosen haben es 2017 auf der Single „Unter den Wolken“zitiert. Aber eine Zeit lang mochte es Reinhard Mey, der am Donnerstag 75 Jahre alt wird, gar nicht mehr singen.
Seit Ende September steht Reinhard Mey wieder im Rampenlicht. Nach dreijähriger Pause ist er noch einmal auf Konzertreise durch 40 deutsche und österreichische Städte gegangen. Er wirkt immer noch drahtig, das volle weiße Haar ist sportlich geschnitten. Die Stimme hat sich verändert, wirkt leicht brüchig und schafft es nicht mehr so mühelos in die Höhen. Und auch das Gitarrenspiel des Altmeisters der deutschen Liedermacherszene besitzt nicht mehr ganz den Klang von einst.
Mit sanfter Ironie
Mey will als kritischer Liedermacher der Gesellschaft den Spiegel vorhalten. Und das mit beißender spöttischer Ironie etwa bei der „Schlacht am kalten Buffet“oder mit leiser Melancholie, wie in der Ballade „Kaspar“über Kaspar Hauser.
Seine Titel sind stark vom französischen Chanson beeinflusst. Mey stand für Pazifismus („Nein, meine Söhne geb’ ich nicht“), für das Infragestellen von Autoritäten, für den Tierschutz. Für manche der 68er allerdings wirkte er im Vergleich etwa mit Hannes Wader oder Konstantin Wecker zu weich gespült und zu ängstlich-gefühlig. „Nichtssagender Schnurrenerzähler“oder „Heintje für geistig Höhergestellte“, so die Vorwürfe.
Immer wieder hat Mey auch sein Innerstes ausgebreitet, Privates, Liebeslieder, Alltägliches, Witziges wie Weinerliches. „Ich habe Euch mein Leben in meinen Liedern erzählt, Ihr wisst alles von mir“, schrieb er auf seiner Homepage. Wer seine Platten kennt und seine Konzerte besucht hat, kennt das Leben des Mannes mit Nickelbrille, Dreitagebart und Kurzhaarfrisur schon gut.
So erzählt er, dass er in Berlin geboren wurde „als die letzten Bomben fielen“, dass er in der Schule „ein faules Stück“war und nach dem französischen Abitur zur Musik kam „wie die Jungfrau zum Kind“. Er „wollte wie Orpheus singen“– sein erstes Chanson, das 1964 erschien. Und er schenkte seine Lieder den „Mädchen in den Schenken“oder „Annabelle“oder „Christine“. Mit einer Christine war er von 1967 bis 1976 verheiratet.
Der Mörder ist immer der Gärtner
Den Durchbruch beim Massenpublikum brachte ihm 1971 der Song „Der Mörder ist immer der Gärtner“. Mehr als 500 Lieder umfasst das Werk des Frankophilen (die Franzosen kennen ihn als Frederic Mey), der damit zu den produktivsten Liedermachern Deutschlands gehört. Zwischen 1967 und 2016 hat Mey 60 Alben herausgebracht. Mehr als fünf Millionen Tonträger hat er verkauft. Am bekanntesten dürften wohl der Titel „Gute Nacht, Freunde“von 1972 und sein Evergreen „Über den Wolken“von 1974 sein. Mit letzterem verband der begeisterte Flieger eine besondere Geschichte: 1989 hatte er nach langjährigen Anfragen endlich von den DDR-Behörden die Erlaubnis erhalten, einmal in Dresden zu singen. Nach seiner Anreise am
7. November 1989 wurde ihm untersagt, „Über den Wolken“zu singen, da das Wort von der grenzenlosen „Freiheit“nicht gewünscht sei. Die Aufzeichnung des Konzerts fand am
11. November 1989 statt. Der Mauerfall am 9. November machte es dann möglich, sowohl „Über den Wolken“als auch „Gute Nacht, Freunde“vorzutragen.
„Das Leben hat mich mit Geschenken überhäuft, mit Glück und Liebe überschüttet und, wie um Gleichgewicht und Gerechtigkeit wiederherzustellen, auch mit dem größten Schmerz“, schrieb Mey auf seiner Internetseite. Gemeint war Sohn Maximilian, der seit 2009 nach einer Lungenentzündung im Wachkoma lag und der 2014 im Alter von 32 Jahren starb. Ihm hat er das Lied „Drachenblut“gewidmet: „Hast dein Licht an beiden Seiten angezündet, nun ringt es flackernd um seinen Schein, mein fernes, mein geliebtes Kind, schlaf ein.“